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Trip unter ärztlicher AufsichtWie Psychedelika Depressionen und Ängste lindern sollen

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Halluzinogene Pilze für medizinische Zwecke.

  1. LSD und Psilocybin waren für die Hippies Mittel der Wahl, einer konservativen, kriegerischen Welt zu entsagen.
  2. Mit dem Verbot solcher Substanzen erlahmte die Forschung über deren Wirksamkeit. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert.
  3. Studien zeigen: Die Gabe von Psilocybin könnte in Zukunft vielen Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen.

Köln – An den Wänden des Behandlungszimmers hängen handverlesene Bilder und es läuft dezente Musik. „Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre“, erzählt Gerhard Gründer. Den Patienten wird es so angenehm wie möglich gemacht. Denn was ihnen nach Einnahme der Kapsel passiert, dürfte zumindest für die meisten unter ihnen eine völlig neue Erfahrung sein. Sie erhalten eine hohe Dosis Psilocybin. Das ist der Wirkstoff des Pilzes, der als „Magic Mushroom“ vor mehr als einem halben Jahrhundert populär wurde. Die Substanz kann Halluzinationen auslösen. Sie verändert die Wahrnehmung so sehr, dass manche Menschen Farben schmecken, Bilder hören und das Gefühl für Zeit verlieren. Nicht nur Dinge fangen an sich zu bewegen. Auch Gefühle. Ansichten. Bestenfalls erleben Menschen auf ihrem Trip Erfreuliches, das ihnen eine neue Sicht auf die Welt beschert. Selbst längere Zeit nach dem Konsum.

Schon vor 60 Jahren erkannten Fachleute das therapeutische Potenzial, das in dieser Substanz steckt. Die ersten Pionierarbeiten und viele persönliche Anekdoten sprachen schon damals dafür. Forschungsprojekte aus jüngerer Zeit in den USA, Großbritannien und der Schweiz lassen ebenfalls vermuten, dass der Wirkstoff bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen helfen kann. Allerdings gibt es auch heute immer noch nicht genügend belastbare Studien mit Patienten. Gerhard Gründer könnte mir seiner aktuellen Studie zeigen, wie sicher und wirksam Psilocybin bei der Behandlung schwer depressiver Menschen ist.

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Professor Gerhard Gründer leitet eine der weltweit größten Studien zum Magic Mushroom.

Unter seiner Leitung führt das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim gemeinsam mit der Charité Berlin als zweitem Prüfzentrum eine klinische Studie mit Psilocybin bei 144 Patienten durch. Ihnen werden ein oder zwei Dosierungen unter ärztlicher und therapeutischer Begleitung verabreicht. Gefördert wird die Arbeit mit knapp 2,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und gehört damit zu den größten weltweit. „Das ist aber erst der Anfang“, sagt Gründer.

Illiberaler Alt-Ballast hemmt Forschung

Dass überhaupt ein Neuanfang möglich ist, war lange Zeit nicht klar. Für eine Renaissance der Psychedelika in der klinischen Forschung leisten Befürworter natürlich viel sachliche Argumentationsarbeit, müssen dabei aber auch illiberalen Alt-Ballast aus dem Weg zu räumen. Die Geschichte der Substanzen ist schließlich von medizinischer Skepsis und politisch-kultureller Ablehnung geprägt. LSD wie Psilocybin wurden zu einer Zeit verboten als sie für die Hippies das Mittel der Wahl waren, um einer konservativen, einer kriegerischen Welt zu entsagen. Viele Anhänger, vor allem aus den USA, pilgerten nach Mexiko, wo der Zauberpilz seit Jahrhunderten für kultische Rituale genutzt wurde. Das vermeintliche Versprechen von einer individuellen und gesellschaftlichen Bewusstseinsveränderung zog Künstler, Musiker, Intellektuelle an. Esoteriker, Illusionäre, Visionäre. Aus bürgerlicher Sicht waren Psychedelika schlicht ein Zeug moralischer Zügellosigkeit und gehörte verboten. Die Regulierung jedenfalls ließ weitere ernstzunehmende Forschungsarbeiten für lange Zeit erlahmen.

Gefährliches Gemisch kann Psychosen auslösen

Der folgende Missbrauch im Untergrund trug nicht unbedingt dazu bei, das Stigma aufzulösen. Die Substanzen sind zwar nicht giftig, machen auch nicht körperlich abhängig. Sie können dennoch gefährlich sein. Je nachdem, welches Gemisch man in die Finger bekommt und wer es schluckt: Bei entsprechender Veranlagung können die Wirkstoffe Psychosen auslösen – oder das noch nicht vollständig erforschte HPPD-Phänomen (Hallucinogen Persisting Perception Disorder).

Letztlich ist auch das Setting nicht unwichtig: Wer sich unkontrolliert in den Trip begibt, kann unkontrolliert handeln, möglicherweise sich selbst und anderen schaden. Die Substanzen sind in Deutschland und vielen Ländern weiterhin illegal. Aber die ungenutzten Möglichkeiten für eine Therapie sind nicht Vergessenheit geraten – und die öffentliche Wahrnehmung hat sich zu Gunsten alternativer Wege zur seelischen Gesundheit verändert.

Renaissance der Psychedelika

Die Wiederaufnahme der Forschungen in diesem Bereich kommt für Katrin Preller deshalb nicht überraschend. Die Schweizer Psychologin beschäftigt sich seit Jahren mit den Wirkmechanismen von Psychedelika, vor allem mit Psilocybin, LSD, Meskalin. „Viele Studien an Gesunden haben gezeigt, dass die Substanzen in überwachten klinischen Umständen sicher eingesetzt werden können“, sagt sie. Es sind biologische und psychologische Veränderungen nachgewiesen, die vermutlich auch kranken Menschen zu Gute kommen könnten. Hinzu kommt, dass der Bedarf nach neuen Behandlungen steigt: Die Zahl der Menschen, bei denen Depressionen immer wiederkehren, ist allein in Deutschland von 2010 bis 2020 um rund 82 Prozent gestiegen. Die Verordnungen von Antidepressiva haben sich im selben Zeitraum um ein Drittel erhöht. Aber in der Psychopharmakologie hat sich nicht wirklich viel getan. Und: Nicht nur Depressionen, auch andere Anwendungsbereiche fallen in den Blick der Forscher. Krankheiten, die sich in festgefahrenen Denkmustern manifestieren: Suchtkrankheiten, Zwangserkrankungen und Angststörungen etwa.

Kann LSD Depression und Alkoholismus lindern?

Die Studie

Die klinische Studie mit Psilocybin gehört bislang zu den weltweit größten: Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim behandelt unter der Leitung von Professor Gerhard Gründer mit der Charité Berlin als zweitem Prüfzentrum und der MIND European Foundation for Psychedelic Science als Projektpartner 144 Patienten mit Depression. Die klinische Studie wurde von der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, sowie der zuständigen Ethikkommission genehmigt. Gefördert wird die Studie mit knapp 2,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Derzeit ist Katrin Preller an der Universität Zürich an zwei klinischen Psilocybin-Studien beteiligt. Diese sollen in den nächsten Jahren zeigen, inwiefern die psychedelische Substanz nicht nur Depressionen, sondern auch Alkoholabhängigkeit lindern kann. „Wir wollen sehen, ob Psilocybin die Rückfallwahrscheinlichkeit senken kann.“ Es sind noch viele Fragen unbeantwortet: Bei Studien mit Gesunden sprach Psilocybin einen Teil des Hirns an, der an der emotionalen Bewertung von Situationen beteiligt ist, insbesondere auch an der Entstehung von Angst. Die Aktivität des so genannten Mandelkerns war nach der Behandlung reduziert. Ist das bei kranken Menschen auch der Fall? Und wenn ja, wie könnte ihnen das weiterhelfen?

Bei gesunden Menschen kam es außerdem nicht nur unter akutem Einfluss der Substanz zu einer Bewusstseinsänderung. Die positive Grundstimmung hielt noch lange danach an. „Wir wissen noch nicht, wieso“, sagt Preller. Ist es wie nach einem tollen Urlaubserlebnis, das einen noch Wochen später freudig durchs Leben trägt? Oder liegt dieser Wirkung doch ein rein biologischer Mechanismus zu Grunde? „Es gibt durchaus Forscher, die glauben, dass es subjektive Erlebnisse für eine Verbesserung gar nicht braucht, sondern nur das, was auf der physiologischen Ebene passiert“, gibt Katrin Preller zu bedenken. Vielleicht aber spielen biologische und psychologische Faktoren zusammen.

Viel Forschung ist von Nöten

„Wir brauchen in den nächsten Jahren viel Forschung, um das herauszufinden.“ Die große Hoffnung: Die Substanzen verändern den Gemütszustand so, dass die typischen negativen Gedankenspiralen unterbrochen werden können. „Das öffnet ein Fenster, um gemeinsam mit dem Therapeuten andere oder bessere Bewältigungsstrategien zu entwickeln.“ Das heißt, die Erfahrung kann nur ein Anstoß für die nachfolgende Behandlung sein. „Es bleibt Arbeit, auch für den Patienten. Das unterschätzen viele, weil der Wunsch natürlich groß ist, nach Einnahme einer Pille geheilt zu sein. Das ist in der Regel nicht so.“ Einen ganz eindeutigen Dämpfer gibt es hingegen für die Wunschvorstellung, dass eine kleine Dosis hin und wieder bei gesunden Menschen das Leistungsvermögen und die Kreativität steigern könnte. Dieser Microdosing-Trend schwappte aus den USA vor einigen Jahren nach Deutschland. Katrin Preller winkt ab: „Es hat sich in Studien immer wieder gezeigt, dass es nicht diesen gewünschten Effekt hat.“ Egal, ob Placebo oder LSD verabreicht wurde: „Am Ende ging es allen besser.“

Dass es in zehn Jahren eine Psychedelika-unterstützte Psychotherapie geben könnte, halten Preller und Gründer für durchaus realistisch. Zumindest seien die Gesellschaft, die Behörden, die Politik offen genug für die dafür erforderlichen Forschungen, findet Gerhard Gründer. Die von ihm geleitete klinische Studie sei von der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, sowie der zuständigen Ethikkommission ohne große Komplikationen genehmigt worden. Die größte Hürde bestehe eher darin, die illegalen Stoffe in einer Qualität zu beschaffen, die amtlich akzeptiert werde. „Das sind komplizierte Wege, monatelange Prozesse, ehe die Substanz im Tresor liegt.“ Weniger aufwändig gestaltet sich die Suche nach Probanden. Üblicherweise werden diese bei klinischen Studien händeringend gesucht. „Wir haben viel mehr Patienten als wir behandeln können.“