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TrainingswissenschaftlerWarum wir uns bewegen sollten, auch wenn's im Rücken zwickt

Lesezeit 7 Minuten
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  1. In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  2. Im März beantworten Expertinnen und Experten Fragen rund um den Rücken.
  3. In dieser Folge erklärt der Trainingswissenschaftler Lars Donath, wie man Rückenschmerzen mit gezieltem Sport entgegenwirken kann.

Köln – Mal wieder ist es der Rücken: Von Nacken bis zum Becken, irgendwo da zwickt und zwackt es. Ohne einen ersichtlichen Grund. Das schränkt ein. Und dann sollte man auch noch Sport machen? Ja, findet der Kölner Sportwissenschaftler Lars Donath. Für ihn ist Sport die Lösung bei Rückenbeschwerden. Warum, wie und welcher Sport bei Rückenschmerzen hilft, welchem Irrglauben Menschen oft aufsitzen und warum er dem Sitzen bei der Thematik Rückenschmerzen keine allzu große Rolle zuspricht, erklärt er im Interview.

Herr Donath, wie ist das mit dem Rücken und dem Sport? Einerseits tut Sport unserem Rücken erwiesenermaßen gut – andererseits macht Bewegung aber gar keinen Spaß, wenn’s im Rücken zwickt und zwackt.

Lars Donath: Sport hat ja mehrere Funktionen. Zum einen verbessert es die motorische Kontrolle, die Muskelkraft und die Beweglichkeit, das alles hängt komplex miteinander zusammen. Aber, und das darf man nicht vergessen, Sport verändert auch die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung. Das ist von Vorteil, wenn es um Rückenschmerzen geht.

Das heißt: Wenn ich Sport treibe, stört mich das Zwacken am Rücken gar nicht mehr?

Einmal das, ja. Ich habe eine höhere Schmerzschwelle, ordne also bestimmte organische Signale erst später als schmerzhaft ein. Durch meine Trainiertheit tritt Schmerz aber auch erst später auf. Die Grenze zum Schmerz verschiebt sich durch Sport. Sowohl ganz real als auch in der subjektiven Wahrnehmung.

Es gibt Menschen, die sagen, ohne Sport funktioniere ihr Rücken nicht. Sie brauchen die Bewegung, um gerade stehen zu können.

Donath_Lars_Presse

Sportwissenschaftler Lars Donath

Sport setzt Botenstoffe frei, die den Morphinen ähneln: Die Endorphine. Sie putschen auf, man fühlt sich etwa nach einem längeren Lauf euphorisiert und nimmt Schmerzen deutlich weniger wahr. Das ist ein positiver Effekt. Aber wenn die Schmerzen organische oder strukturelle Ursachen haben, sollte man nicht einfach weitersporteln, sondern das mit einem Arzt abklären. Das ist allerdings oft nicht so einfach. Nicht immer gibt es einen Röntgen- oder MRT-Befund, der die Schmerzsymptomatik erklären kann.

Typisch Rücken: Manchmal gibt es Bilder, die schlimmste Schmerzen vermuten lassen – und der Patient merkt nichts. Und manchmal kann der Patient kaum krauchen, und eine Ursache ist nicht erkennbar.

Genau. Das nennt man in der Fachsprache chronisch unspezifischer Rückenschmerz. Es gibt keinen radiologischen Befund, aber deutliche Symptome. Das zeigt, wie individuell Schmerz in seiner Entstehung und Verarbeitung ist. Und dazu kommen noch die psychosozialen Faktoren, die das Schmerzerleben zusätzlich beeinflussen: Wenn man gestresst ist, wenn man vielleicht Zukunftsängste hat oder familiären Ärger, wenn man unfit ist oder schlecht schläft.

Also sollten wir lieber öfter mal den Rückenschmerz Rückenschmerz sein lassen und uns bewegen?

Schmerz ist nicht immer ein Schmerz, der langfristig strukturelle Probleme hervorruft. Viele Laien können Schmerz manchmal gar nicht von einem Diskomfort, also einem Unbehagen trennen. So ein Muskelkater zum Beispiel kann als Schmerz eingeordnet werden und dazu führen, dass ich nicht wieder Sport machen möchte. Deshalb sollten Einsteiger so an Sport gewöhnt werden, dass die Bewegung erst mal keinen Diskomfort hervorruft. Aber Schmerz in geringem Ausmaß kann auch Teil der Sportkultur sein, der ist nicht immer schlimm. Wenn er dauerhaft stechend, dröhnend, pulsierend ist, sollte man sich allerdings mit einem Arzt oder Physiotherapeuten in Verbindung setzen.

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im März geht es um das Thema starker Rücken.

Welcher Sport tut meinem Rücken gut?

Ich würde generell einen Sport wählen, der mir Spaß macht. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es erst mal nicht so wichtig ist, was man macht, sondern dass man den Körper überhaupt in Bewegung setzt. Das führt auf so vielen Ebenen zu positiven Effekten: Auf zentralnervöser Ebene, also im Kopf, und im Körper, in der Muskulatur, im Kreislauf-System, im hormonellen System, in der Versorgung der Knochen, Knorpel, Bänder. Aber natürlich gibt es Sportarten, die bei Rückenschmerzen besonders gut sind.

Die da wären?

Zum Beispiel diese ganzen Kopf-Körper-Trainingsansätze: Pilates, Tai Chi, Yoga, aber auch neuromuskuläres Training, Gleichgewichtstraining, Haltungstraining – und auch Ausdauertraining.

Ja? Joggen oder Radeln geht schon als Rückentraining durch?

Erst im vergangenen Jahr hat eine australische Forschergruppe Ergebnisse einer großen Metastudie publiziert, die zeigt, dass Haltungstraining, Pilates oder ähnliche Aktivitäten besonders gut sind für den Rücken, aber die Vorteile im Vergleich zu allgemeinem Ausdauertraining sind nicht riesengroß. Joggen zu gehen ist daher auf jeden Fall ein guter Start. Insgesamt ist die Suche nach der für jeden persönlich besten Rücken-Sportart sehr individuell. Es hilft grundsätzlich, sich zu mobilisieren, in die Gänge zu kommen, aktiv zu werden. Davon wird man immer profitieren.

Es ist also manchmal gar nicht so wichtig, genau zu wissen, welcher Wirbel im Körper nun Schuld ist an meinen Rückenschmerzen und wie ich genau diese Stelle exakt trainiere?

Es ist ein Irrglaube der Menschen, dass Rückenschmerzen immer einen ganz konkreten, strukturellen Hintergrund haben. Oft ist das nicht der Fall. Da kann man in aller Regel breit mit der Gießkanne feuern, indem man sich erst mal regelmäßig, dauerhaft und progressiv bewegt. Wenn man dann merkt, das reicht nicht, die Schmerzen bleiben oder werden schlimmer, dann muss man justieren. Auch dass bestimmte Haltungspositionen dauerhaft Probleme machen, ist ein Irrglaube. Da gibt es einzelne Befunde. Aber wenn man alle Befunde übereinander legt, stellt man fest: Nur weil man dauerhaft krumm sitzt, muss man nicht zwangsläufig Rückenschmerzen bekommen.

Dann kann ich mich ja auf meinem Stuhl hängen lassen....

Ich sitze auch sehr ungesund. Nicht, weil ich lange sitze, sondern weil ich sehr krumm sitze. Aber ich bin insgesamt sehr engagiert, was mein Bewegungsverhalten angeht. Ich wechsle am Arbeitsplatz öfter die Position und streue Bewegungspausen ein, oder lese und telefoniere im Stehen. Dadurch fällt das wohl nicht so stark ins Gewicht.

Sie klagen also nicht über unspezifische Rückenschmerzen?

Nein, Null Komma Null. Ich würde dem Sitzen nicht so viel Bedeutung beimessen wie der körperlichen Bewegung. Man sollte sich etwas Stabilisierendes, Kraftorientiertes suchen, das die Muskulatur aufbaut. Gerade, wenn ich so 40 bis 50 Jahre alt bin, dann geht die Muskelkraft jährlich um zwei, drei, manchmal sogar vier Prozent runter. Dagegen muss ich etwas tun, ich muss Muskelkraft und -qualität erhalten. Das kann Krafttraining sein oder Pilates, Yoga, Stabilisierungsübungen. Wenn ich das mache, dann ist es auch nicht so schlimm, wenn ich mal krumm sitze.

Wie lautet also kurz zusammengefasst Ihr Sportrezept für einen schmerzfreien Rücken?

Regelmäßig, über viele, viele Jahre, sehr ausgewogen Kraft-, Gleichgewichts- und Ausdauertraining an den meisten Tagen in der Woche zu absolvieren. 150 Minuten in der Woche sollten es mindestens sein. Kommen dann noch eine gute Stressregulation, wohltuende Sozialkontakte, ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung hinzu, bleibt man höchstwahrscheinlich verschont. Und wenn es Episoden gibt, dann bekommt man die in der Regel auch ganz gut wieder in den Griff.

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Das hört sich so einfach an. Und fällt vielen doch so schwer.

Das ist Einstellungssache. Man isst ja auch jeden Tag. Genauso muss man das mit der Bewegung angehen, wenn man möchte, dass man lange zufrieden, leistungsfähig und autonom gesund bleibt. Unser Körper braucht Aktivierung. Wir leben ja erst 50 Jahre in dieser extrem inaktiven Form. Wir sind dafür ausgelegt, uns wie in den vielen, vielen Millionen Jahren davor über mehrere Kilometer am Tag aus eigener Kraft zu bewegen. Unser Herzkreislauf-System, das Muskel-Skelett-System, das hormonelle System, unser Gehirn – alles ist permanent auf Kalorienzufuhr und Kalorien verbrennen aus. Wenn man den Verbrauch auf Dauer runter fährt, und bei uns in der westlichen Welt sind das 300 bis 400 Kilokalorien pro Tag, die wir durch einen Mangel an Bewegung weniger verbrennen, dann gibt es Verschleiß auf den unterschiedlichsten Ebenen. Körperliche Inaktivität ist inzwischen einer der ganz großen Risikofaktoren für mangelnde Gesundheit. Aber dagegen kann jeder ganz einfach etwas unternehmen.