Warum schlafen wir überhaupt? Wie schlafen wir besser? Michael Feld spricht im Interview über die nächtliche Müllabfuhr im Gehirn und Einschlaf-Rituale.
Kölner Schlafmediziner„Alles, was beim Einschlafen hilft, ist erlaubt – sogar Death Metal“
Wie haben unsere Vorfahren geschlafen und welche Auswirkungen hat das auf uns?
Michael Feld: Ein durchgängiger Nachtschlaf war Jahrtausende viel zu gefährlich. Wahrscheinlich war es ein Überlebensvorteil, ab und zu mal wach zu sein. Wir nehmen an, dass Schlafstörungen bei älteren Menschen nicht unbedingt eine Krankheit sind, sondern dass früher Ältere, die nicht mehr fit genug waren für die Jagd, früher nach dem Nachwuchs geguckt und Feuer nachgelegt haben, als die Menschen noch ums Feuer lagen. Vor der Industrialisierung haben die Menschen in Europa eher in zwei Schichten geschlafen. Man ging relativ früh ins Bett, gerade im Winter, weil Kerzen teuer waren, schlief bis 23 Uhr, liebte sich, unterhielt sich oder haute sich auf die Nase und schlief wieder ein. Erst mit dem Aufkommen der Fabriken entstand der Druck, nur noch in einem Block zu schlafen.
Warum hat die Natur den Schlaf überhaupt erfunden?
Spannende Frage: Warum hat der liebe Gott eine so gefährliche Phase für das Lebewesen erfunden? Obwohl der Schlaf uns Menschen über Jahrtausende der Evolution große Unsicherheit gebracht hat, hat die Natur diese sieben Stunden tradiert, in denen wir das Bewusstsein verlieren. Es muss also einen Überlebensvorteil geben. Lange dachte man, es ginge um Energieersparnis, weil man nachts weniger Kalorien verbraucht. Aber das stimmt gar nicht.
Was weiß man inzwischen?
Gehirn und Immunsystem brauchen den Schlaf unbedingt. Die Muskeln kämen auch nur mit Ruhe aus, weil die nicht so anspruchsvoll sind. Das Immunsystem lernt während des Schlafs, was Freund und was Feind ist. Ein Mensch hat es jeden Tag mit Milliarden Keimen zu tun. Das Immunsystem muss immer wieder neu gucken und seinen Soldaten sagen: Der gehört zu uns, der nicht. Diese sehr komplexe Abwehr passiert in der Nacht.
Was passiert im Gehirn?
Das Gehirn ist total anspruchsvoll. Es ist eine relativ neue und spannende Erkenntnis, dass nachts im Gehirn eine richtige Müllabfuhr stattfindet. Wir wissen auch, dass jahrzehntelange Schlafstörungen Demenzen auslösen durch eine Art Hirnvermüllung. Tagsüber prasselt so viel über die Augen und Ohren ein, dass das Gehirn mal die Jalousien runterlassen muss. Die Hälfte des REM-Schlafs geht dafür drauf, unnötige Gehirnbindungen abzubauen.
Was ist die REM-Phase?
Wir unterscheiden verschiedene Schlafphasen. Wenn Sie heute Nacht die Augen zumachen, rollen Sie anfangs schnell in eine erste sogenannte Tiefschlafphase. Da sind wir ziemlich abgeschottet gegenüber der Außenwelt, man kann uns schlecht wecken. In dieser Tiefschlafphase regeneriert der Körper und das Immunsystem. Ab der Mitte der Nacht nimmt der REM-Schlaf zu, wo die Augen zucken, die Atmung unregelmäßiger wird. Da ist richtig viel Musik im Gehirn. Dann wird oft bildhaft und intensiv geträumt, da findet ganz viel Hirnab- und Umbau statt. Wir brauchen beides: den Tiefschlaf für die körperliche Regeneration und die zweite Nachthälfte fürs Gehirn.
Welche Hormone sind nachts aktiv?
In der ersten Nachthälfte sind die Wachstumshormone aktiv. Die Knochen regenerieren sich, die Haut verjüngt sich, es wird nämlich auch Kollagen ausgeschüttet. In der Nachtmitte ist unser Melatonin, das Schlafhormon ziemlich übermächtig. Wer in dieser Zeit aufwacht und grübelt, empfindet Probleme oft als größer als sie eigentlich sind. Gegen Morgen steigt dann unser Stresshormon, das Cortisol an, damit wir aktiv werden.
Ist es egal, wann ich schlafen gehe, solange ich auf genug Schlaf komme?
Das hängt davon ab, was Sie für ein Chronotyp sind, ob Sie genetisch eher ein Nachtmensch, also eine Eule sind oder aber ein früher Typ sind, also eine Lerche. Wenn Sie ein Nachtmensch sind, können Sie gerne auch etwas später schlafen gehen. Die meisten Menschen sind aber Mischformen und um eine Stunde nach vorne und hinten anpassungsfähig.
Viele Menschen schätzen ihren Schlaf anders ein als er tatsächlich ist, behaupten Sie. Was meinen Sie damit?
Es gibt Menschen, die einen hohen Leidensdruck äußern, sagen, dass sie kein Auge zu tun. Wenn wir nachmessen, ist der Schlaf objektiv oft besser als das eigene Empfinden. Das andere Phänomen ist, dass gerade Menschen mit biologischen Schlafstörungen wie Atemaussetzern ihren Schlaf häufig als zu gut einschätzen. Sie können ja auch immer schlafen, weil sie immer müde sind, aber ihr Schlaf ist qualitativ schlecht.
Jeder kann heute seinen eigenen Schlaf über Apps tracken. Eine gute Idee?
Ja, das kann förderlich sein, wenn man damit seinen Schlaf auf den Radar kriegt. Bei manchen Leuten führt das aber zu einer Überbeschäftigung. Dann wird ständig auf die App geguckt. Um rauszufinden, ob man Atemaussetzer hat im Schlaf, ist so eine App prima. Aber für vieles anderen sind diese Apps einfach noch nicht gut genug.
Essen und Trinken haben ebenfalls Auswirkungen auf den Schlaf. Was sollte man meiden?
Man sollte am späten Abend nicht zu fett und viel essen. Keine Rohkost oder zu viel blähendes Zeug. Wir wissen, dass bestimmte Substanzen dem Schlaf förderlich sind: Bananen, Nüsse und Milch in geringer Dosierung.
Was ist mit Sport vor dem Schlafen?
Es kommt auf die Uhrzeit an. Heftiges Trainieren, gerne auch Muskeltraining, ist sehr gut für den Schlaf. Nur bitte nicht kurz vorm Schlafen, weil der Körper dann noch sehr erhitzt ist. Sport am späten Nachmittag und frühen Abend ist super.
Was sollte man noch meiden vor dem Schlafen?
Alles, was zu sehr aufkratzt. Das kann zu viel helles Licht sein im Badezimmer beim Zähneputzen oder der Streit mit dem Partner. Eine Stunde Pufferzone zwischen der letzten anstrengenden psychischen oder körperlichen Aktivität bis zum Schlaf ist ideal. Möglichst viel Monotonie. Das gilt natürlich nur für Menschen, die schlecht schlafen. Wer gut schläft, kann alles machen.
Viele Menschen hören zum Einschlafen Podcasts und Hörspiele mit ihren Ear-Pods. Ist das ratsam?
Absolut okay. Der Schlaf braucht öfters mal Rituale oder feste seelische Anker. Bei Kindern ist es oft eine feste Abfolge: Schlafanzug anziehen, Zähne putzen und dann noch eine Geschichte lesen. Bei uns Erwachsenen ist das manchmal noch genauso, auch wenn man sich schämt, zuzugeben, dass man Drei-Fragezeichen-Kassetten hört. Alles, was hilft ist erlaubt – sogar Death Metal.
Was hat im Schlafzimmer absolut gar nichts zu suchen?
Wenn der PC-Schrott der Kinder im Schlafzimmer der Eltern geparkt wird. Wenn das Schlafzimmer vollgemüllt ist und 1000 Elektrogeräte surren, ist das nicht gut. Das Schlafzimmer ist im Vergleich zum Wohnzimmer kein Ort, in dem repräsentiert wird. Entsprechend sieht es da oft aus. Das hat das Schlafzimmer nicht verdient. Etwas mehr Minimalismus kann dem Schlaf helfen.
Viele Menschen haben Stress im Job und können deshalb nicht schlafen. Was hilft?
Ein gewisses Maß an Stress ist sogar förderlich. Wir wissen, dass das Boreout, also die Unterforderung und Langeweile, genauso schädlich ist wie das Burnout. Wer ständig unter Strom steht, muss zusehen, dass er sich nach der Arbeit nicht direkt auf die Couch fläzt, sondern noch Bewegung hat oder in die Sauna geht. Irgendetwas, um den Kopf freizubekommen.
Wie stehen Sie zum Powernap?
Studien zeigen, dass es für viele gesundheitsförderliche Aspekte hat, wenn man 20 Minuten um die Mittagszeit döst. Nicht gut ist, wenn man richtig einschläft. Dann ist der Nachmittag im Quark.
Gibt es eigentlich tatsächlich Menschen, denen dauerhaft vier Stunden Schlaf reicht?
Es gibt weltweit ungefähr 10 Prozent Menschen, die genetisch so prädestiniert sind, dass sie mit vier bis sechs Stunden dauerhaft gesund bleiben. Die suchen sich dann häufig auch Jobs, wo sie wenig Schlaf brauchen. Bei Spitzen-Managern oder Politikerin sind diese Wenig-Schläfer überrepräsentiert. Weitere zehn Prozent der Menschen brauchen neun bis zehn Stunden Schlaf. Das ist doof in einer Gesellschaft, die morgens um acht Uhr anfängt mit Schule, Büro und Kindergarten.