Experte klärt aufSchlafwandeln, kann das eigentlich jedem passieren?
Denken wir an Schlafwandler, haben wir meist Bilder von Mondsüchtigen im Kopf, die mit ausgestreckten Armen auf Dächern balancieren.
Doch was in Comics oft ziemlich lustig aussieht, ist für Betroffene alles andere als ungefährlich. Aber wie wird man eigentlich zum Schlafwandler? Gibt es einen konkreten Auslöser? Kann das jedem Menschen passieren?
Dr. Michael Bohndorf arbeitet als HNO-Facharzt und Schlafmediziner in Düsseldorf und hat die Antworten:
Kann ich von heute auf morgen zum Schlafwandler werden?
Dr. Michael Bohndorf: Das Phänomen des Somnambulismus (lat. Somnus = Schlaf und ambulare = wandern) tritt meist bei Jugendlichen in der Pubertät auf. Man schätzt, dass etwa ein Drittel aufgrund von Fehlschaltungen der Nervenzellen schlafwandelt. Dieses Defizit gibt sich dann im Laufe der Jahre. Bei den Erwachsenen liegt die Quote hingegen schätzungsweise bei nur einem bis fünf Prozent. Hier ist nicht selten Schlafentzug, beispielsweise durch Schichtarbeit, der Auslöser. Eine entscheidende Rolle spielt generell die genetische Veranlagung.
Was passiert beim Schlafwandeln im Kopf?
Dr. Bohndorf: Bei Menschen, die unter dieser Schlafstörung leiden, wird in der Tiefschlafphase der für Bewegung zuständige Gehirn-Bereich aktiviert. Ansonsten sind im Schlaf eigentlich nur noch Klein- und Stammhirn aktiv. Da Kinder eine längere und intensivere Tiefschlafphase haben, schlafwandeln sie auch weitaus häufiger als Erwachsene.
Bekommt der Schlafwandler mit, was er tut?
Dr. Bohndorf: Nein, er bekommt von dem Geschehen nichts mit. Beim Schlafwandeln dominieren Automatismen, also typische Handlungsabläufe: Nicht immer wandern Schlafwandler umher, hin und wieder schauen sie sich auch nur um oder öffnen eine Tür oder ein Fenster. Manche putzen oder kochen sogar im Schlafzustand.
Ist Schlafwandeln gefährlich?
Dr. Bohndorf: In der Tat. Die schlafwandlerische Sicherheit ist leider eine Fiktion. Es kommt immer mal wieder vor, dass Schlafwandler über Gegenstände stolpern, sich an Möbelstücken stoßen oder sogar Treppen hinunter stürzen, wie Medienberichte immer wieder belegen.
Kehren alle Schlafwandler automatisch ins Bett zurück?
Dr. Bohndorf: Nein, das ist nur bei etwa der Hälfte der Schlafwandler der Fall. Die andere wacht nach ihrem nächtlichen „Spaziergang“ woanders auf.
Kann Schlafwandeln gefährliche Ursachen haben?
Dr. Bohndorf: Während Schlafwandeln bei Kindern in der Regel harmlos ist, kann sich bei Erwachsenen dahinter auch eine Erkrankung des Gehirns verbergen. Auf jeden Fall sollte deshalb der Neurologe zu Rate gezogen werden. Ratsam ist gegebenenfalls auch der Besuch eines Schlaflabors. Dort zeigt sich, ob hinter den Symptomen eventuell eine Störung des REM-Schlafverhaltens steckt.
Was kann ich als Betroffener selbst tun?
Dr. Bohndorf: Es gibt verhaltenstherapeutische Übungen, die das Schlafwandeln positiv beeinflussen können. Helfen können auch bestimmte Schlaftabletten, die Benzodiazepine. Aber diese machen abhängig. Grundsätzlich sollten Betroffene Alkohol meiden, denn dadurch verlängert sich der Tiefschlaf, also die Phase des Schlafwandelns.
Was können Eltern tun?
Dr. Bohndorf: Eltern sollten sicherstellen, dass sich ihr Kind bei den nächtlichen Ausflügen nicht verletzen kann. Dazu gehört es, Fenster und Türen abzuschließen. Sinn machen auch „Warnanlagen“ wie etwa Lichtschranken. Die Kinder sollten nicht geweckt werden, sondern an die Hand genommen und zum Bett begleitet werden. Außerdem empfehle ich, auf eine gute Schlafhygiene zu achten.
Das heißt?
Dr. Bohndorf: Es empfiehlt sich, regelmäßige Schlafzeiten einzuhalten und die Reize, beispielsweise durch Fernsehen oder Computerspiele, vor dem Zubettgehen stark einzugrenzen.
Sind Schlafwandler mondsüchtig?
Dr. Bohndorf: Früher wurde Somnambulismus oft als „Mondsüchtigkeit“ bezeichnet. Der in unzähligen Skizzen und Bildern verewigte Schlafwandler auf dem Dach, der im Mondlicht herumgeistert, ist daran sicherlich nicht ganz schuldlos. Heute geht man davon aus, dass sich Schlafwandler grundsätzlich an einer Lichtquelle orientieren – das kann aber auch eine Laterne vor der Haustür sein.