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Schwangerschaft„Medizinisch eine Katastrophe“

Lesezeit 3 Minuten

Die damals 55-jährige Berlinerin Annegret Raunigk posiert mit ihrer Tochter Lelia, ihrem jüngsten und 13. Kind 2005.

Köln – Die Nachricht klang wie ein Scherz: Eine 65-Jährige Berlinerin, bereits Mutter von 13 Kindern, ist mit Vierlingen schwanger. Die Babys sollen im Sommer zur Welt kommen. Dann wäre Annegret Raunigk die älteste Vierlingsmutter der Welt.

Einen Tag später debattiert ganz Deutschland über die Russisch- und Englischlehrerin, die 2006 in einem Interview über sich sagte: „Früher wollte ich nie Kinder haben.“ Trotz dieses frühen Wunsches bekam Raunigk mit 22 ihre erste Tochter, mit 55 brachte sie mit Lelia Kind Nummer 13 zur Welt.

Die Kinder haben fünf verschiedene Väter. Raunigks ältester Enkel ist genauso alt wie ihr jüngster Sohn. 2014 ließ sich die Berlinerin dann mit Mitte 60 noch einmal künstlich befruchten.

Weil Eizellspenden in Deutschland verboten sind, wurde der Eingriff im Ausland vorgenommen. Jetzt ist klar: Aus den gespendenden Ei- und Samenzellen sind Vierlinge entstanden, die nun in der Gebärmutter einer 65-Jährigen heranwachsen. Eine Meldung, die Fragen aufwirft.

Wie können Frauen überhaupt in dem Alter noch schwanger werden?

Laut dem Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands liegt die Chance auf eine Schwangerschaft für Frauen mit 41 Jahren bei 15 Prozent – ab 44 sinkt sie sogar unter acht Prozent. Die Krankenkassen tragen die Kosten für eine künstliche Befruchtung nur bis zum 40. Lebensjahr. Will eine Frau noch mit über 50 schwanger werden will, braucht sie eine Spender-Eizelle – sofern sie nicht schon in jüngeren Jahren eine eigene eingelagert hat (Social Freezing). Allerdings sind Eizellspenden nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz strafbar. Viele Frauen lassen den Eingriff deshalb im europäischen Ausland vornehmen.

Wie hoch ist das Risiko einer solchen Schwangerschaft?

„Prinzipiell kann eine 65-jährige Frau eine Schwangerschaft austragen“, sagt Professor Peter Mallmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Uniklinik Köln. „Das Risiko ist jedoch bereits bei einer eineiigen Schwangerschaft sehr hoch. Eine Vierlingsschwangerschaft bei einer 65-jährigen Frau ist aus medizinischer Sicht eine Katastrophe.“ Aus geburtshilflicher Sicht sei „dieser Fall unverantwortlich“, sagt Mallmann.

Welche Komplikationen drohen?

„Das Risiko der Frühgeburtlichkeit zu einem sehr frühen Zeitpunkt ist extrem hoch“, sagt Peter Mallmann. Das könne zu bleibenden Schäden der Kinder führen. Auch für die späte Mutter ist die Geburt nicht ungefährlich: Für Frauen unter 30 Jahren kommen in Deutschland auf 100?000 Geburten nur 1,4 Todesfälle aufgrund von Komplikationen in der Schwangerschaft. „Dieses Risiko steigt bereits im Alter von 44 Jahren auf 166 Todesfälle pro 100?000 Geburten an“, sagt Mallmann. Für 65-Jährige gebe es keine statistischen Werte.

Warum wollen manche Frauen überhaupt noch so spät ein Kind?

Frauen mit derart spätem Kinderwusch wie Annegret Raunigk habe sie noch nie in der Praxis gehabt, sagt die Frauenärztin Gabrielle Stöcker, die bei proFamilia in Köln Paare mit unerfülltem Kinderwusch berät. Manchmal sei es „ein Verneinen oder Nicht-Wahrhaben-Wollen der eigenen Biologie“, sagt Stöcker. „Schwangersein hat ja viel mit Weiblichkeit zu tun.“

Was ist davon ethisch zu halten?

Mit dem Argument, das sei unnatürlich, könne man die künstliche Befruchtung einer 65-Jährigen nicht verurteilen, sagt Heiner Fangerau, Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uniklinik Köln. „Wir verändern die Natur in vielen Bereichen der Medizin ja ganz bewusst.“ Trotzdem sei der Fall aus ethischer Sicht nicht unproblematisch. Vor allem, weil die Schwangerschaft große medizinische Risiken mit sich bringe – und Folgen habe wie die, dass die Mutter schon 80 ist, wenn die Kinder in der Pubertät sind.

Zudem könne es bei einer Frau, die bereits 13 Kinder hat, nicht um den Leidensdruck der Kinderlosigkeit gehen, „sondern um die Erfüllung eines Wunsches mit unkalkulierbaren Risiken.“