Schwimmen ist gesund – aber nicht immer. Was der Sport leisten kann, haben wir uns im Höhenbergbad angeschaut und von Experten erklären lassen.
Kurse in Sekunden ausgebuchtDarum wollen so viele Erwachsene in Köln richtig Kraulschwimmen lernen
An diesem einen Nachmittag auf Gran Canaria mussten Hendrik und seine Schwester die Urlaubsplanung nach den Kölnbädern ausrichten. „Ich hab zu ihr gesagt: Wir müssen um Punkt 17 Uhr irgendwo sein, wo es Wlan gibt. Ich komme sonst nicht in den Kurs rein!“, erzählt Hendrik. Bei besagtem Kurs handelt es sich um den „Erwachsenen Technikkurs“, ein Schwimmtraining für Erwachsene. In 19 Einheiten zwischen Jahresanfang und Sommerferien üben die sechs Teilnehmenden verschiedene Techniken – Brust, Kraul, Rücken, sogar ein bisschen Delfin. Hendriks Kurs im Höhenbergbad war innerhalb von fünf Minuten ausgebucht, andere Angebote in Bädern in Innenstadtnähe sogar innerhalb von Sekunden. Doch warum sind diese Kurse der Kölnbäder so begehrt? Können so viele Erwachsene nicht richtig schwimmen? Und was kann Schwimmen als Sportart überhaupt leisten?
Los geht es an diesem Montagabend um 20 Uhr. Die äußerste Bahn des Schwimmerbeckens im Höhenbergbad ist für den Technikkurs reserviert. Hendrik und die anderen Teilnehmenden schwimmen sich erstmal warm, dann geht es mit den Übungen los. Die Teilnehmenden sollen sich die „Pull Buoy“, eine blau-weiße, achtförmige Schwimmhilfe wie eine Sonnenbrille auf die Nase legen und dann Rückenkraul üben – ohne, dass das Schaumstoffteil herunterfällt, versteht sich. Trainiert werden im Technikkurs verschiedene Schwimmlagen. „Aber die meisten kommen her, weil sie sich im Kraulen verbessern wollen“, sagt Kursleiter Marco Gödde. Deswegen geht’s gleich danach auch mit einer Kraul-Übung weiter: Diesmal klemmt die Schwimmhilfe zwischen den Oberschenkeln und Armzüge werden geübt – zwei Züge rechts, zwei Züge links, dazwischen atmen. Marco Gödde läuft derweil am Beckenrand entlang, nimmt nacheinander jeden genau in den Blick und ruft Hilfestellungen in Richtung Wasser: „Den Arm länger liegen lassen“, oder „Den Oberkörper beim Atmen mehr aufdrehen!“.
Genau wegen solcher Hinweise ist Hendrik hier. „Ich bin an der Nordsee geboren und gehe seit meiner Kindheit regelmäßig schwimmen, aber immer nur Brust, nie Kraul.“ Vor zwei Jahren zog er nach Köln und beschloss, daran etwas zu ändern. Er belegte den ersten Technikkurs. Und blieb dran: Mehrmals im Jahr sitzt er nun vor dem Computer, wenn die Kölnbäder die neuen Kurse freischalten, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Der aktuelle Kurs ist sein fünfter. „Ich beherrsche die Technik jetzt, will aber noch besser werden.“ Das Ziel des Triathleten: Irgendwann die Wasserstrecke nicht mehr mit Brustschwimmen, sondern mit Kraul zu überwinden. „Bisher bin ich mit Brust auf die lange Strecke aber immer noch schneller.“
In den allermeisten Ländern lernen Kinder als erstes Kraulschwimmen
Ein Problem, das es so vor allem in Deutschland gibt, erklärt Ilka Staub, Doktorin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „In Deutschland lernt man Brustschwimmen als erstes – und dann oft nichts darüber hinaus.“ In den allermeisten anderen Ländern würden die Kinder als erstes Kraulschwimmen lernen – allerdings eine Vorform des Kraulens, bei der der Kopf zunächst noch über Wasser ist. „Wenn ein Erwachsener hier in Deutschland richtig Kraulschwimmen kann, hat er es oft im Verein gelernt, die Schulen können das in den meisten Fällen nicht leisten.“
Doch warum ist es überhaupt so attraktiv kraulen zu können? Einerseits, erklärt Ilka Staub, weil es die schnellste Art zu schwimmen ist – zumindest, wenn man es kann. Andererseits, und das ist vermutlich noch viel wichtiger, weil es deutlich gelenkschonender ist. Denn die tolle gesundheitsfördernde Wirkung, die man dem Schwimmsport allgemein attestiert, gilt nicht unbedingt für die Brust-Lage. Wer schon mal eine halbe Stunde lang mit dem Kopf über Wasser Brust geschwommen ist, weiß: Da sind die Nackenschmerzen vorprogrammiert. Und bei intensiverem Training kann Brustschwimmen sogar belastend für Knie und Hüfte sein, erklärt Staub. „Beim Brustbeinschlag tritt man das Wasser quasi mit der Beininnenseite weg, und das ist eine unnatürliche Bewegung.“ Der Kraulbeinschlag, also dieses schnelle Paddeln, sei hingegen entlastend für die Knie.
Das ist auch der Grund, warum Gisela Lorenz montagsabends ins Höhenbergbad radelt. Weil die 47-Jährige unter Knieproblemen leidet, kann sie nicht mehr wandern und walken. „Ich wollte aber gerne eine Ausdauersportart machen. Und da Brustschwimmen auch schlecht für die Knie ist, wollte ich kraulen lernen.“ Im vergangenen Sommerurlaub versuchte sie sich, die Technik am Hotelpool selbst beizubringen. „Aber hier lerne ich es jetzt nochmal neu und richtig“, sagt sie und lacht. „Manche Sachen funktionieren noch nicht so gut, aber mit den Tipps wird es immer leichter.“ Die Kurse sind so angelegt, dass man die erlernten Techniken nach der letzten Stunde weiterhin privat anwenden kann. Gisela Lorenz kann sich gut vorstellen, das so zu handhaben und regelmäßig alleine weiter schwimmen zu gehen. „Aber ich merke schon, dass mir der feste Termin guttut. Deswegen würde ich gerne noch einen Kurs draufsetzen. Finanziell leisten kann ich es mir zum Glück.“
Wer Schwimmen als Ausdauersportart wählt, hat höhere Kosten und einen höheren Zeitaufwand
Denn zusätzlich zu den Gebühren für den Kurs (pro Einheit sind das 9,50 Euro) muss jeder Teilnehmende noch den Eintritt ins Bad zahlen. Für das Höhenbergbad liegt der Tagestarif für Erwachsene bei 6,30 Euro, ebenso wie im Lentpark oder im Stadionbad; in Rodenkirchen oder Chorweiler kostet der Tarif 5,30 Euro, im Agippabad gar 9,90 Euro. Das läppert sich. Dazu die Anfahrt zum Bad, umziehen, duschen, die Wäsche im Anschluss. Wer Schwimmen als Ausdauersportart wählt, hat nicht nur höhere Kosten, sondern auch einen höheren Zeitaufwand als beispielsweise Jogger, die sich einfach ihre Schuhe überstülpen und loslaufen. Was also ist so toll am Schwimmen? „Ich hab mich schon immer im Wasser wohlgefühlt. Und mein Übergewicht spüre ich im Wasser nicht“, sagt Gisela Lorenz. „Zudem finde ich es reizvoll, dass ich diesen Sport bis ins hohe Alter machen kann.“
Tatsächlich könne man im Schwimmsport auch im Alter noch problemlos neue Techniken lernen, sagt Expertin Ilka Staub. Mehr noch: „Im Wasser ist es durch den Auftrieb tatsächlich so, dass diejenigen, die etwas beleibter sind, einen Vorteil haben.“ Schwimmen entlastet den Rücken, baut Muskulatur auf, verbrennt Kalorien und ist als Ausdauersportart – ähnlich wie Laufen und Radfahren –gut fürs Herz-Kreislauf-System. „Allein das Eintauchen ins Wasser hat positive Effekte auf Herz und Kreislauf“, erklärt Staub. „Dadurch kommt es zu einem Immersionseffekt, der bewirkt, dass unser Blut umverteilt und aus den Extremitäten Richtung Rumpf gezogen wird. Die Immersion und die unterschiedlichen Auftriebsverhältnisse erzeugen eine Art von Schwerelosigkeit.“ Gerade deswegen, sagt Ilka Staub, die selbst Leistungsschwimmerin war, fühle man sich leicht und ein bisschen berauscht, wie in einer anderen Welt. „Vollständig einzutauchen, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Man hört das Wasser rauschen. Man sieht nur noch die Unterwasserwelt. Man ist wirklich weg.“
Zumindest so lange, bis man wieder Luft holen muss. Und das ist die größte Herausforderung dieser Schwimmlage: „Nicht atmen zu können, ist bedrohlich. Deswegen hängt beim Schwimmen alles an der Atmung: Bewegung und Atmung müssen von Anfang an zusammenpassen, sonst kann man nicht Kraulschwimmen“, erklärt Ilka Staub. Im Vergleich zu Landsportarten wie Joggen und Radfahren sei Schwimmen deswegen sehr techniklastig. Eine Technik, die man sich nur schwer selbst mit Video-Tutorials beibringen könne. „Es hat viel mit dem Wassergefühl zu tun und auch mit individuellen Voraussetzungen – so etwas kann nur eine ausgebildete Kursleitung berücksichtigen“, sagt Staub.
Das Level in den Schwimmkursen ist immer etwas verschieden und die Leute haben unterschiedliche Erwartungen
Genau das tut Trainer Marco Gödde gerade im Höhenbergbad. Er teilt die Gruppe auf: Gisela und die andere weibliche Teilnehmerin sollen weiter die Kraul-Armzüge üben und dabei möglichst wenig Beinschlag machen, Hendrik und der andere männliche Teilnehmer bekommen eine fortgeschrittene Version der Übung. „Das Level in den Kursen ist immer etwas verschieden und die Leute haben unterschiedliche Erwartungen“, sagt Gödde. „Aber nach zehn Minuten kann ich das einschätzen und passe das Programm entsprechend an.“ Gödde, 57 Jahre alt, ehemals Wettkampfschwimmer, Diplompädagoge und Kanu-Lehrer, arbeitet seit zwölf Jahren als Schwimmtrainer bei den Kölnbädern.
35 Kurse á 45 Minuten gibt er pro Woche, von Anfänger-Kursen für Erwachsene bis hin zu Technik-Kursen für Fortgeschrittene, gerade leitet er seinen neunten und letzten Kurs für heute. „Wir haben hier in Köln ein richtig modernes, sportpädagogisches Weiterbildungsprogramm. Das ist schon besonders.“ Und das Interesse an diesem Programm sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen, hat Gödde beobachtet. Er führt das auf zwei Dinge zurück: „Erstens ist so ein Kurs eine soziale Angelegenheit: Du hast einen verbindlichen Termin, wo du verbindlich Leute triffst. Das ist angesagt. Und zweitens haben viele Menschen ein ganz anderes Körperbewusstsein. Viele sagen mir: Ich habe Knieprobleme und mein Arzt hat mir empfohlen, Kraul zu lernen.“
Das Interesse am Schwimmsport ist da
Offizielle Zahlen bestätigen das, zeigt die Verbrauchs- und Medienanalyse VuMA: So gab es im Jahr 2021 rund 7,54 Millionen Menschen in Deutschland, die in ihrer Freizeit mehrmals im Monat schwimmen gingen. 1,1 Millionen übten dieses Hobby sogar mehrmals in der Woche aus, knapp 400.000 Menschen mehr als noch 2018. Das Interesse am Schwimmsport ist also da, doch was tun, wenn man als Kind schwimmen gelernt, dann jahrzehntelang nur ein bisschen im Meer geplanscht hat und nun, mit den ersten Gelenkproblemen, gerne seine Schwimmfähigkeiten wieder ausbauen würde? Wer es nicht in einen Kurs der Kölnbäder schafft, kann sich das Angebot großer Vereine anschauen, wie zum Beispiel beim SC Janus in Köln. Auch im Umland werden manchmal Technikkurse für Erwachsene angeboten. Möglich ist natürlich auch die Mitgliedschaft in einem klassischen Schwimmverein – hier sollte man aber vorher schauen, ob es überhaupt ein Angebot für Erwachsene gibt.
Ilka Staub empfiehlt, gezielt nach „Schwimmcamps“ Ausschau zu halten: „Viele Vereine oder Organisationen bieten ab und zu solche Camps an, in denen man seine Technik verbessern kann. Das ist dann wie ein Boost: Danach kann man wieder eine Weile weiterschwimmen und das Gelernte anwenden.“ Und wer sich dafür fest mit einer Freundin oder einem Freund verabredet, hat auch den sozialen Druck, den manche ja brauchen, um ihren inneren Schweinehund auszutricksen. Und dann sollte man sich ganz auf den Flow einlassen, empfiehlt Ilka Staub, und ruhig und entspannt seine Bahnen ziehen. „Schwimmen ist auch die Entdeckung der Langsamkeit.“
- Kölnbäder: Fünf verschiedene Kursarten für Erwachsene: Anfänger, Aufbau, Technik, Technik Kraul, Anfänger Kraul
shop.koelnbaeder.de/de/courses - SC Janus: Verschiedene Schwimmkurse für Technik und Kondition sowie Kurse für die Leistungsgruppe, die vor allem ihr Tempo erhöhen will.
sc-janus.de/sportangebot - SSF Bonn: Kraul-Kurse für Erwachsene an mehreren Abenden pro Woche bieten die Schwimm- und Sportfreunde Bonn an
ssfbonn.de/schwimmkurse/#1643115602433-e5aff2ec-3222 - TPSK: Auch der Kölner Sportverein TPSK bietet Kurse für Erwachsene an, die ihre Schwimmtechniken verbessern wollen. Zurzeit gibt es jedoch keine freien Plätze.
www.tpsk-wasser.de/de/Abteilungen/schwimmen/erwachsene - Kopfsprung Köln e.V.: Der Kölner Schwimmverein hat ebenfalls ein kleines Angebot für Erwachsene.
www.kopfsprung-koeln.de/vereinsangebot/erwachsenenschwimmen - Sharky Sportsclub: Techniktraining für Erwachsene in Kleingruppen gibt es auch im Sharky Sportsclub, allerdings muss man sich hier auch auf die Warteliste setzen lassen.
www.sharky-sportsclub.de/erwachsene/#Techniktraining - Franzis Schwimmschule: Die Schwimmtechniken verbessern ist hier das Ziel. In der Aquarena Neunkirchen-Seelscheid gibt es freitagsabends einen Technik-Kurs – der allerdings auch schon früh ausgebucht ist.
www.franzisschwimmschule.de/anmeldung-technikkurs