Sinnesorgan HautTraining für den Tastsinn

Die Haut des Menschen bündelt überlebenswichtige Informationen und funkt sie ans Gehirn.
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Es ist ratsam, lieber nicht „aus der Haut zu fahren“, denn die Haut als größtes Sinnesorgan des Menschen hält den Körper zusammen, ist überlebenswichtige Barriere gegen die Außenwelt und Zentrum des Fühlens und Tastens. Ohne Haut kann der Mensch nun mal nicht existieren.
Die Haut ist in jeder ihrer drei Schichten gespickt mit Sensoren, am dichtesten dort, wo wir von Natur aus unbehaart sind. Professor Rüdiger Köhling, Neurophysiologe und Institutsdirektor an der Universität Rostock: „Das sind unsere Handinnenflächen und die Fußsohlen. In der frühen Entwicklungsgeschichte der Menschheit haben wir ja auch die Füße zum Greifen genutzt, was wir bei unseren Freunden, den Affen, noch gut beobachten können. Wir brauchen die hohe Sensorendichte an diesen Stellen für unsere Motorik.“ Den Höhepunkt in puncto Sensorendichte bilden neben Lippen, Zunge und erogenen Zonen die Fingerkuppen, denn sie können selbst winzige Erhebungen von unvorstellbaren 0,003 Millimeter ertasten. Die Hautsensoren leiten dem Gehirn die notwendigen Informationen weiter, damit die grauen Zellen kombinieren können, was wir gerade berühren und tun.
Der Test zeigt, wie hochsensibel Fingerkuppen sind. Kleben Sie ein Pflaster auf Ihre Fingerkuppen. Probieren Sie diesen Test wahlweise mit drei oder allen fünf Fingerkuppen. Wenn Sie die Fingerkuppen beklebt haben, versuchen Sie, ein Ei zu pellen, ein Hemd zuzuknöpfen oder einen Deckel auf eine Flasche zu schrauben. Wer es sich noch ein bisschen schwerer machen will, darf es einmal mit geöffneten und einmal mit geschlossenen Augen testen. (mas)
Werden die Tastsinn-Bahnen, die uns von Kopf bis Fuß durchziehen, beschädigt oder durch Krankheiten in ihrer Funktion beeinträchtigt, gerät die sensorische Wahrnehmung des Menschen in Schieflage. Auch dann, wenn diese Tastsinn-Bahnen nicht genug zu tun haben, denn: Beschäftigung schärft den Tastsinn. Rüdiger Köhling: „Die Zahl der Sensoren lässt sich nicht verändern, aber man kann den Tastsinn und damit die Verarbeitung der Informationen im Gehirn trainieren. Das heißt: benutzen, benutzen, benutzen – je häufiger, desto präziser kann das Gehirn die Abbildung widerspiegeln.“ Das geschieht in einer rasanten Geschwindigkeit. Tastsinn-Infos legen schnelle 100 Meter in einer einzigen Sekunde zurück.
Überlebenswichtige Reize
Ganz anders reagieren gottlob Schmerz-Informationen. Sie funken mit langsamen ein bis zehn Metern pro Sekunde ihre Informationen, lösen gleichzeitig überlebenswichtige Reize aus und steigern den Ausstoß opiatähnlicher Substanzen. „Unser Körper ist nun mal auf Überleben programmiert“, sagt Köhling. Was den Schmerz angeht, ist der Organismus erfinderisch, um sich unnötige Pein zu ersparen. Vor allem Läufer und Rennrad-Fahrer tricksen ihre Sensoren in der Haut gern aus und rasieren sich die Körperhaare an Armen und Beinen ab, „weil die Verletzungsgefahr geringer ist, denn rasierte Haut schliddert besser über Asphalt. Und ohne Haare tut es weniger weh“, so Köhling. Was glatt rasierten Sportlern oder modebewusst rasierten Männern und Frauen allerdings abgeht, ist das Feingefühl, das die Körperhärchen vermitteln. „Der Flaum auf unserer Haut ist wichtig, denn die Härchen sind die Sicherheitsposten und registrieren bereits auf eine Krümmung von wenigen millionstel Millimetern. Einen noch so geringen Lufthauch kann man besser mit behaarter Haut spüren.“
Der Thalamus sortiert vor
Tröstlich ist, dass Kleidung und Schuhe die empfindlichen Sensoren nicht in ihrer Arbeit beeinträchtigen. Köhling: „Der Thalamus, eine Schaltstelle im Gehirn, sortiert vor, welche Information weitergeleitet wird und welche nicht.“ Wenn man sich morgens ankleidet, dann reicht die einmalige Übermittlung, dass der Stoff des Oberhemdes nun auf der Haut liegt. „Wir würden ja verrückt werden, wenn das Gehirn ständig mit diesen unwichtigen Nachrichten bombardiert wird.“ Damit Sinne und Gehirn so tadellos zusammen arbeiten, ist ein lebenslanger Lernprozess vonnöten. „Das Lexikon des Spürens und Fühlens entsteht im Kopf, und jeder kann beeinflussen, wie viele Lexikon-Bände er anlegen will. Wer das Spüren und Tasten trainiert, der animiert die Gedächtnisleistung.“
Von diesem Wissen profitiert der Mensch im Alter, wenn naturgemäß die Sinne etwas schwächeln, denn die Zahl der Rezeptoren nimmt ab und die Signale werden nicht mehr lückenlos ans Gehirn weitergeleitet. Meist spürt der ältere Mensch das im Alltag wie beim Zuknöpfen der Jacke. Köhling: „Im Alter wird die Haut zudem trockener und ist weniger elastisch, wodurch das Spüren eingeschränkt wird. Aber ein gesundes und aktives Gehirn kann dieses Defizit ausgleichen.“ Bewusst ausgetrickst werden Hautsensoren nur bei einer Narkose. Köhling: „Man weiß nicht genau, warum der Mensch bei einer Vollnarkose bewusstlos wird. Fakt ist, dass die Sensoren zwar arbeiten, aber keine Informationen mehr ans Hirn durchreichen können.“ Gut so!