Stimmt's?Halbwahrheiten der Medizin aufgeklärt

Gut für die Gesundheit oder nur etwas für Masochisten: Was bringt kaltes Duschen?
Copyright: dpa Lizenz
Was ist dran an den Mythen und Weisheiten über unseren Körper und verschiedenste Krankheiten? Nicht wenige sind falsch oder längst widerlegt, halten aber dennoch hartnäckig. Die Aussage „Lesen im Dunkeln schadet den Augen“ zum Beispiel, oder „Wunden heilen an der Luft am besten“.
Andere Weisheiten stimmen tatsächlich und haben sich bewährt. Die kalte Dusche etwa kann tatsächlich dazu beitragen, dass man fitter und weniger anfällig für Infekte ist. Bei nicht wenigen Gesundheitsmythen ist es jedoch komplizierter. In ihnen steckt ein Körnchen Wahrheit oder sie stimmen nur zum Teil. Etwa die Aussage, dass Vitamin C vor Erkältungen schützt.
Mit diesen mehr oder weniger richtigen „Wahrheiten“ hat sich Carsten Lekutat in seinem neuen Buch beschäftigt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Fernsehsendung („Der Gesundmacher“, WDR) hat die medizinischen Volksweisheiten hinterfragt und nach wissenschaftlichen Studien gesucht, die sie stützen oder widerlegen. Die manchmal überraschenden Ergebnisse erklärt er im Ratgeber „Die Halbwahrheiten der Medizin“ (160 Seiten, 14,99 Euro) spannend und anschaulich.
Warum genau die kalte Dusche die Immunabwehr stärkt, was Vitamin C bei einer Erkältung ausrichten kann und wie sich der Schokoladenkonsum auf die Haut auswirkt – eine kleine Auswahl der Halbwahrheiten.
Nächste Seite: Kaltes Duschen härtet ab
Kaltes Duschen härtet ab
In der Großelterngeneration hieß ein Sprichwort: „Ein bisschen hungern und ein bisschen frieren, und du wirst hundert Jahre alt.“ Doch härtet Frieren tatsächlich ab? Was bringt die kalte Dusche am Morgen, auf die so viele schwören?
Es gibt Studien, die Wechselduschen und Saunagängen Abhärtungseffekte auf unsere Immunabwehr zuschreiben. In der Universitätsklinik Jena wurden Menschen mit chronischer Bronchitis mit Wasseranwendungen nach Kneipp behandelt. Nach zehn Wochen wurde die Immunabwehr der Patienten gemessen. Die Anzahl der Lymphozyten (Blutzellen, die für die Krankheitsabwehr verantwortlich sind) war um 13 Prozent gestiegen. Zudem sank die Zahl der Infektionen. Für chronisch Lungenkranke ein entscheidender Vorteil, denn jede Lungenentzündung kann tödlich enden.
Forscher glauben an einen Lerneffekt des Körpers. Die unterschiedlichen Temperaturen sind für ihn ein Training. Übt man unter der Dusche den Temperaturwechsel, kann der Körper während des Tages schneller auf verschiedene Temperaturen reagieren. Denn den Temperaturunterschieden unserer Umwelt sind wir heutzutage viel seltener ausgesetzt.
Wir steigen von der warmen Wohnung ins Auto mit Klimaanlage, gelangen möglicherweise sogar aus der Tiefgarage ins klimatisierte Büro. Und geraten wir dann doch mal aus einer überheizten U-Bahn voller verschnupfter Pendler an einen kalten zugigen U-Bahnhof, erwischt uns die Erkältung, weil unser Körper nicht schnell genug auf die Temperaturschwankung reagiert.
Fazit: Stimmt. Forscher konnten einen positiven Effekt von Wechselduschen auf das Immunsystem feststellen, die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte konnte wirksam gesenkt werden. Die meisten Menschen, die regelmäßig kalt duschen, empfinden das als belebend und erfrischend. Fast alle behaupten, sie seien weniger häufig krank.
Nächste Seite: Vitamin C und Zink schützen vor Erkältungen
Vitamin C und Zink schützen vor Erkältungen
In seiner Praxis höre er immer wieder, dass Patienten auf große Mengen an Vitamin C oder Zink schwören. Und zwar in jeder Form: Als Brausetabletten, Kapseln, als frisch gepresste Südfrüchte oder als Hochdosis-Infusion bei Naturärzten, beschreibt Carsten Lekutat. Doch wirkt die Wunderwaffe gegen Infektionen? Können wir mit Vitamin C oder Zink Erkältungen vorbeugen?
Im menschlichen Stoffwechsel entstehen neben anderen Substanzen sogenannte freie Radikale. Sie schädigen Bausteine der Zellen, werden verdächtigt, uns schneller altern zu lassen und schwächen das Immunsystem. Mit sogenannten Radikalenfängern neutralisiert unser Körper die Stoffe, der bekannteste ist Vitamin C.
Wenn unser Immunsystem die freien Radikale durch Vitamin C abwehrt, müsste das Vitamin doch dafür sorgen, dass wir weniger häufig krank werden, so die Theorie. Studien haben diesen Effekt nicht bestätigt. Bei einer Studie bekamen Testpersonen mehr als 200 Milligramm Vitamin C am Tag. Nur bei Extremsportlern und Menschen, die unter extremeren klimatischen Bedingungen lebten, hatte Vitamin C diesen Schutzeffekt.
Hat einen die Erkältung bereits erwischt, kann Vitamin C die Dauer der Infektion allerdings verkürzen. Bei Erwachsenen um acht Prozent, bei Kindern um 14 Prozent. Dafür sollte man die empfohlene Tagesmenge von 100 Milligramm Vitamin C verdoppeln.
Bei Zink gibt es Hinweise darauf, dass der Mineralstoff genau das macht, was man sich vom Vitamin C erhofft hatte: Erkältungen verhindern und verkürzen. Wird Zink als Nahrungsergänzung ab dem ersten Erkältungstag eingenommen, vermindert es Stärke und Dauer der Krankheit. Auch vorbeugend wirkt Zink.
Im Rahmen einer Studie bekamen 100 Erwachsene nach Ausbruch einer Infektion Zinktabletten. Ergebnis: Die Krankheitsdauer konnte von im Schnitt fast acht Tagen auf etwa fünf Tage verkürzt werden. Der Mineralstoff steckt nicht in Obst und Gemüse, sondern ist zum Beispiel in Austern, und Kalbsleber, Linsen und Sojabohnen enthalten.
Fazit: Stimmt zum Teil. Vitamin C kann Erkältungen nicht verhindern, es kann die Dauer der Erkältung etwas verkürzen. Zink scheint tatsächlich Erkältungen verkürzen oder sogar verhindern zu können.
Nächste Seite: Schokolade macht Pickel
Schokolade macht Pickel
Bis zu 95 Prozent der Jugendlichen haben Aknepickel. Trotzdem gilt pickelige Haut nicht als normal. Viele leiden darunter und probieren alles Mögliche aus. Salben, Tiefenreinigung beim Hautarzt, Antibiotika oder eben den Verzicht auf Schokolade, weil sie gehört haben, die Schoki sei schuld.
Doch wie entstehen die Hautunreinheiten? Wie eine Schutzcreme sorgt der Talg dafür, dass unsere Haut und die kleinen Haare geschmeidig gehalten werden. Das schützt vor Hauterkrankungen durch Chemikalien oder Keime. Die Funktion der Talgdrüsen wird unter anderem durch Hormone gesteuert. Und die geraten in der Pubertät durcheinander. Die Talgproduktion verändert sich, dadurch bilden sich Mitesser, die sich leicht entzünden. Sind Bakterien an der Entzündung beteiligt, können Pusteln entstehen.
Kann eine falsche Ernährung die Akne verschlechtern? Oder gibt es sogar eine „Akne-Diät“? Bis heute existiert keine verlässliche Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Pickeln zeigen konnte. Man fand aber heraus, dass hohe Mengen an Vitamin B12 durchaus Akne hervorrufen können. Dafür müsste man jedoch große Mengen Nüsse essen oder sehr viel Multivitaminsaft trinken. Für einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Pickeln und einem erhöhten Schokoladengenuss gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Beweis.
Fazit: Stimmt nicht. Schokolade lässt keine Pickel sprießen. Die Akne ist eine Erkrankung des Talgdrüsenapparates der Haut und unabhängig von unserem Schokoladenkonsum.
Nächste Seite: Nach dem Essen sollst du ruh‘n oder tausend Schritte tun
Nach dem Essen sollst du ruh‘n oder tausend Schritte tun
Jeder kennt das Sprichwort. Doch es lässt einen ratlos zurück. Was ist denn nun besser nach einer üppigen Mahlzeit: Ausruhen oder Bewegung?
Nach dem Essen schaltet der Körper auf Verdauung um. Sich direkt nach dem Essen hinzulegen ist deshalb nicht die beste Idee. Der Nahrungsbrei im Magen stimuliert die Magensäureproduktion. Fließt die Säure in die Speiseröhre zurück, verursacht das Sodbrennen. Das ist unangenehm und gesundheitsschädlich. Legt man sich nach dem Essen hin, ist der Verschlussdruck des Mageneingangs weniger stark. Speisebrei und Magensäure können leichter zurückfließen.
Also doch lieber laufen nach dem Essen? Eher nicht. Die Verdauung wird beim Menschen durch den Ruhenerv (Nervus vagus) stimuliert, der weniger mit sportlicher Betätigung zu tun hat. Außerdem ist das Verdauen anstrengend, so dass nach dem Essen keine körperlichen Höchstleistungen erbracht werden können. Das Blut steckt eher im Bauchraum als in der Muskulatur, wir fühlen uns müde und können uns schlechter konzentrieren.
Wir sollten lieber den gesunden Menschenverstand einsetzen, als auf das alte Sprichwort zu vertrauen, rät Carsten Lekutat. Nach einer leichten Mahlzeit sei gegen einen Spaziergang nichts einzuwenden. War das Mahl sehr üppig, sollte man besser noch ein bisschen sitzen bleiben und sich ausruhen. Auch gegen ein Nickerchen nach dem Essen spreche nichts, wenn man keine Beschwerden mit Sodbrennen hat.
Fazit: Stimmt nur zum Teil. Das Hinlegen nach einer üppigen Mahlzeit kann zu Sodbrennen führen. Also ist ruhen, zumindest im Liegen, nach dem Essen nicht immer zu empfehlen. Aber auch eine große sportliche Belastung ist nicht empfehlenswert.
Nächste Seite: Lesen im Dunkeln schadet den Augen
Lesen im Dunkeln schadet den Augen
Nicht mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lesen, das schadet den Augen! Dieser Satz ist wohl vielen aus der Kindheit bekannt. Aber stimmt er auch?
Augen müssen sich in der Dunkelheit mehr anstrengen, um kleine Buchstaben zu erkennen. Bei gesunden Augen funktioniert das auch bei weniger Licht einwandfrei, auch wenn die Muskeln im Auge hierfür Schwerstarbeit leisten müssen. Allerdings ermüden die Augenmuskeln schneller und dadurch verschlechtert sich die Sehkraft kurzfristig. Sind die Muskeln am nächsten Morgen wieder ausgeruht, ist auch das Sehvermögen erneut voll da.
Ermüdung und Anspannung können ein Grund sein, warum manche Menschen über Kopfschmerzen beim Lesen in der Dunkelheit klagen. Dann führt die Anspannung der Augen-Muskulatur zu einem Spannungsgefühl. Außerdem zwinkern wir beim Lesen im Dunkeln weniger, um die Lichtstrahlen besser einfangen zu können, dadurch werden unsere Augen trocken. Die Folgen können Rötungen und Schmerzen sein, die verschwinden, wenn sich das Auge anschließend ausruhen kann.
Achtung: Kinder, die über eine längere Zeit die Augen in der Dunkelheit stark anstrengen, können dadurch tatsächlich kurzsichtig werden. In dieser Phase des Wachstums kann sich der Augenmuskel, der beim Dämmerungssehen kürzer wird, nicht mehr zurückziehen. Die Sehschwäche bleibt dann bestehen. Das ist jedoch ausgesprochen selten und passiert nur, wenn ein Kind zum Beispiel jeden Abend mehrere Stunden lang unter der Bettdecke liest.
Fazit: Stimmt nicht. Wenn man es nicht übertreibt, schadet das Lesen bei Dämmerlicht den Augen nicht. Durch die vermehrte Anstrengung kann allerdings kurzfristig die Sehkraft abnehmen. Das Auge erholt sich aber schnell.
Nächste Seite: Gerade zu sitzen ist das Beste für den Rücken
Gerade zu sitzen ist das Beste für den Rücken
Gemütliches Fläzen gilt als unhöflich und als Gift für die Wirbelsäule. Doch ist ein gerader Rücken ein gesunder Rücken?
Laut einer Studie der Deutschen Sporthochschule in Köln sitzen wir jeden Tag ungefähr fünfeinhalb Stunden. Das ist ein Problem, denn unser Rücken ist für längeres Sitzen nicht geeignet. Starres Sitzen verlangt der Rückenmuskulatur einiges ab. Sie muss ständig Haltearbeit leisten und verspannt. Andere Muskelgruppen erschlaffen und bilden sich zurück. Die Bandscheiben werden einseitig belastet und aufgrund der fehlenden Bewegung schlechter mit Nährstoffen versorgt.
Das aufrechte Sitzen ist zudem nicht die natürliche Form des entspannten Sitzens. Wissenschaftliche Messungen zeigen, dass wir Wirbelsäule und Bandscheiben stärker beanspruchen, wenn wir angespannt auf einem Stuhl sitzen, als wenn wir im Sessel lümmeln. Wer im Sitzen etwas für die Bandscheibe tun will, sollte die Rückenlehne seines Stuhls auf 135 Grad einstellen. Also zwischen aufrechtem Sitzen (90 Grad) und flachem Liegen (180) Grad. So ist die Bandscheibe am wenigsten belastet.
Daneben benötigen die Bandscheiben und Gelenke Bewegung. Knorpel und Bandscheibengewebe ernährt sich durch die sie umgebende Flüssigkeit. Nur durch Bewegung können die Nährstoffe eindringen. Deshalb sollte man die Sitzhaltung immer wieder wechseln. Mal nach vorne gebeugt sitzen, mal gerade und dann wieder nach hinten gelehnt.
Fazit: Stimmt nicht. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Sitzposition mit einer um 135 Grad nach hinten geneigten Rückenlehne am besten für den Rücken ist. Wichtig beim Sitzen ist jedoch vor allem, nicht steif dazusitzen, sondern dynamisch und sich viel zu bewegen.
Nächste Seite: Wunden heilen an der Luft am besten
Wunden heilen an der Luft am besten
Aufgeschlagene Knie und Schürfwunden gehören zur Kindheit einfach dazu. Doch wie soll die Wunde heilen? Gut verbunden unter einem Pflaster oder heilt sie besser an der frischen Luft, wie das Sprichwort sagt?
Lange Zeit war die Austrocknung der Wunde das Ziel der Behandlung. Erst 1962 begründete der Arzt George Winter in England die moderne Wundbehandlung - und die war feucht. Bei Schweinen hatte der Mediziner gesehen, dass Wunden unter feuchten Folienverbänden schneller heilten. Trotz der Erkenntnisse wurden auch in den folgenden Jahren die meisten Wunden trocken behandelt.
Durch die Austrocknung der Wunde bildet sich Schorf, der die Heilung behindert. Die Immunzellen zur Infektionsabwehr können bei trockenen Wunden nur im Randbereich bleiben. Wunden sollten deshalb nicht an der frischen Luft belassen werden. Wundauflagen ohne großen Saugeffekt halten die Wunde länger feucht und schützen sie. Das Wundsekret kann in Ruhe fließen und Enzyme, Hormone, Wachstumsfaktoren und Antikörper in die Verletzungsregion bringen. Dadurch kann sich neues Gewebe bilden.
Treten Rötungen auf, wird die Wunde sehr warm, schmerzt oder vergrößert sich sogar, kann eine Infektion dahinterstecken. Damit sollte man zum Arzt gehen. Auch mit allen Bisswunden sollte man einen Arzt aufsuchen. Bei Bissen treten besonders häufig Infektionen auf.
Fazit: Stimmt nicht. Wunden heilen am besten, wenn sie feucht bleiben. Die Austrocknung der Wunde an der Luft behindert durch den sich bildenden Schorf die Wundheilung.
Dr. med. Carsten Lekutat, „Halbwahrheiten der Medizin - Aufgeklärt vom TV-Arzt“, 160 Seiten, Preis: 14,99 Euro, ISBN: 978-3-8338-3397-7