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Verletzte nicht direkt berührenSo reagieren Ersthelfer bei Stromunfällen richtig

Lesezeit 3 Minuten
Warnschild Hochspannung Lebensgefahr an einer Brücke über eine elektrifizierte Bahnstrecke.

Bei Unfällen mit Strom gibt es einiges zu beachten – ein Notarzt sollte immer gerufen werden.

Stromunfälle können ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Helfer sollten vorsichtig sein – und Verletzte auch ohne Symptome zum Notarzt.

Der 49-Jährige wurde einige Meter durch die Luft geschleudert. Danach war er kurz bewusstlos. Schließlich hatte er eine kurze Taubheit am rechten Arm. Aber kurz später schien alles wieder normal: Die Wandergruppe begann den Abstieg vom Berg, fuhr nach München und ging dort in die Notaufnahme. Ein zweiter Fall: Der 17-Jährige will von einer Eisenbahnbrücke in den Kanal springen. Er stellt sich auf das Geländer der Brücke. Kommt dabei der Oberleitung der Eisenbahn zu nahe, verliert (vermutlich) das Bewusstsein, fällt in den Kanal und ertrinkt.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“. ...

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Die Ursache ist in beiden Fällen dieselbe: Strom. Der 49-Jährige war vom Blitz getroffen worden und hatte großes Glück (er hatte bei der Untersuchung in der Notaufnahme ein paar Stunden später keine weiteren Auffälligkeiten). Tragisch bei dem 17-Jährigen: Er hatte die Hochspannungsleitung zwar nicht berührt, war ihr aber zu nahe gekommen! In einem sogenannten Lichtbogen war der Strom übergesprungen. Möglicherweise hatte dieser Lichtbogen mit einer sehr hohen Temperatur (20.000 Grad sind möglich) innere Organe verbrannt. Möglicherweise hatte der Strom das Herz aus dem Rhythmus gebracht. Der junge Mann hatte kein Glück.

Das Herz wird aus dem Rhythmus gebracht

Das Gefährliche an Stromunfällen ist – neben möglichen Verbrennungen – vor allem, dass das Herz aus dem Rhythmus gebracht wird. Dass ein Kammerflimmern entsteht. Es kann durch hohe, aber auch niedrige Spannungen provoziert werden: Millionen von Herzmuskelzellen ziehen sich plötzlich ohne jede Koordination zusammen, es wird kein Puls mehr erzeugt, der Kreislauf bricht zusammen, der Betroffene stirbt.

In dieser Situation kann eine Herz-Lungen-Wiederbelebung Leben retten. Je schneller die Helfer beginnen, je konsequenter sie drücken und beatmen (oder auch nur drücken), desto größer ist die Chance, zu überleben – nicht nur bei Strom. Leichte Stromunfälle können glimpflich ablaufen. Trotzdem: Um Herzrhythmus- und Überleitungsstörungen auszuschließen, muss der Betroffene unbedingt zum Arzt – auch wenn alles gut zu sein scheint!

Das Stromopfer niemals direkt berühren

In der akuten Situation gibt es nicht selten ein lebensgefährliches Problem: Strom führt dazu, dass sich Muskeln unwillkürlich zusammenziehen. Nun sind aber etwa an der Hand die Muskeln, die die Finger beugen, sehr viel stärker als die Strecker. Die Hand greift also mit großer Kraft zu. Wenn der oder die Betroffene ein defektes Bügeleisen, Föhn oder ähnliches in der Hand hält, kann er oder sie den Griff nicht lösen.

Gefährlich wird es für einen Ersthelfer, der den Betroffenen befreien will und etwa am Arm packt, um ihn wegzuziehen: Auch er wird im Bruchteil einer Sekunde Teil des Stromkreises, die Hand greift zu, und auch er kann sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien.

Deshalb: Stromopfer niemals direkt berühren! Stattdessen den Strom abstellen – etwa die Sicherung ausstellen. Den Betroffenen kann man zur Not mit einem nicht metallischen Gegenstand von der Stromquelle wegstoßen – etwa mit einem Besenstil aus Holz. Und dann, immer, den Notarzt rufen. Auch wenn das Stromopfer völlig normal wirkt!