AboAbonnieren

Therapie und BewegungWas gegen chronische Schmerzen hilft

Lesezeit 4 Minuten

Chronisch Schmerzkranke sind keine Hypochonder, obwohl ihnen das oft vorgeworfen wird.

Schmerzen hat jeder mal. Bei den meisten vergehen sie wieder - etwa weil das Fieber bei einer Grippe abgeklungen oder der Beinbruch verheilt ist. Bei manchen aber bleiben sie, obwohl der Auslöser längst verschwunden ist oder keine Rolle mehr spielt. Dann sprechen Experten von der Chronischen Schmerzkrankheit. Die Betroffenen wandern auf der Suche nach Hilfe häufig von Arzt zu Arzt, während ihre Beschwerden immer schlimmer werden. Oft dauert es Jahre, bis sie die richtige Behandlung aus verschiedenen Therapiebausteinen bekommen.

Der Neurologe Michael Überall aus Nürnberg spricht deshalb vom Schmerz als „perfidem Lebenspartner“, der sich in alle Bereiche einmischt: die Psyche kann darunter leiden, der Job, die Beziehung. „Es ist eine Erkrankung, die die Lebensqualität limitiert“, sagt der Präsident der Deutschen Schmerzliga, die kürzlich ein „Schwarzbuch Schmerz“ mit Patientenschicksalen herausgegeben hat.

Spezialisierte Schmerztherapeuten

Eine Betroffene beschreibt ihre Beschwerden darin so: „...der Schmerz wandert ständig weiter durch alle Muskeln und Sehnen, durch alle Nervenenden jeden Tag aufs Neue.“ Manchmal spüre sie einen Drehschwindel, manchmal „Zahnschmerzen, die keine sind“.

Schätzungsweise zwölf Millionen Menschen in Deutschland haben chronische Schmerzen. Rund 1,8 Millionen von ihnen brauchen spezialisierte Schmerztherapeuten, weil sich ihre Beschwerden nicht allein mit dem fachgebundenen Wissen eines Arztes in den Griff bekommen ließen, sagt Gerhard Müller-Schwefe. Wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie erläutert, ist die Schmerzmedizin in Deutschland kein eigenes Fachgebiet, sondern lediglich eine Zusatzqualifikation für Ärzte. Und in Schmerzzentren zusammengeschlossene Fachleute verschiedener Disziplinen sind bislang eher die Ausnahme.

Lernprozesse in den Nervenzellen

Grund für die anhaltenden Beschwerden sind Lernprozesse in den Nervenzellen: Am Anfang mag ein akuter Schmerz gestanden haben, etwa durch einen Knochenbruch oder einen Stein im Gallengang. Doch weil bei den Betroffenen die Schmerzkontrollsysteme gestört beziehungsweise verändert sind, signalisieren die Nervenzellen einfach weiter, dass es irgendwo wehtut - obwohl es rein körperlich gesehen dafür keinen Grund (mehr) gibt.

Dabei spielen auch psychische und soziale Komponenten eine Rolle und tragen zu einer Abwärtsspirale bei: Der Patient ist womöglich früher missbraucht worden und neigt deshalb dazu, sich zurückzuziehen, gibt Müller-Schwefe ein Beispiel. Dadurch verliert er den Anschluss zu anderen Menschen, seine Schmerzen verstärken sich, und er zieht sich noch mehr zurück.

Betroffene fühlen sich hilflos

Chronisch Schmerzkranke sind beileibe keine Hypochonder, obwohl ihnen das oft vorgeworfen wird. „Die Patienten wollen nicht krank sein, sie wollen keine Schmerzen haben, sie wollen wieder gesund werden“, erläutert der Mediziner und Psychologe Prof. Thomas Tölle von der Technischen Universität München. Oft fühlten sich die Betroffenen aber hilflos, weil sie nicht wissen, wie sie ihren Zustand ändern können. Und hoffnungslos, weil sie fürchten, dass ihr Zustand langfristig so bleiben wird. Aber je später sie mit ihren Beschwerden in die richtigen Hände gelangen, desto schwieriger werde die Behandlung, sagt Tölle, der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft ist.

Laut Schmerzliga-Präsident Überall dauert es meist zwischen sieben und zehn Jahre, bis die Diagnose „chronisch schmerzkrank“ steht. Oft machten die Betroffenen über die Zeit verschiedene Therapieversuche bei verschiedenen Fachärzten durch, die alle verschiedene denkbare Ursachen behandeln, ergänzt Müller-Schwefe. Das sei nicht nur ineffizient, sondern trage auch dazu bei, dass der Schmerz zu einem dauerhaften Problem wird. Aber: „Chronischer Schmerz ist kein Schicksal“, betont Überall.

Muskulatur als Mittel gegen Schmerzen

Denn wenn die Betroffenen endlich die passende Therapie bekommen, „merken sie, es geht doch noch was“, sagt Tölle. Diese positive Erfahrung sei ein elementarer Schritt auf dem Weg zur Besserung, auch wenn komplette Schmerzfreiheit meist eine Illusion sei.

Laut Müller-Schwefe haben Medikamente bei der Behandlung nur den geringsten Anteil. Sie dienten vor allem dazu, dass der Patient wieder körperlich aktiv wird. Denn Schmerz führe in der Regel dazu, dass der Kranke Bewegung vermeidet und sich schont, obwohl eine kräftige Muskulatur das beste Mittel gegen Schmerzen sei.

Physio- und Psychotherapie

Neben der Physio- spielt auch die Psychotherapie bei der Behandlung eine Rolle. Dabei lernen die Betroffenen unter anderem, mit Konflikten besser umzugehen und den Fokus auf andere Dinge als ihren Schmerz zu legen. Gefragt wird Müller-Schwefe zufolge auch, wie die Beschwerden denn sein müssten, damit sich damit leben ließe. Für viele Menschen bräuchten sie nämlich nicht bei null sein.

Damit Schmerzen aber gar nicht erst chronisch werden, rät er Patienten, darauf zu bestehen, vom Arzt gründlich ausgefragt und untersucht zu werden. Röntgenbilder oder Kernspintomographien seien für eine effiziente Diagnose meist nicht erforderlich - Zeit für ein ausführliches Gespräch sei viel wichtiger. Die allerdings ist oft knapp im hiesigen Gesundheitssystem, das dadurch nach Ansicht der Experten immer neue chronisch Schmerzkranke produziert.

Arzt beruhigt Patienten im Idealfall

Trotzdem könnten auch Ärzte einiges tun. Im Idealfall, sagt Tölle, beruhige der Mediziner und erkläre zum Beispiel einem Rückenschmerzpatienten, dass es sich bei den Beschwerden um etwas völlig Normales handelt. Etwas, das in 90 Prozent der Fälle gut ausgeht. Der Arzt sollte sagen: „Ich gebe Dir Schmerzmittel und Verhaltensregeln und habe ausgeschlossen, dass es eine akute Ursache gibt. Ich sehe, dass Du es schaffen kannst, zu den 90 Prozent zu gehören, bei denen es gut wird.“ (dpa)