Im Alter von drei bis sechs Jahren werden beim Gewicht die Weichen fürs weitere Leben gestellt. Drei Kölner Experten sagen, worauf es ankommt.
Projekt der Uniklinik KölnWenn Kleinkinder übergewichtig sind, liegt es nicht nur am Essen
Mein Lieblingstipp aus diversen Ernährungsratgebern: „Machen Sie es doch wie die Kinder – und hören Sie auf zu essen, wenn Sie satt sind.“ Dahinter liegt der Grundgedanke, dass kleine Kinder sich natürlich und intuitiv ernähren und nur so viele (oder wenige) Kalorien zu sich nehmen, wie sie brauchen. Wenn dann aber so ein kleines Wesen mit am Tisch sitzt, fragt man sich schon, ob das stimmen kann. Denn wie bitte schön, passt so viel Nahrung in so ein kleines Kind? Oder andersherum: Wie kann es mit den paar trockenen Nudeln am Tag so aktiv sein? Wie bekommt man Brokkoli, Apfel, Tomate, Gurke und all die gesunden, vitaminreichen Lebensmittel ins Kind hinein? Und: Ist dieses kleine Bäuchlein, was sich da stolz unter dem Body hervorwölbt, jetzt gut oder schlecht?
Ab wann ist mein Kind übergewichtig?
„Die Sorge mit dem Bäuchlein kenne ich gut“, sagt Christine Joisten, Professorin am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln. „Aber da muss man wirklich genau schauen: Oft stehen die Kinder im Hohlkreuz und daraus resultiert das Bäuchlein.“ Fakt ist aber, dass es bereits sehr junge Kinder gibt, die unter Übergewicht oder sogar Adipositas leiden. Bei den verpflichtenden U-Untersuchungen kontrollieren die Kinder- und Jugendarztpraxen auch das Gewicht der Kinder. Anhand von Geschlecht, Größe und Gewicht errechnen die Ärzte eine sogenannte Perzentile. „Liegt das Kind oberhalb der 90. Perzentile gilt es als übergewichtig, liegt es über der 97. Perzentile gilt es als adipös“, erklärt Christine Joisten. Das Problem: „Es hat sich gezeigt, dass bereits im Alter von drei bis sechs Jahren die Weichen fürs weitere Leben gestellt werden“, sagt Professor Eckhard Schönau, Ärztlicher Leiter der Uni Reha Köln. „Kinder, die in dem Alter bereits übergewichtig oder adipös sind, nehmen in den meisten Fällen kontinuierlich weiter an Gewicht zu und haben ein extrem hohes Risiko auch im Erwachsenenalter adipös zu sein.“
Was ist Adipositas überhaupt?
Ein Mensch mit Adipositas ist extrem übergewichtig. „Mittlerweile wurde Adipositas endlich als chronische Krankheit anerkannt. Denn sie hat erhebliche Folgen“, sagt Eckhard Schönau. Der Mediziner zählt auf: Die Erkrankung reduziert die Lebenserwartung, steigert das Risiko für Typ 2 Diabetes, verursacht Leberverfettung, Bluthochhochdruck und viele andere Komplikationen. Zudem kann es über eine Störung der Hirnwasserregulation zur Entstehung von Hirndruck beitragen. „Viele dieser jungen Kinder haben auch schon orthopädische Probleme“, sagt Christine Joisten. Und es gebe Hinweise darauf, dass adipöse Kinder schon im Kindergarten gemobbt werden. „Ich arbeite schon lange mit klassischen Adipositas-Programmen für Kinder – und die starten in der Regel mit acht Jahren. Aber: Warum sollen wir so lange warten, wenn die Kinder schon mit drei oder vier Jahren unter den Folgen leiden?“, fragt Joisten. Deswegen nimmt das Projekt „frühstArt“ der Uniklinik Köln schon übergewichtige Kinder zwischen drei und sechs Jahren in den Blick. Mehr zu dem Projekt erfahren Sie unten.
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Was führt zu Übergewicht?
Doch wie werden so junge Kinder überhaupt schon übergewichtig? Die Ursachen dafür, das machen die Experten direkt klar, darf man nicht alleine in der Ernährung suchen. Die Gründe seien vielschichtiger. Christine Joisten sagt: „Die Adipositas-Therapie ist sehr komplex: Wir müssen das Schräublein finden, an dem wir drehen müssen. Das kann bei einem Kind Bewegung sein, bei dem anderen der übermäßige Konsum von Süßgetränken, beim dritten der Medienkonsum und so weiter.“ Damit Kinder ein gesundes Gewicht haben, brauchen sie einen gesunden Lebensstil – und ihre Eltern als Vorbilder. Wie ein solcher Lebensstil aussehen kann, nehmen wir anhand von vier Punkten in den Blick:
1. Bewegung
Bei sehr jungen Kindern sei es besonders wichtig, auf ausreichend Bewegung zu achten, sagt Christine Joisten. „Kleinkinder lernen über Bewegung, das ist für die Entwicklung des Gehirns sehr wichtig.“ Es gebe kein Limit bei den Bewegungszeiten. „Natürlich muss man kleine Kinder nicht trainieren, aber man sollte ihnen ein gutes und abwechslungsreiches Angebot machen“, so die Sportwissenschaftlerin. Das kann aber ganz niedrigschwellig sein: Mit dem Laufrad zur Kita, Treppen steigen statt Aufzug fahren und nachmittags auf den Spielplatz.
2. Medienkonsum
Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollten höchstens eine halbe Stunde Medienzeit – also Handy, iPad, Fernsehen – am Tag haben, empfehlen die Experten. Denn mal abgesehen davon, dass Kinder sich vor dem Bildschirm nicht bewegen, hat das noch weitere negative Auswirkungen, erklärt Christine Joisten: „Der Kalorienumsatz im Ruhezustand geht nochmal drastisch nach unten, wenn Kinder sich vor dem Fernseher berieseln lassen. Bis zu 150 Kilokalorien pro Tag kann die Differenz – zumindest bei Jugendlichen – sein.“ Professorin Stephanie Stock, Leiterin des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Uniklinik Köln, weist darauf hin, dass auch die Sprachentwicklung und die Feinmotorik unter einem hohen Medienkonsum leiden, das habe die Corona-Pandemie gezeigt.
3. Schlafen
„Es ist wichtig, dass die ganze Familie eine Schlafroutine entwickelt“, sagt Stephanie Stock. Dazu gehöre natürlich, dass das Kind eine für sein Alter entsprechende Zeit pro Nacht schläft, aber auch, dass es jeden Abend zu einer ähnlichen Uhrzeit ins Bett geht. „Für die Körperfunktionen ist es wichtig, dass es diesen Rhythmus gibt“, so Stock. Zur Abendroutine sollte kein Fernsehgucken gehören, denn das pusht die Kinder nur nochmal auf. Stattdessen kann eine gemeinsam gelesene – oder gehörte – Gutenachtgeschichte auf dem Programm stehen. „Dadurch werden emotionale Bedürfnisse befriedigt, die vielleicht tagsüber zu kurz gekommen sind – und die sonst im Zweifelsfall über Essen oder Süßigkeiten gestillt werden.“ Heißt verkürzt gesagt: Wer nicht genug emotionale Nähe bekommt, isst mehr, denn Essen kann ja auch Trost sein.
4. Essen
Und natürlich spielt letztlich auch Essen eine Rolle – vor allem aber die „Gesundheitskompetenz“, wie Christine Joisten es ausdrückt. „Umso mehr Eltern über Nahrung wissen, umso eher hat man die Chance, gut auszuwählen.“ Denn die Ernährungsindustrie sei sehr findig, um zu verschleiern, was in den Produkten stecke. Klar ist: Für uns alle, aber insbesondere für junge Kinder, ist gesundes, frisch gekochtes Essen das Beste. Fertigprodukte, bei denen niemand so genau weiß, was drin ist, gehören nur im Notfall auf den Tisch. „Und gesüßte Getränke braucht in dem Alter wirklich kein Kind“, sagt Joisten. Sie empfiehlt, Wasser ab und zu mit Gurkenscheiben oder Minze aufzupeppen. Trotzdem sollte man den Kindern nicht alles verbieten. Süßigkeiten, Chips, Pizza, Burger – all das ist auch mal okay. Christine Joisten: „Die Tage, an denen man gesund lebt, sollten überwiegen. Aber ab und zu dürfen Kinder auch mal mit Süßigkeiten auf dem Sofa chillen.“
Das Projekt:
Stephanie Stock, Christine Joisten und Eckhard Schönau leiten das Projekt „frühstArt“ von Uniklinik Köln, UniReha Köln und Deutscher Sporthochschule. Es geht um eine bessere Versorgung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren mit Übergewicht oder Adipositas. Das Projekt wird in der Region Nordrhein und somit auch in Köln erprobt und wissenschaftlich begleitet. Ziel ist es, die Entwicklung von gesundheitsförderlichen Routinen in der Familie im Alltag zu stärken und damit eine gesunde Gewichtsentwicklung zu fördern. Die Familien werden über ein Jahr lang von ausgebildeten Coaches begleitet. Bei Bedarf wird eine zusätzliche Reha-Maßnahme eingeleitet. Insgesamt sollen für das Projekt 812 Kinder rekrutiert werden, 176 davon in der Region Köln. Teilnehmen können Kinder, die bei einer der folgenden Krankenkassen versichert sind: AOK Rheinland/Hamburg, BARMER, IKK classic, HEK-Hanseatische Krankenkasse und Techniker Krankenkasse. Die Einschreibung erfolgt über teilnehmende Kinder- und Jugendarztpraxen. Weitere Informationen oder Fragen: www.frühstart.infofruehstart@uk-koeln.de