Psychologe zur Ukraine-KriseWie kann ich mit meiner Angst vor einem Krieg umgehen?
Düsseldorf – Angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine fühlen sich viele Menschen derzeit überwältigt und ohnmächtig. Was empfehlen Sie aus psychologischer Sicht im Umgang mit der aktuellen Situation?Gerd Höhner: Hierzu möchte ich eines vorwegnehmen: Wir Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten werden in den letzten Tagen häufig gefragt, was kann man jetzt tun, damit der Krieg sinngemäß nicht so schlimm erlebt wird. Da kann ich nur sagen: Da kann niemand was tun.
Die Realität ist, dass man durch solche Belastungen eigentlich nie ohne persönliche Herausforderungen bis hin zu schweren psychischen Belastungen hindurchkommt. Aber um psychisch möglichst gesund zu bleiben, gibt es im Grunde immer zwei Elemente, die eine wesentliche Rolle spielen.
Welche sind das?
Die erste ist die kognitive, rationale Ebene. Hier ist es entscheidend, sich um gute und verlässliche Informationen zu bemühen. Die findet man nicht in den sogenannten Social Media, wie Twitter oder Instagram. Stattdessen in den seriösen, unabhängigen Medien. Anders als in anderen Ländern, können wir uns zudem nach wie vor auf unsere öffentlich-rechtlichen Medien verlassen. Das ist geradezu ein Segen, wenn es um psychische Gesundheit geht: Wir können den Informationen in Zeitung, Radio und TV vertrauen. Wir können uns also verlässlich über die Wirklichkeit informieren. Und das müssen wir aktiv tun.
Zur Person
Gerd Höhner ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Zudem ist er Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW.
Man muss den Menschen raten, sich ein Stück weit aus dieser Parallelwelt der Sozialen Medien zu entfernen, denn dort besteht einfach das Risiko, sich in diesen Interpretations- und Deutungs- und Besserwisser-Sog hineinziehen zu lassen, an dessen Ende dann der Realitätsverlust steht.
Einige Menschen versuchen sich auch aktuell bewusst überhaupt nicht zu informieren, sich den Nachrichten aus dem Krieg schlichtweg nicht auszusetzen. Kann die Verdrängung auch eine Strategie sein, mit der Situation umzugehen?
Ganz direkt gesagt: Das ist unrealistisch. Sie können etwas, das Ihnen vor Augen steht, nicht übersehen. Außerdem ist die Aussage psychologisch unsinnig: Das Verdrängen ist ein Vorgang, der nicht bewusst geschieht. Man kann etwas nicht bewusst verdrängen. Zutreffender wäre deshalb zu sagen: Ich möchte mich damit nicht beschäftigen.
Allerdings steht es uns überhaupt nicht frei, ob wir uns damit beschäftigen oder nicht. Denn wir sind in der Situation, in der man sich damit beschäftigen muss. Es sei denn, man fällt in einen dreiwöchigen, fast ohnmächtigen Tiefschlaf. Die Wirklichkeit ist da und mit der Wirklichkeit umzugehen, das ist der erste Schritt, um sich psychisch fit zu halten.
Sie sprachen einen zweiten Punkt an, der entscheidend für den Umgang mit der Situation ist.
Der zweite Punkt ist, dass man in seinem Alltag und Verhalten aktiv bleiben muss. Das heißt zum Beispiel konkret, dass man am Rosenmontag in Köln auf die Straße geht, um gegen den Krieg zu demonstrieren.
Das wird Herrn Putin nicht stoppen. Doch darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass man sich selber als handlungsfähig und handelnd erlebt. Man kann so etwas gegen dieses Gefühl der Ohnmacht tun, wenn man es nicht gleichzeitig mit völlig irrationalen Zielen verbindet.
Kann die Hilfe für die Geflüchteten aus der Ukraine durch zum Beispiel Spenden auch dazu beitragen?
Natürlich. Da kommt auch etwas mit hinzu, was in diesem ganzen Konflikt in einer Dimension deutlich wird, die man so zuvor noch nicht erwartet hat. Nämlich dass dieses Einstehen für unsere Lebenswerte – für Autonomie, Selbstständigkeit, für persönliche Freiheit und ausdrücklich auch für persönliche Pflichten und die Verantwortung füreinander – all das realisiert sich auch durch solche Aktionen und tut uns gut. Denn es bestätigt auch, dass wir sozusagen auf der richtigen Seite stehen.
Was heißt das konkret?
Wir helfen durch solche Aktionen ganz konkret, doch zugleich zeigen wir aller Welt, dass unsere Werte es wert sind, sie zu verteidigen! Das ist das Gegenteil einer hedonistischen, egoistischen Grundhaltung, die nur um sich selbst kreist. Sowohl in der Klimadiskussion als auch der Corona-Krise wurde bereits deutlich, dass wir da nicht alleine durchkommen, sondern nur zusammen. In der jetzigen Situation in der Ukraine wird das nochmal getoppt: Kein Mensch in der Ukraine ist alleine zu irgendetwas fähig. Ich denke, so wird deutlich, dass es für unsere psychische Gesundheit entscheidend ist, sich mit klarem Blick mit der Situation auseinanderzusetzen und das nicht einfach so hinzunehmen.
Nicht wenige haben Angst, dass auch hier Krieg ausbrechen könnte – und nicht zuletzt auch Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen. Wie geht man am besten mit solchen Ängsten um?
Solche Ängste sind ja leider nicht irrational. Das Schlimme an dieser Angst ist ja, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Konflikt eben nicht lokal begrenz bleibt, vorhanden ist. Und im Gegensatz zu den Katastrophen in Fernost, ist dieser Konflikt so nah, dass er uns erreichen kann. Ich will an diesem Punkt noch einmal betonen: Wir müssen dieser schrecklichen Wirklichkeit ins Auge blicken und uns nicht wegducken. Die Vermeidung der Erkenntnis, dass wir uns in einer schweren Krisensituation befinden, mag psychisch entlastend sein. Sie ist aber mittel- und längerfristig keine Methode, um psychisch gesund zu bleiben.
In den Sozialen Medien wird auch diskutiert, ob man sich für den Katastrophenfall vorbereiten sollte – also etwa einen Notfallrucksack bereit zu haben, sich mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten und anderem auszustatten. Halten Sie das für angemessen oder versetzt man sich durch solches Verhalten in noch mehr Panik?
Das liegt ja auch auf der Ebene von dem, was ich zu Beginn gesagt hatte: Man muss handlungsfähig bleiben. Ob diese Handlung jetzt sinnvoll ist, das steht in einem ganz anderen Zusammenhang. Sich einen Notfallrucksack zu packen, kann durchaus psychologisch entlastend wirken, doch ob es die Wirklichkeit angemessen reflektiert, ist eine ganz andere Frage. In einem akuten Katastrophenszenario würden wir mit unserem Rucksack wahrscheinlich nicht weit kommen.
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Aber was hier deutlich wird, ist der Wunsch, selber aktiv zu werden und diesen Wunsch kann ich gut verstehen. Die Lösung ist allerdings etwas naiv. Wenn einem das Packen von einem solchen Rucksack gut tut, dann sollte man das tun. Man sollte sich allerdings gleichzeitig davor schützen, die Wirklichkeit so sehr zu verkleinern und zu verniedlichen, als wäre damit das Problem gelöst.
Zu allem Übel wurde am Montag auch ein neuer IPCC-Bericht veröffentlicht, der eindrücklich vor der Klimakrise warnt. Außerdem befinden wir uns seit zwei Jahren in einer globalen Pandemie. Man hat das Gefühl, eine Krise folgt der nächsten. Wie geht man innerlich damit um? Wie gelingt es, angesichts all dieser niederschmetternden Nachrichten nicht den Mut zu verlieren?
Im Grunde ist das die Grundherausforderung unserer aktuellen Situation. Wir sind tatsächlich in vielen Bereichen mit einer existenziellen Herausforderung konfrontiert. Unsere „alles - ist - machbar“ - Überzeugung funktioniert nicht mehr. Ich denke, die Menschen sind heutzutage sehr in den Parallelwelten der Social Media unterwegs, um der Realität zu entfliehen. Die Ersatzwelten sind schön, dort gibt es für alles eine einfache Lösung. Es ist eine Art Kinder-Kitsch-Welt, wie sie uns auch in der Werbung vorgelebt wird.
Wozu führt das?
Damit verbunden ist die Distanzierung von der eigenen Zuständigkeit und Verantwortung. Die Herausforderung ist deshalb, sich dieser Infantilisierung der Wirklichkeit zu verweigern und sich der Realität zu stellen. Man wird sich damit beschäftigen müssen, dass es keine einfache Lösung für die Ukraine-Krise oder die Corona-Krise oder die Klimakrise geben wird. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der absolute Großteil der Menschheit dazu in der Lage ist!
Wir müssen die Herausforderung in ihrer Reichweite und in ihrem Ausmaß der Anforderungen verbalisieren. Die Realität stellt in vielen Punkten unser Lebensmodell in Frage. Dem müssen wir uns stellen.