Erinnerungen können sich über Jahre verändern. Und so kann auch auf einmal ein Gasherd auftauchen, wo nie einer war.
„Wo kommt dieser Gasherd her?“Wie das Gehirn Erinnerungen verändert – und miteinander verknüpft
Ich habe meinen zweiten Herd gefunden! Das klingt zunächst absurd, ist aber die Lösung eines Gedächtnisproblems, das mich schon sehr lange umtreibt. Der Ursprung liegt ungefähr 25 Jahre zurück, die Erinnerung scheint aber trotzdem sehr frisch: Eine italienische Freundin kocht für uns. Wir sitzen an einem Tisch, der L-förmig um den Gasherd herum gebaut ist. Sie schiebt die Pasta direkt aus der Pfanne auf unsere Teller. Ich habe es vor Augen, als sei es gestern!
Jahrzehnte später stellt sich heraus, dass es diesen Herd so nie gegeben hat. Der Herd der Freundin steht nicht in der Mitte des Raumes, sondern am Rand als Teil einer ganz normalen Küchenzeile. Was dagegen wahr ist: Wir hatten tatsächlich dort gegessen, vermutlich Pasta. Aber woher kommt die Erinnerung an den Herd, um den herum ein Tisch gebaut ist?
Erinnerungen können verändert werden
Die Antwort darauf gibt die moderne Gedächtnisforschung. Früher galt es gleichsam als Dogma, dass Erinnerungen immer wieder überarbeitet, interpretiert und dabei auch verändert werden – aber nur etwa ein halbes bis ein ganzes Jahr lang. Danach, so die Vorstellung, ist alles endgültig ins Gedächtnis eingraviert, neuerliche Veränderungen gibt es nicht mehr.
Mittlerweile weiß man aber, dass auch alte Erinnerungen verändert werden können, wenn sie aktiviert werden. Sie sind zwar grundsätzlich stabiler, aber nicht „in Stein gemeißelt“. Solche alten Erinnerungen können dann auch in einen neuen Kontext geschoben werden. Eine unangenehme Erinnerung, etwa an ein Gewalterlebnis, kann mit der Geborgenheit in einer anderen Situation – etwa ein Zusammensein mit vertrauten Freunden - verknüpft werden. Der alten Erinnerung wird der Schrecken genommen – so die Theorie. Verdrängung ist in diesem Sinne unklug, die Neubewertung hilfreich.
Zwei Erinnerungen verknüpft
Auf ganz schlichte Weise ist mein „verschwundener“ Herd im Prinzip ganz ähnlich. Offenbar hat mein Gedächtnis zwei Erinnerungen miteinander vermischt. Zwei Erinnerungen, die miteinander nichts zu tun haben. Irgendwo muss dieser andere Herd stehen, den ich mit dem Gasherd unserer Freundin in Italien verbunden habe – so eine Gedächtnisforscherin, die ich für einen Gedächtnisfilm interviewt hatte.
Der Dokumentarfilm über das Gedächtnis fängt mit einem sehr spektakulären Gedächtnisausfall an, den ich selbst erlebt habe. Dann geht es von Ort zu Ort, von Uni zu Uni auf der Suche nach den Ursachen des Ausfalls. Auch mein Herd als Teil einer falschen Erinnerung taucht auf.
Studentenwohnheim statt Italien
Die Pointe: Ein Freund meldete sich, nachdem er den Film auf Art gesehen hatte: Wir hatten damals im Studentenwohnheim in der Küche tatsächlich auch einen Gasherd, an den sich direkt auch der Esstisch anschloss – das Essen ging, wie in meiner Erinnerung, direkt aus der Pfanne auf den Teller.
Vermutlich hat mein Gehirn diese zwei Erinnerungen miteinander verknüpft, die locker 20 Jahre auseinanderliegen. Das hätte die Forschung früher für unmöglich gehalten. Und doch scheint es so zu sein. Erinnerungen sind veränderbar. Den Film finden Sie übrigens nur noch bis Montag in der Arte-Mediathek.