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ZDF WisoVitaminpräparate – nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich?

Lesezeit 4 Minuten
Nahrungsergänzungsmittel_symbol

28 Prozent der Deutschen nehmen Nahrungsergänzungsmittel zu sich. 

Gesund und fit sollen sie machen: Nahrungsergänzungsmittel. Was bringen Vitamin-Pillen und Co. und braucht man sie wirklich? Die „Wiso-Konsumagenten" Anastasia Zampounidis und Wolfgang Trepper machen den Test.

Wer über Obst und Gemüse nicht genug Vitamine aufnimmt, für den sind Nahrungsergänzungsmittel der schnelle und unkomplizierteste Weg, die wichtigen Nährstoffe zu sich zu nehmen. Rund 28 Prozent der Deutschen kaufen Nahrungsergänzungsmittel. Das Versprechen der Industrie: Die bunten Pillen stärken das Immunsystem, optimieren den Körper und machen auch noch schöner. Feste Nägel, wallendes Haar und reine Haut durch Biotin, Vitamin D und Co. Die Wiso-Konsumagenten hinterfragen kritisch: Haben Vitamine wirklich Superkräfte?

Augen auf bei der Google-Recherche

Wer sich im Internet Antwort auf seine Fragen rund um Vitaminmangel verspricht, der sollte genau hingucken. So entpuppt sich im Test eine im Internet angepriesene Experten-Hotline als von einem Nahrungsergänzungsmittel-Vertrieb finanziert, eine medizinische Ausbildung der Beraterin war nicht vorhanden.

„Wir nehmen Vitamine auf Verdacht, weil sie eben als gesund gelten“, stellen die Reporter in einer Straßenumfrage fest. Fest steht: Vitamine sind lebensnotwendig und sind beispielsweise unerlässlich für den Stoffwechsel, die Knochen und das Gewebe. Uwe Rümmler vom Amt für Verbraucherschutz in Mettmann klärt auf: „Vitamine sind organische Verbindungen, die der Körper benötigt aber nicht in ausreichender Menge selber herstellt. Der Mensch ist darauf angewiesen, dass Vitamine mit der Nahrung zugeführt werden.“ Vitamine sind an vielen wichtigen Abläufen des Körpers beteiligt. Eine Ausnahme ist Vitamin D: Der Körper bildet die Substanz mittels Sonnenlicht in der Haut.

Seefahrer nahmen kein Vitamin C zu sich

Die Seefahrerkrankheit Skorbut zeigt, was passiert, wenn wir nicht ausreichend Vitamine zu uns nehmen. Weil sich Seefahrer in früheren Zeiten auf Reisen nur von Pökelfleisch und Zwieback ernähren konnten, fehlte ihnen das wichtige Vitamin C. Nach zwei bis vier Monaten auf See klagten sie über Zahnfleischbluten, Müdigkeit, Schwindelanfälle. Die Symptome von Skorbut konnten durch vitaminhaltige Zitrusfrüchte behandelt werden. Auch Sauerkraut wurde in den Schiffküchen immer beliebter.

Doch könnte man natürliche Vitamine komplett durch synthetische ersetzen? „Eine Orange definiert sich nicht nur über das Vitamine C, das in ihr steckt.“ Das Fazit: Synthetische Vitamine ersetzen nicht natürliche Vitamine in Lebensmitteln.

Leben wir im Vitaminmangel-Land?

Leiden wir also alle an Vitamin-Mangel? Auf Wiso-Anfrage gibt das Max-Rubner-Institut Entwarnung: In Deutschland gebe es keinen Vitaminmangel, „der klinisch relevant wäre“, erklärt Professor Gerhard Rechkemmer, Präsident des renommierten Instituts. Anderweitige Behauptungen würden gezielt durch die Hersteller der Präparate gestreut und so Geschäftsinteressen verfolgt. Der Rat des Experten: Wer sich ausgewogen ernährt, muss sich nicht zusätzlich mit Vitaminpräparaten eindecken.

Hypervitaminose ist in der Regel eher unwahrscheinlich

Nahrungsergänzungsmittel sollten nur nach Rücksprache mit dem Arzt eingenommen werden. Denn ein zu viel an Vitaminen kann mitunter mehr schaden als nutzen. Wer beispielsweise zu viel Vitamin A aufnimmt, kann Kopfschmerzen bekommen. Eine Überdosis Vitamin D führt zu Vergiftungserscheinungen und trägt dazu bei, dass Organe verkalken. Dafür müssen allerdings beträchtliche Mengen des Stoffes eingenommen werden.

Ein Sonderfall ist aber Vitamin D. Da in den Wintermonaten die Sonneneinstrahlung nicht ausreicht, um den Stoff in der Haut zu bilden, könnte es bis zum Frühjahr zu einem vorübergehenden Mangel kommen. Auch mit zunehmendem Alter lässt die Fähigkeit der Haut nach, Vitamin D zu bilden. Ob die Einnahme eines Vitamin D-Präparats im Einzelfall sinnvoll ist, kann im Gespräch mit dem Hausarzt geklärt werden.

So einfach bringt man ein eigenes Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt

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Wer in Deutschland Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen will, kann das bequem per Online-Formular anmelden. Eine stoffliche Kontrolle findet nur stichprobenartig statt. 

Vitaminpräparate gelten als Lebensmittel, nicht als Medikamente

Die Wiso-Reporter decken bei ihrer Recherche auf, wie simpel es ist ein Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen. Kerstin Bernhardt, Ökotrophologin stimmt zu: Jeder kann Vitaminpräparate herstellen, denn es sind keine Medikamente, sondern sie gehören zur Gruppe Lebensmittel. Jeder kann Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen und muss keine speziellen Tests durchlaufen. Produkte müssen nur per Online-Formular angemeldet werden, auf ihre Bestandteile werden sie nicht mehr geprüft. Demnach könnten auch gesundheitsgefährdende Produkte auf dem Markt sein, schätzt die Expertin.

Dirk Lachenmeier vom Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe erklärt auf Nachfrage, dass allein in Baden-Württemberg rund 500 Proben im Jahr getestet würden. Keine hohe Zahl, stellt man die rund 6000 neuen Nahrungsergänzungsmittel dagegen, die jährlich auf den Markt kommen. Der Experte erklärt, die 500 Proben seien „Risiko-orientierte Stichproben“, man konzentriere sich besonders auf über das Internet-verbreitete Produkte. Rund 50 Prozent der Nahrungsergänzungsmittel werden vom Veterinäramt beanstandet. In den meisten Fällen handele es sich um Deklarationsmängel, aber auch stoffliche Beanstandungen seien der Fall, so Lachenmeier und rät dringend vor dem Kauf von Nahrungsergängungsmitteln im Internet ab. (sar)

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