Die Möbelbranche kriselt, nur bei Ikea läuft’s. Das zeigt auch der Hype um Vintage-Ikea, der das schwedische Möbelhaus wohl zur Neuauflagenkollektion inspirierte. Wie passen Hype und Krise zusammen?
Verkaufsargument NostalgieIkea und die Sehnsucht nach der guten alten Zeit
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Ikea hat sich schon immer von anderen Möbelläden bewusst abgesetzt: Ein Kinderbereich, Möbel zum selber aufbauen, die schwedischen Namen fürs Mobiliar und der ikonische Bleistift gehören dazu. Mit seinen Planungsstudios will Ikea künftig stärker in Innenstädten vertreten sein - wie hier in den Köln Arcaden.
Copyright: Arton Krasniqi
Ein Stahlrahmen und vier bunt laminierte Holzfaserplatten – es braucht scheinbar nicht viel, um zu einem der aktuell gehyptesten Möbelstücke im World Wide Web zu werden. Dabei ist es uralt. Wer 60 Jahre oder älter ist, kennt es vielleicht noch aus Studentenzeiten.
Erstmals kam das von Niels Gammelgaard designte Regal 1985 als „Guide” auf den Markt und kostete 665 schwedische Kronen, umgerechnet rund 58 Euro. Heute bezahlt man für ein echtes „Guide“ oder „Enetri“ (so der Name der Regalneuauflage aus den Nullerjahren) mitunter das Zwanzigfache. Auf Etsy gibt es das Regal beispielsweise für 1499,90 Euro.
Und das, obwohl die Möbelbranche bekanntermaßen in der Krise steckt. Aber Ikea scheint die ohnehin wenig anhaben zu können. Im November 2024 verkündete der „Branchenprimus“ stolz den zweitstärksten Gesamtumsatz in der 50-jährigen Firmengeschichte in Deutschland: rund 6 Milliarden Euro.
Der Ikea-Effekt
Ikea hat sich schon immer von anderen Möbelläden bewusst abgesetzt: Ein Kinderbereich, Möbel zum selber aufbauen, die schwedischen Namen fürs Mobiliar und der ikonische Bleistift gehören dazu. Ein Psychologe, der den „Ikea-Effekt“ untersuchte, titelte vielsagend „When Labor Leads to Love” (deutsch: „Wenn Arbeit zu Liebe führt“).
„Ikea ist wie eine eigene Erlebniswelt“, sagt Ralf Wagner, Professor für Nachhaltiges Marketing an der Universität Kassel. „Man geht nicht immer hin, um Möbel zu kaufen, aber es ist auch selten, dass man mit leeren Händen geht.“
Und seit rund zwei Jahren legt das schwedische Unternehmen nun auch alte Ikea-Stücke in der Nytillverkad-Kollektion neu auf. Der Grund dafür dürfte der Hype um Vintage-Ikea auf Zweitverkaufsplattformen sein. Der „Impala“-Sessel kostet beispielsweise bei der Vintage-Möbel-Plattform Pamono 3.273 Euro – 1972 gab es den Sessel für schlappe 37 Euro. Darunter Stücke wie das „Guide”-Regal, welches in der Neuauflage „Byakorre“ heißt und 149 Euro kosten soll. Damit schließt sich gewissermaßen der Kreis. Denn Ikea ist hierzulande auch deswegen so erfolgreich geworden, weil Studierende ihre Wohnung nicht mehr mit den Möbeln ihrer Eltern einrichten mussten. Kiefernholz statt Gelsenkirchener Barock. Nun bietet Ikea selbst die Möbel der Elterngeneration an.
Seit Samstag sollen die Neuauflagen in den Filialen stehen. Aber das aktuelle Hypestück fehlt. „Wir bedauern, mitteilen zu müssen, dass das Byakorre-Regal, ab dem 1. Februar 2025 nicht wie geplant zum Verkauf stehen wird“, hieß es auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). „Ikea arbeitet aktiv daran, das Problem zu lösen.“ Worin das Problem besteht und wann es behoben sein könnte, teilte das Unternehmen auf Nachfrage nicht mit.
Die Enttäuschung bei der Kundschaft dürfte groß sein, denn schon Wochen vor dem Verkaufsstart kursierten zahlreiche Videos über das Regal. Manche gaben Tipp, wie man schon vor dem offiziellen Start eines ergattern kann.
Hype – trotz Krise?
„Mein Eindruck ist, dass Ikea viel Wert darauf legt, mit dem demografischen Wandel mitzuwachsen und gezielt auch Ältere anzusprechen“, sagt Wagner. „Damit ist Ikea eines der wenigen Möbelhäuser, die es tatsächlich schaffen, die aktuelle Krise der Branche strategisch aufzugreifen und zu überwinden.“
Die Krise werde vor allem dadurch angetrieben, dass es kaum Bedarf an Einrichtungsgegenständen gebe. Denn durch schleppenden Hausbau und einem knappen Wohnungsmarkt zögen weniger Menschen um. Auch habe es kaum Innovation innerhalb der Branche gegeben. „Warum soll ich mir etwas kaufen, was ich schon habe?“, fragt Wagner. „Wenn Menschen kaufen, dann weil ihnen das Design gefällt und ein gutes Gefühl auslöst.“
Und Nostalgie ist ein Gefühl, das sich gut verkauft. Das zeigen auch die Neuauflagen anderer Produkthersteller wie Adidas („Samba“), Coca Cola oder Puma („Speedcat“). Doch warum scheint dieses Gefühl hochzukommen? Es ist die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit. „Wenn Sie in Ihren Geburtsort zurückfahren zum Klassentreffen und in der Eisdiele schmeckt das Eis wie in der Kindheit“, so Wagner. „Da geht es nicht um das Eis, sondern um die Gefühle, die damit verbunden sind.“ Das sei besonders in Zeiten, in denen sich vieles ändert, wichtig. „Man kauft sich damit auch ein wenig heile Welt“, sagt Wagner.
Dabei sind auch die Neuauflagen alles andere als Vintage. „Man hat einfach alte Möbel neu aufgelegt und an den aktuellen Zeitgeist angepasst“, sagt Wagner. Vintage wäre es nur, wenn es sich bei den Einrichtungsgegenständen tatsächlich um die Originale aus den Siebzigern oder Achtzigern handeln würde. Deswegen kann Ikea die Neuauflagen auch relativ günstig verkaufen. Im Gegenteil zu den teuren Möbelstücken auf Zweitverkaufsplattformen. Die werden, nach Einschätzung von Wagner, auch eher von den Mittsechzigern gekauft. Denn diese haben – im Gegensatz zu damals – das nötige Kleingeld dafür. Und sie verbinden oft auch echte Erinnerungen mit den Möbelstücken.
Selbstbewusstseins-Upgrade durch Interior
So wird der aktuelle Hype um die Nytillverkad-Kollektion vor allem durch Mittzwanziger und Mittdreißiger angetrieben. „Junge Menschen kaufen gerne Masstige, also Luxusartikel zu einem erschwinglichen Preis“, sagt Wagner. Man wolle sich dadurch abheben und das Selbstwertgefühl gewissermaßen upgraden. „Die Ray-Ban-Sonnenbrille war in den Neunzigerjahren auch überteuert. Aber man war eben cool, wenn man eine hatte.“ Das Byakorre-Regal ist durch die Vintagebegeisterung zu einem Luxusartikel geworden – ein bezahlbarer sobald er dann tatsächlich in die Läden kommen sollte.
„Es geht darum, auf dem Sofa zu sitzen mit einer Tasse Tee und sich über den Anblick des Regals zu freuen“, sagt Wagner. „Und um Freunde, die das Regal loben, wenn sie vorbeikommen.“ Man kaufe Dinge eben auch, um einen gewissen Eindruck von sich zu vermitteln und einen sozialen Status zu transportieren. Die Conspicuous consumption – der Geltungskonsum.
Davon rät Wagner jedoch ab. Materialismus führe erwiesenermaßen nicht zum glücklichen Leben. „Wenn Sie eine falsche Rolex kaufen, können Sie damit viele Menschen betrügen – nur sich selbst erinnern Sie ständig daran, dass Sie sich eine echte nicht leisten können“, so der Marketingexperte. „Ich würde empfehlen, wirklich zweimal nachzudenken, bevor man sich etwas Neues kauft. Einige Wohnungen würden auch schon deutlich besser aussehen, wenn weniger drinsteht.“
Zudem muss alles, was gekauft wird, auch wieder entsorgt werden. „Bei vielen Stücken aus der neuen Ikea-Kollektion sind viele Verbundstoffe drin“, sagt Wagner. „Das können Sie nicht mehr recyceln.“ Besser sei Massivholz statt Spanplatte. Oder eben mal den Dachboden durchwühlen – mit etwas Glück findet sich ja das ein oder andere wirkliche Vintagestück.