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Blöd wie zehn Meter FeldwegWarum mich die deutschen Musik-Charts sehr müde machen

Lesezeit 3 Minuten
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Travis Scott

  1. Vom Rapper Travis Scott bis zum irischen Singer-Songwriter Dermot Kennedy: Es gibt vieles in den aktuellen Musik-Charts, was unseren Kolumnisten Marcus Bäcker sehr müde macht.
  2. Was deutschen Hip Hop angeht, setzt er diese Woche lieber gleich ganz aus. Ob das ein schwerer Fehler ist?

Letztens las ich einen sehr lustigen und klugen Text über Influencer. Besonders gut gefiel mir die Formulierung „blöd wie zehn Meter Feldweg“, und ich bin überaus glücklich, sie mit Erlaubnis des befreundeten Autors ab sofort verwenden zu dürfen. Nicht verschweigen möchte ich allerdings den Einwand eines anderen Freundes, zeitgemäßer sei „blöd wie zehn Kilometer Autobahn“ – da kann man nicht viel gegen sagen.

„Dämlich wie die komplette Nord-Süd-Fahrt“ wäre zwar auch nicht schlecht, aber vor dieser vernichtenden Beleidigung schrecke sogar ich zurück. Ebenfalls ziemlich großartig: „Ich habe schon Pullover mit einem höheren IQ gehabt“ – stammt aus „Ein Fisch namens Wanda“, erst vor kurzem wieder gesehen, ein Meisterwerk.

Das Arsenal punktgenauer Beschimpfungen wäre damit auf denkbar herrlichste Weise aufgefüllt, und es ist keineswegs so, dass die aktuellen Charts keine Gelegenheit bieten würden, beherzt zu den rhetorischen Waffen zu greifen. Ich würde mich beispielsweise sehr wundern, wenn mich Capital Bras neuer Burner auf Platz 5 – „Berlin lebt wie nie zuvor“ – nicht in gewisser Weise an einen Feldweg erinnern würde. Und wenn ich dann auch noch lese, dass ebenfalls Capital Bra mit „Tilidin“ von 0 auf 9 steigt, sehe ich das Autobahnschild geradezu vor mir. In Höhe Nord-Süd-Fahrt.

Ich spare mir die Verbal-Injurien, der Grund ist ganz simpel: Ich bin des deutschen Hip-Hops momentan sehr, sehr müde und setze eine Woche aus. Kann sein, dass der aktuelle Output alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, alle meine Vorbehalte widerlegt, von magischer Raffinesse ist: egal. Das muss ich riskieren. Stattdessen habe ich mich mit „Highest In The Room“ von Travis Scott auseinandergesetzt. Da sich in meinem engsten Familienkreis ein ganz großer Fan des Rappers befindet und ich deshalb schon einiges von diesem mitbekommen habe, das ich gar nicht mal so übel fand, erwartete ich vielleicht nicht Legendäres, aber doch mehr als Annehmbares.

Und jetzt das. Wegen des engsten Familienkreises möchte ich mich bemühen, es so diplomatisch wie möglich auszudrücken, vielleicht in der Art von: „Travis Scotts neues Lied wird von einer Melodie getragen, die durch ihre verblüffende Simplizität besticht und durch ihre beständige Wiederholung eine musikalische Antwort auf Nietzsches „Ewige Wiederkunft des Gleichen“ findet.“ Hm. Gar nicht mal so übel. Belassen wir es dabei. Platz 8.

Böser Karrieristen-Pop

Jenseits von Rap und Hip-Hop bin ich diese Woche auf den irischen Singer-Songwriter Dermot Kennedy gestoßen. Da ich keinen seiner Fans persönlich kenne, befinde ich mich in der luxuriösen Position, alle Diplomatie fahren lassen und meine Abscheu auf den Punkt bringen zu können. Also denn: „Outnumbered“ ist böser Karriereristen-Pop, der in Werbespots und Warteschleifen gespielt werden will. Ha! Platz 77. Nicht in den Charts: Jakob Dobers „Wir halten die Welt fest“. Bitte, hören Sie diesen Song. Er ist ausgesprochen schön und berührend.