Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch beantwortet in unserer Stilkolumne die Frage, ob ein Dialekt bei der Arbeit unprofessionell ist.
Dialekt im MeetingSollte ich bei der Arbeit besser Hochdeutsch sprechen?
Ich arbeite in einem Unternehmen mit Beschäftigten aus allen Teilen Deutschlands und aus einigen anderen Ländern. Seit einigen Monaten haben wir einen neuen Teamleiter mit einem deutlich hörbaren Dialekt, den er selbst in Besprechungen nicht ablegt. Man versteht ihn zwar, aber er fällt damit trotzdem unangenehm auf – meiner Meinung nach gehört es sich, in einem professionellen Umfeld Hochdeutsch zu sprechen!
Noch vor zweihundert Jahren hätte sich dieses Problem nicht gestellt. Die Menschen sprachen damals so, wie es in ihrem Dorf oder ihrer Stadt eben üblich war. Schon ein paar Kilometer weiter sprach man anders, und niemanden störte das. Amtliche Bekanntmachungen oder Zeitungen erschienen je nach Region in unterschiedlichen Schriftsprachen, die sich an den Dialekten der jeweiligen Machtzentren orientierten und die außerhalb dieser Zentren niemanden interessierten. Bücher gab es kaum, Radio und Fernsehen natürlich gar nicht. Man kam also nie in die Verlegenheit, sich in einer im ganzen deutschsprachigen Raum verständlichen Weise äußern zu müssen.
Mit dem Entstehen größerer Nationalstaaten mit einheitlichem Rechts- und Bildungssystem, landesweit erscheinenden Zeitungen und Büchern und einer zunehmenden Mobilität der Menschen änderte sich das. Eine einheitliche Sprache musste her. So entstand nach einigen Umwegen das, was wir heute umgangssprachlich als „Hochdeutsch“ bezeichnen, und das setzte sich in immer mehr Bereichen durch. Wer etwas werden wollte, musste also diese Standardsprache beherrschen.
Die Dialekte sind seitdem auf dem Rückzug – in den Städten etwas schneller, auf dem Land etwas langsamer, im Norden insgesamt zügiger als im Süden. Eigentlich gibt es ja keinen logischen Grund mehr, neben dem Standarddeutschen auch einen Dialekt zu sprechen – aber wir Menschen sind eben nicht immer logisch. In der Kommunikation mit Familie, Nachbarn, Bekannten aus demselben Ort erhalten sich Dialekte bis heute.
Dialekt steht für Vertrauen, Hochdeutsch für den Status
Aus der Forschung weiß man, dass der eigene Dialekt bei uns Gefühle der Zuneigung, des Vertrauens und der Solidarität auslöst – eine Art sprachliches Heimatgefühl. Mit der Standardsprache verbinden wir die Vorstellung von Bildung, Status, beruflichem Erfolg.
Insofern liegen Sie nicht ganz falsch mit ihrem Gefühl. Es scheint angemessen, im beruflichen Umfeld die Standardsprache zu verwenden und den Dialekt nur im Privaten zu sprechen, wo er von allen verstanden wird.
Ganz so einfach ist es aber nicht: Unser Dialekt kann nämlich auch ein wichtiger Teil unserer Identität sein. Er zeigt ja unserem Gegenüber, wo wir herkommen. Wenn Menschen also kulturell stark in ihrer Herkunftsregion verankert sind, behalten sie deshalb mehr oder weniger starke Spuren ihrer Dialekte auch dann bei, wenn sie Hochdeutsch sprechen – in der Sprachwissenschaft sprechen wir hier von „Regiolekten“.
Ich vermute, auch Ihr Kollege spricht einen solchen Regiolekt. Das ist ein guter Kompromiss: Wenn er wirklich seinen lokalen Dialekt spräche, würden Sie ihn wahrscheinlich gar nicht verstehen. Würde er dagegen versuchen, ein „reines“ Hochdeutsch zu sprechen, käme er sich vor, als versteckte er einen wichtigen Teil von sich.
Wir haben das Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir sehr viel Wert auf individuelle Entfaltung und Respekt gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt legen. Davon sollten wir uns auch im Umgang mit Dialekten leiten lassen – dem eigenen und denen der anderen.
In unserer Kolumne beantworten Experten abwechselnd Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren.
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