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Nur noch 70 Gramm pro Woche?Was an den Empfehlungen für Fleischkonsum dran ist – ein Faktencheck

Lesezeit 5 Minuten
Eine kleine Bratwurst ist auf eine Gabel gespießt.

Laut Bild-Zeitung will die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Ernährungs-Empfehlung für Fleisch drastisch senken.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) plant die Ernährungs-Empfehlungen für Fleisch zu senken. Das steckt dahinter.

„Nur noch eine Currywurst im Monat!“, titelt die BILD-Zeitung am Dienstag und warnt, dass Neuigkeiten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) den Deutschen die Lust auf die bevorstehende Grill-Saison vermiesen könnten. Hintergrund ist die geplante Aktualisierung der Richtlinien für eine gesunde Ernährung der DGE, die als wichtigste Orientierung in Deutschland gelten.

Laut einem internen Dokument, das der Boulevard-Zeitung vorliege, plane der Ernährungsverband die Empfehlungen für den Fleischkonsum stark zu reduzieren. Aktuell empfiehlt die DGE einen maximalen Fleischverzehr von 600 Gramm pro Woche. Nach den Informationen der BILD-Zeitung soll die maximale Empfehlung künftig auf 70 Gramm pro Woche oder 10 Gramm täglich gesenkt werden.

Zum Vergleich:

  1. 1 Scheibe Lachsschinken wiegt ca. 10 Gramm
  2. 1 Scheibe Mortadella wiegt ca. 20 Gramm
  3. 1 Scheibe Kochschinken wiegt ca. 50 Gramm
  4. 1 Portion Schweinemett kommt auf ca. 75 Gramm
  5. 1 Portion Rindergulasch kommt auf ca. 150 Gramm
  6. 1 Schweinesteak wiegt ca. 150 Gramm
  7. 1 typisches Rindersteak kommt auf 200 bis 300 Gramm
  8. 1 Portion Currywurst kommt auf ca. 170 Gramm

Die unabhängige Fachgesellschaft gibt ihre Empfehlungen auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse heraus und übersetzt sie für Verbraucherinnen und Verbraucher in anschauliche Sprache und Grafiken. Etwa in Form der 10 Regeln einer vollwertigen Ernährung oder als Ernährungspyramide gegliedert. Bei den Ernährungs-Richtlinien der DGE handelt es sich jedoch nicht um verbindliche Vorgaben, sondern lediglich um Empfehlungen. Dennoch gelten sie als offizielle Richtlinie für eine gesunde Ernährung, an der sich Krankenkassen, Ernährungsberater, wie auch die Verantwortlichen für die Verpflegung in Seniorenheimen, Kitas und Schulen orientieren. Bei Branchenverbänden geht daher nun die Angst um, die Currywurst könnte bald aus den deutschen Kantinen verschwinden.

DGE: Überarbeitungsprozess ist noch nicht abgeschlossen

Der Ernährungsverband jedoch winkt ab: Konkrete Empfehlungen für die Verzehrmenge einzelner Lebensmittel stünden zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abschließend fest. Die aktuell in der Diskussion stehenden Zahlen von maximal 70 Gramm Fleisch pro Woche gehen aus einem Erklärvideo hervor, das die DGE Expertinnen und Experten im Rahmen des derzeit laufenden Konsultationsprozesses zu den aktualisierten Empfehlungen zur Verfügung gestellt hat. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ heißt es, die DGE überarbeite derzeit die wissenschaftliche Methode, mit der die Ernährungsempfehlungen für Deutschland abgeleitet werden. Diese Methode sei nun mehreren Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Institutionen und Fachverbänden vorgestellt worden, um ihnen die Möglichkeit zur Kommentierung zu geben. Ihre Kommentare sollen in die Empfehlungen eingearbeitet werden, bevor diese veröffentlicht werden. Der Prozess sei also noch nicht abgeschlossen.

Dennoch sorgt das Vorgehen für Unmut bei Branchenvertretern, die von einer „Vorfestlegung“ und einer „Pseudo-Beteiligungsmöglichkeit“ sprechen. Mit Blick auf die „Ernährungsstrategie“ der Bundesregierung spricht der Deutsche Bauernverband (DBV) gar von einer staatlichen Diskriminierung tierischer Lebensmittel. Der „Lebensmittel Zeitung“ sagte die Leiterin Lebensmittelrecht, Petra Nüssle, „hinter den scheinbar harmlosen Zielen der Strategie“ stecke unter anderem „die zunehmende Unterwanderung der DGE-Standards mit angeblichen Umweltgesichtspunkten“.

DGE-Empfehlung fließt in die „Ernährungsstrategie“ der Bundesregierung ein

Die Änderungen der DGE-Empfehlungen sollen auch als Eckpfeiler für die sogenannte „Ernährungsstrategie“ der Bundesregierung dienen. Kernziele der Strategie, die federführend vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet und bis Ende 2023 vom Bundeskabinett beschlossen werden soll, sind die Förderung einer gesünderen, ressourcenschonenden und pflanzenbetonten Ernährung, sowie die Förderung von mehr Bewegung. Laut Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Die Grünen) solle es bei der –durchaus umstrittenen – Strategie jedoch nicht darum gehen, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu essen haben, sondern dafür zu sorgen, „dass es für alle Menschen in Deutschland möglich ist, sich gut und gesund zu ernähren.“

Was sich laut DGE bereits abzeichne, sei, dass die Ernährungs-Empfehlungen künftig einen noch höheren Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln enthalten werden. Eine konkrete Angabe für den Verzehr einzelner Lebensmittel lasse sich daraus jedoch noch nicht errechnen. Fakt sei aber: „Ziel der neuen Methode zur Ableitung der lebensmittelbezogenen Ernährungs-Empfehlungen der DGE ist, dass sie durch ein mathematisches Optimierungsmodell Aspekte aus Gesundheit, Umwelt und Soziales integriert“, betont die Pressesprecherin. Das bedeute, dass neben Ernährungs- und Gesundheitsaspekten auch Kriterien für Umwelt- und Klimaeffekte, wie beispielsweise Treibhausgasemissionen, berücksichtigt werden sollen.

Hoher Fleischkonsum schadet Gesundheit und Klima

Der durchschnittliche Fleischkonsum der Deutschen liegt derzeit bei 763 Gramm Fleisch pro Woche bzw. bei 109 Gramm täglich – und damit weit über den noch aktuellen Empfehlungen der DGE von 300 bis höchstens 600 Gramm. Das schadet Studien zufolge der Gesundheit: zahlreiche der heute am weitesten verbreiteten Zivilisationskrankheiten, etwa Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck, können auch auf einen zu hohen Fleischverzehr zurückgeführt werden. Mehrere Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Risiko für einen akuten Herzinfarkt und die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen direkt mit der Fleischmenge zusammenhängen. Pro 100 Gramm Fleisch und Wurst täglich erhöhe sich demnach das Risiko um 150 Prozent. Zudem könnte das Krebsrisiko durch einen hohen Fleischkonsum erhöht werden. Abschließend geklärt ist dies jedoch nur für verarbeitetes Fleisch, wie Wurstwaren. Diese gelten laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als karzinogen, also krebserregend.

Auch die negativen Umwelt- und Klimafolgen durch den weltweit hohen Fleischkonsum sind beträchtlich. Insgesamt ist die Welternährung für rund ein Drittel des globalen Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Allein auf die Viehhaltung entfallen 14,5 Prozent der Treibhausgase. Verantwortlich dafür sind vor allem Methan-Emissionen, die besonders durch Rinder entstehen, sowie Lachgas-Emissionen als Folge der Stickstoffdüngung.

Tierische Lebensmittel sollen weiter in Empfehlungen enthalten sein

„Die Produktion von Lebensmitteln tierischer Herkunft ist im derzeitigen Ausmaß eine enorme Belastung für den Planeten“, unterstreicht die DGE-Sprecherin. Ganz vom Speiseplan müssten sie dennoch nicht gestrichen werden. Das sieht wieder die DGE noch die „Ernährungsstratgie" der Bundesregierung vor. Denn bei der Reduktion auf „einen angemessenen Umfang“ könnten sie laut der Ernährungsgesellschaft einen wertvollen Beitrag im Ernährungssystem liefern. Etwa indem Abfälle und für die Nahrungspflanzenproduktion unnutzbare Flächen für die Produktion tierischer Lebensmittel genutzt würden. Zudem gilt Fleisch als wertvolle Protein- und Nährstoffquelle. Tierische Lebensmittel, wie Fleisch, Milchprodukte oder Eier, würden in den Empfehlungen daher weiterhin enthalten sein. In welcher Menge werde jedoch erst abschließend feststehen, wenn der derzeit noch laufende Konsultationsprozess abgeschlossen sei.


Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) wurde 1953 als gemeinsame Organisation mehrerer Vereinigungen und Vereine aus dem Bereich Gesundheit und Ernährung gegründet. 96 Prozent der DGE-Mitglieder sind Einzelmitglieder, die restlichen vier Prozent gliedern sich in Wirtschaftsverbände und Firmen. Der Verein mit Sitz in Bonn wird zu etwa 70 Prozent durch öffentliche Mittel von Bund und Ländern finanziert. Die restlichen 30 Prozent werden durch eigene Einnahmen, Gebühren, Beratungen und Lehrgänge, sowie durch Mitgliedsbeiträge gedeckt.