RechtsfrageMein Arbeitgeber will mich zum Gendern verpflichten – darf der das?
- In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
- Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
- Diesmal erklärt Pia Lorenz, ob Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zum Gendern verpflichten dürfen.
Köln – Mein Arbeitgeber spricht mich in Rundmails an alle Mitarbeiter ständig mit „Kolleg*innen" an. Zudem soll es einen Leitfaden geben, der alle Mitarbeiter verpflichtet, in der internen Kommunikation und in Veröffentlichungen im Namen des Unternehmens zu gendern. Ist das rechtmäßig?
Sie stellen zwei Fragen, die man unterscheiden muss: Muss ich gegenderte Kommunikation hinnehmen? Und muss ich selbst gendern? Die Gerichte hatten bisher eher über Klagen zu entscheiden, die gegenderte Formulierungen durchsetzen wollten. Eine Sparkassen-Kundin scheiterte 2020 mit dem Versuch, das Geldinstitut zu verpflichten, Formulare und Vordrucke auch mit weiblichen Formen zu versehen. Die Deutsche Bahn hingegen muss nach einem aktuellen Urteil beim Fahrkartenverkauf neben Männern und Frauen auch nicht-binäre Personen ansprechen.
Nicht nur in großen Unternehmen steht die Verwendung geschlechtergerechter Sprache zunehmend auf der Agenda. Dass Mitarbeitende es hinnehmen müssen, gegenderte Mails zu erhalten, hat kürzlich das Landgericht (LG) Ingolstadt entschieden. Hier verlor ein VW-Mitarbeiter, der verlangt hatte, dass die Konzerntochter Audi ihm keine Mails, Mailanhänge oder Präsentationen mit dem sogenannten Gender-Gap („Kolleg_in“) mehr schicken darf. Bei Audi gibt es einen Leitfaden zum Gendern. Die Audi-Belegschaft, mit der der Kläger viel Kontakt hat, nutzt in ihrer Kommunikation unter anderem das Gender-Gap.
Das LG Ingolstadt wies die Klage ab: Gegenderte Mails von Audi zu erhalten, verstoße weder gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz noch verletze es den Mann in seinem Persönlichkeitsrecht. Gegenderte Mails zu erhalten, greife in das Persönlichkeitsrecht des VW-Mitarbeiters noch nicht einmal ein, erfülle also nicht einmal die erste Voraussetzung für eine Rechtsverletzung, so das Landgericht, „weder unter dem Aspekt der geschlechtlichen Identität, der sprachlichen Integrität noch des Rechts, in Ruhe gelassen zu werden“, heißt es in der Mitteilung. Man kann wohl zusammenfassen: Es gibt – auch und gerade im Arbeitsverhältnis – kein Recht darauf, von allem verschont zu bleiben, was einem nicht gefällt.
Das letzte Wort dürfte in dieser Sache noch nicht gesprochen sein. Der VW-Mitarbeiter denkt über Rechtsmittel nach. Ich wage aber die Prognose, dass auch die höhere Instanz und andere Gerichte sich dem Landgericht Ingolstadt anschließen werden. Die nur passive Nutzung, also den bloßen Erhalt gegenderter Kommunikation vom und im Unternehmen, wird man aushalten müssen.
Anders könnte es aussehen mit einer Pflicht für die Belegschaft, selbst gendersensible Sprache zu nutzen. Es gibt Expertinnen und Experten, die auch eine solche Pflicht als vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt ansehen. Schließlich zeige die gendersensible Sprache eine Haltung des Unternehmens nach innen und außen, deren Repräsentanz es auch von seinen Mitarbeitenden verlangen könne.
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Eine solche arbeitsrechtliche Pflicht, selbst gendergerechte Sprache zu nutzen, würde aber eindeutig in das Persönlichkeitsrecht jedes und jeder Einzelnen mindestens eingreifen. Ob dieser Eingriff gerechtfertigt, eine solche Pflicht also trotzdem rechtmäßig ist, wird am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. Bis es so weit ist, dürfte zumindest das Argument, dass das Gendern tradierte Sprachgewohnheiten künstlich verändere, angesichts der zunehmenden Nutzung gendergerechter Sprache an Bedeutung verlieren: Laut einer Umfrage der „Wirtschaftswoche“ (Juni) existieren schon heute in 64 Prozent der Dax-Unternehmen Leitlinien zum Umgang mit gendergerechter Sprache.