In der EU dürfen Grillen und Getreideschimmelkäfer verarbeitet werden – in welchen Produkten sie enthalten sein können.
Neue EU-VerordnungIn diesen Lebensmitteln dürfen jetzt Insekten verarbeitet werden
Neben Mehlwürmern und Heuschrecken sind ab dem 24. Januar 2023 auch Grillen und ab dem 26. Januar Getreideschimmelkäfer in Lebensmitteln erlaubt, sogar in Fleischersatzprodukten. Verbraucherschützer sehen das kritisch. In welchen Nahrungsmitteln genau Insekten verarbeitet sein können und was das etwa für Allergiker bedeutet.
Wenn Paul aus der Parallelklasse zappelnde dürre Beinchen aus dem Mund hingen, stand außer Frage: Hier handelt es sich um eine Mutprobe. Insekten zu essen, galt in den Achtzigern hierzulande nämlich noch nicht als schick oder politisch korrekt. Seit die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) im Jahr 2013 im Kampf gegen den Hunger und den Klimawandel die offizielle Empfehlung aussprach, Insekten auch im Westen auf den Essensplan der Zukunft zu stellen und mehr essbare Insekten zu züchten, wird darüber auch unter Europas (Ernährungs-)Expertinnen und -Experten ernsthaft diskutiert.
Warum sollten wir überhaupt Insekten essen?
Denn Insekten enthalten allerhand hochwertiges Protein, sind reich an ungesättigten Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen wie Eisen, Zink und Magnesium. Sie sind also gesund für den Menschen – und gut für das Klima. Sie verbrauchen weniger Fläche und Wasser, verursachen weniger Treibhaus-Emissionen, auch weil der Transport unkompliziert ist.
Zahlen und Fakten
- Ein Kilogramm Protein aus Insekten erzeugt man mit nur einem Zwölftel der Futtermittel, mit denen man ein Kilo Rindfleisch erzeugen würde
- Gefriergetrocknete Mehlwürmer haben einen Proteinanteil von 50,9 Prozent, Rindfleisch 22,3 Prozent, Schweine- und Hühnerfleisch 22,8 Prozent
- Die Produktion von Insekten verbraucht 1000 Mal weniger Wasser als die von Rindfleisch
- Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gibt es bereits 1900 essbare Würmer und Insekten, die rund zwei Milliarden Menschen als wichtige Nahrungsquelle dienen. Dabei handelt es sich vor allem um Käfer, Raupen, Ameisen, Bienen, Wespen, Heuschrecken, Grillen, Mehlwürmer und Larven.
- Laut einer Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung aus dem Jahr 2020 lehnen 60 Prozent der Deutschen Insekten als Lebensmittel ab
Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert schon lange dazu auf, mehr Insekten zu essen, denn Forscher gehen davon aus, dass unser Proteinbedarf immer weiter steigt, im Gleichschritt mit den Kosten für tierisches Eiweiß. Und Insekten demzufolge als Eiweißquelle in der Versorgung der Weltbevölkerung immer wichtiger werden, auch weil sie für weniger als 1 Prozent des CO2-Abdrucks der Nutztiere verantwortlich sind.
Welche Insekten sind im Essen zugelassen?
Als Nischenprodukt finden sich Insekten schon länger auf dem deutschen Markt – als herzhafter Snack, wie gewürzte Heuschrecken, als süßer in Form von in Schokolade getränkter Mehlwürmer oder als Würmer-Burger. Ein Marktcheck der Verbraucherzentralen von Oktober 2020 hat bestätigt, dass es sich bei Insekten-Speisen hierzulande noch um Nischenprodukte handelt: Nur 32 Produkte konnten die Verbraucherschützerin in den Regalen der Supermärkte ausfindig machen.
2018 wurden Insekten, Insektenteile und aus Insekten gewonnene Inhaltsstoffe in die „Novel-Food-Verordnung“ der Europäischen Union (EU) als potenzielles Lebensmittel aufgenommen. Die Verordnung regelt nach einem strengen gesundheitlichen Bewertungsverfahren die Zulassung neuartiger Nahrungsmittel auf dem europäischen Markt. Seit November 2021 ist demnach die Europäische Wanderheuschrecke zugelassen, seit Mai 2021 der gelbe Mehlwurm.
Jetzt hat die EU-Kommission in ihrer „Durchführungsverordnung 2023/5“ genehmigt, dass ab dem 24. Januar 2023 ein vietnamesisches Unternehmen – zunächst für fünf Jahre – auch die Hausgrille und den Getreideschimmelkäfer in den Verkehr bringen darf. Danach dürfen das auch andere Wettbewerber tun.
In welcher Form dürfen Insekten ins Essen, und in welches?
Die vietnamesische Firma „CricketOne Co. Ltd.“ darf ab 24. Januar teilweise entfettetes Pulver aus der Hausgrille in unterschiedlichen Konzentrationen folgenden Lebensmitteln beimischen:
- Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Backmischungen, Keksen
- Trocken verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen
- Soßen
- Pizzen
- Suppen, Suppenkonzentrate und -pulver
- Snacks auf Maismehlbasis, Nüsse
- bierähnliche Getränke
- Schokoladenerzeugnisse
- Fleischanaloge, also Fleischzusatzprodukte
- Fleischzubereitungen
Am meisten Grillen-Pulver darf mit 5 Prozent „fleischanalogen Nahrungsmitteln“ wie pflanzlichen Burger-Pattys und Snacks beigemischt werden, in „bierähnlichen Getränken“ dürfen es nur 0,1 Prozent sein, im Frischfleisch (Fleischzubereitung) 2 Prozent.
Die durch Wärme getrocknete Larve des Mehlwurms darf seit 2021 als Ganzes oder gemahlen als Lebensmittel verkauft werden oder als Pulver bis zu einem Anteil von 10 Prozent in Lebensmitteln wie Nudeln, Keksen oder Proteinprodukten verwendet werden.
Seit demselben Jahr darf die Europäische Wanderheuschrecke laut der Verbraucherzentrale Hamburg in drei Varianten in Europa als Lebensmittel verkauft werden: gefroren (ohne Flügel und Beine), getrocknet (ohne Flügel und Beine) und gemahlen. Als Zutat kann sie zum Beispiel in verarbeiteten Kartoffelprodukten, Nudeln, Suppen, Salaten, Schokoladenerzeugnissen oder Wurstwaren verwendet werden.
Woran erkenne ich, ob Insekten in Lebensmitteln sind?
Laut Katharina Holthausen, Lebensmittelexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW, ist der Hersteller in der Pflicht, Lebensmittel, in denen Insekten verarbeitet sind, entsprechend zu kennzeichnen, also in der Zutatenliste aufzuführen. Hintergrund ist eine Erkenntnis aus dem wissenschaftlichen Gutachten der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), dass der Verzehr von teilweise entfettetem Pulver der Hausgrille allergische Reaktionen bei Menschen auslösen kann, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Außerdem könnten über das Futtermittel für die Insekten weitere Allergene in das neuartige Lebensmittel gelangen.
Expertinnen und Experten der Verbraucherzentrale Hamburg befürchten, dass die Kennzeichnungen für den Verbraucher nicht leicht zu erkennen sind und der Hinweise auf Allergene nur kleingedruckt auf der Zutaten-Liste erscheinen wird, da die neue EU-Verordnung die Allergenkennzeichnung nicht klar und deutlich verlangt. Sie fordern deshalb, dass der Zusatz von Insektenpulver groß und deutlich auf dem Produkt erkennbar sein muss.
Da pulverisierte und gemahlene Grillen künftig auch „Fleischanalogen“ beigemischt werden dürfen, fordern die Verbraucherschützer zudem, dass solche Produkte dann nicht mehr als „vegan“ gekennzeichnet werden dürfen, da sie tierische Inhaltsstoffe enthalten.
Worauf sollten Allergikerinnen und Allergiker deshalb achten?
Beim Kauf oben genannter Produkte sollten Allergikerinnen und Allergiker die Zutaten-Liste auf die Begriffe „Acheta domesticus“ (Hausgrille), „Tenebrio molitor“ (Mehlwürmer), „Locusta migratoria“ (Wanderheuschrecken) und „Alphitobius diaperinus“ (Getreideschimmelkäfer) überpüfen.