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Interview mit Autor Jan Weiler„Männer glauben an Helden wie Winnetou oder James Bond“

Lesezeit 12 Minuten
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Buchautor Jan Weiler

  1. In Autor Jan Weilers neuem Buch „Kühn hat Hunger“ kommen Männer nicht gut weg.
  2. Das wirft Fragen auf: Was macht ihnen Angst? Was bringt Zuhören?
  3. Im Interview spricht der Buchautor über sein neues Werk, Weltfrieden, Frauen und Chauvinismus.

KölnHerr Weiler, in Ihrem Buch tritt ein gewisser Caparacq auf, der seinen Lesern verspricht, das geilste Männchen auf dem Affenfelsen zu sein. „Weck die Bestie, du Sau“, heißt sein Ratgeber. Wie viel Spaß hat es Ihnen gemacht, in diesen Kapiteln den Chauvi rauszulassen?

Weiler: Es macht total viel Spaß. Klar. So wie es den Schauspielern am meisten Spaß macht, Arschlöcher zu spielen. Man kann den ganzen Mist seinen literarischen Figuren zuschanzen, über die man sich am Ende lustig macht.Ist es nicht auch befreiend, weil man das Fiese irgendwie in sich selbst trägt?Nein, nein. Das ist es nicht. Es ist eher so, dass man sich in die Denke dieser Leute hineinsteigert und sie schließlich karikiert. Das Karikieren ist eine befreiende Freude.

Viele haben ja den Eindruck, dass einem politisch Unkorrektes wie das Caparacq-Geschwätz heute selbst in einer Satire übelgenommen wird. Wie sehen Sie das?

Das kann eigentlich nur passieren, wenn es nicht eingebettet wird. Bei mir ist es auf über 400 Seiten in eine Geschichte über den Mann als Verlierer eingeordnet. Die Männer kommen alle nicht gut weg. Ich würde sogar behaupten, dass es das feministischste Buch des Jahres ist. Wir haben uns aber in der Tat Gedanken gemacht, was wäre, wenn mir Menschen vorwürfen, ich sei misogyn. Wir sind zu dem Schluss gekommen, den Leuten zu sagen, dass sie das Buch bis zum Ende lesen sollen. So viel darf man den Menschen zumuten.

Reden wir über einen dieser Männer. Martin Kühn findet es im Moment eher sehr kompliziert, Mann zu sein. Finden Sie das eigentlich auch?

Ja und ich denke, es ist eine Generationsfrage. Alle Männer, die bis in die Mitte der 70er geboren wurden, sind mit einem gewissen Rollenverständnis aufgewachsen. Die großen Helden waren Winnetou und James Bond und man wuchs in der Vorstellung auf, dass der Mann sich kümmert, verantwortlich ist und Leistung bringt. Jetzt ist meine Generation in einem Altersscharnier. Auf der einen Seite sind wir mit den althergebrachten Erwartungen konfrontiert und auf der anderen Seite damit, dass wir uns auf Veränderungen einstellen müssen. Dazu gehört, dass Frauen viel selbstbewusster und unabhängiger sind. Wussten Sie, dass die meisten Ehen heute auf Initiative der Frauen geschieden werden?

Was heißt das für Männer wie Sie?

Ich glaube, die Lösung gibt es erst in der nächsten Generation. Meine Mutter ist über 80 und hat mal gesagt, sie gehöre zur letzten angeschmierten Frauengeneration. Das finde ich einen bemerkenswerten Satz. Ein Mann könnte das gar nicht sagen. Jetzt ändert sich alles rasant, und ich finde das super. Ich mag vor allem die Diskussionen mit meiner Tochter. Die lässt sich gar nichts mehr gefallen und sieht die Dinge ganz anders. Sie nennt mich häufig alter weißer Mann.

Was meint sie denn damit?

Es geht darum, Haltungen und Verhalten zu ändern. Heute muss man sich darüber klar werden, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eigentlich keine Rolle mehr spielen. Frauen können heute Soldat, Astronaut und Bundeskanzler werden. Und meine Tochter lässt mich spüren, dass das immer selbstverständlicher wird.

Was genau haben Sie denn von Ihrer Tochter gelernt?

Eine Menge. Ich sehe jetzt Dinge, die mir früher nicht aufgefallen wären. Ein Beispiel: Hinter der Bühne auf der Buchmesse wurde ich von einem Moderator begrüßt, der mir einen Kaffee anbot. Neben mir stand meine Pressebetreuerin, die er völlig ignorierte. Früher hätte ich das vielleicht gar nicht bemerkt. Ich sagte: „Ich hatte schon einen Kaffee, aber Frau K. hätte vielleicht gerne einen.“ Ich weiß nicht, ob ich mich damit nicht gleich wieder übergriffig verhalten habe. Ich wollte dem Mann aber signalisieren, dass man Frauen nicht wie Beistellpferdchen behandelt.

Für Kühn spielt der Unterschied noch eine große Rolle.

Er ist kein Chauvi, er ist nur verunsichert. Das ist dieselbe Verunsicherung, die Männer manchmal im Rahmen der #MeToo-Diskussion haben: Jetzt darf ich ja gar nichts mehr sagen. Das ist natürlich Blödsinn. Sie müssen nur richtig zuhören und darauf achten, wie Frauen reagieren. Genau das haben Sie bislang eben zu wenig gemacht.

Manchmal hat man Mitleid mit Kühn. War das Absicht?

Ich habe kein Mitleid. Der ist nicht ausgestoßen oder schwerstbehindert. Er ist einfach ein prototypischer Normalo, der als Vater, Mann und Kollege überfordert ist. Das reicht nicht für Mitleid. Da muss er durch.Sie freuen sich über den Gleichberechtigungsprozess, mögen es aber gar nicht, wenn er aktiv in die Sprache getragen wird. Leser*innen würde es bei Ihnen nicht geben.

Dem stehe ich sogar krass ablehnend gegenüber. Man will mir immer weismachen, dass Sprache das Bewusstsein prägt. Aber ich finde, das Bewusstsein prägt Sprache. Veränderungen kann man nicht von oben verordnen. Das sieht außerdem beschissen aus. Sollen sich die Leute doch Mühe geben und Leser und Leserinnen schreiben, wenn sie alle meinen. Das ist doch eigentlich simpel. Wenn ich erreichen möchte, dass eine totale Gleichberechtigung herrscht, dann arbeite ich an den Regeln des Zusammenlebens und nicht an der Grammatik.

Gibt es etwas, das Sie an der Feminismusdebatte stört?

An der Debatte stört mich grundsätzlich nichts. An den Argumenten vielleicht nur, dass es manchmal extrem schwarz und weiß ist. Wenn ich sage, dass ich diese durchgegenderte Sprache abscheulich finde, wird es so interpretiert, als hätte ich was gegen Frauen. Das ist Unsinn. Mich stört das Überschießende, das ständige Aufrechterhalten von Empörung, auch wenn es dafür keinen Anlass mehr gibt.

Sind heute viele Menschen zu überreizt, um Dinge außerhalb ihres Weltbildes anzunehmen?

Manche Leute sind ja nicht mehr in der Lage, einfache Fakten zu akzeptieren. Sie schicken ihre Knöllchen gleich an den Anwalt, weil sie nicht glauben können, dass der Blitzer richtig geeicht war. Statt zu sagen: Okay, ich war zu schnell, dann zahle ich halt die zehn Euro.

Warum ist das so?

Zum Teil, weil Autoritäten nicht mehr anerkannt werden oder ihnen nicht vertraut wird. Überall vermutet man irgendwelche Verschwörungen. Dem wird Vorschub geleistet durch solche Menschen wie Höcke, der eine Umvolkung durch ausländische Kriminelle aufziehen sieht. Das ist völliger Unsinn. Aber die, die das glauben, wollen es glauben. Die erreichen Sie gar nicht mehr mit Argumenten. Und ich könnte mir vorstellen, dass das alles derselbe Brei ist. Man selbst ist nicht schuld, das System ist schuld. Das beschäftigt mich enorm.

Sie beschreiben in Ihrem Buch einen Typ von Mann, der sich ebenfalls als Opfer einer Verschwörung sieht. Es geht um einen der so genannten Incels. Männer, die Frauen hassen, sich von ihnen schikaniert und sich um ihr Recht auf Sex betrogen fühlen. Große Aufmerksamkeit bekamen diese Männer, als einer von ihnen 2014 ein Attentat in Kanada verübte.

Das habe ich verfolgt. Das war allerdings nicht der Auslöser für mein Buch. Ich gehe seit 15 Jahren auf Lesereise und ich verbringe wahnsinnig viel Zeit an Bahnhöfen, in Fußgängerzonen, Regionalbahnen und Imbissen. Irgendwann fielen mir diese Normalos auf, die an diesen Orten so verloren, so wenig integriert wirkten – alle diese Sebastians und Hartmuts. Dann habe ich von dem Incel-Phänomen gelesen und die beiden Figuren entwickelt. Ich habe mich für die Recherche sogar in einem Incel-Forum im Internet angemeldet.

Die haben Sie reingelassen?

Ich habe irgendwas geschwafelt davon, dass Männer entrechtete Geschöpfe sind und habe kommentarlos eine Freischaltung bekommen. Es ist echt abstrus, was da los ist. Was Männer da texten, ist zum Teil strafbar. Sie malen sich furchtbare Dinge aus, die sie mit einer Frau machen würden. Es ist eine Mischung aus Paranoia, dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, Minderwertigkeitskomplex und Allmachtsfantasie.

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Gab es denn irgendwas, das Sie überrascht hat?

Interessant fand ich, dass sich die Konversationen eigentlich gar nicht nur um Frauen drehen, sondern auch um den so genannten Ken. Dieser Mann, der immer bei den Frauen landet, ist genauso ein Hassobjekt. Incels haben irgendwie das Gefühl, nicht gesehen zu werden und keine Anerkennung zu bekommen. Sie werden zornig. Das wiederum erinnert mich an diese AfD-Menschen. Und wenn sich das eine mit dem anderen vermischt, wird es wahnsinnig gefährlich. Man vermutet ja, dass der Attentäter in Halle auch ein Incel war.

Die Zivilisationsdecke ist schon sehr dünn.

Ja. Aber wir leben offenbar immer noch in einer gut organisierten Gesellschaft.

Kann man den Männern, zumindest Ihren Normalos helfen?

Das wäre der falsche Ansatz. Das müssen sie lernen. Da hilft nur Selbsterkenntnis. Es gibt aber viele Männer, die bis weit in das vierte Lebensjahrzehnt Kinder sind. Sie übernehmen keine Verantwortung und können keine Entscheidung treffen.

Was haben Sie da konkret beobachtet?

Sie sind nicht mal in der Lage, 20 Minuten das Handy wegzulegen. Erwachsen ist, hat Freud mal gesagt, wer seine Bedürfnisse hintanstellen kann. Ich muss jetzt Sex haben, sofort ein Bier trinken oder jetzt sofort Karriere machen – das zu Wollen ist total kindlich. Aber mit der heutigen Bedürfniserfüllungs-Industrie ist vieles nur einen Klick entfernt. Im Internet kriegt man jederzeit Pornos oder kann sich einen Kühlschrank bestellen, der einem sogar mitteilt, dass die Butter alle ist.

Fridays for Future müsste Ihnen da doch gerade recht kommen. Schließlich geht es auch darum den Lebenswandel ins rechte Maß zu rücken.Ja. Auf jeden Fall. Die Jugendlichen wollen nicht mehr so leben wie wir. Das sehe ich an meinen Kindern. Ich gehe da voll mit. Wir müssen uns als Weltgemeinschaft drauf einrichten, nicht mehr in dem verschwenderischen Modus leben zu können wie wir das in den letzten vierzig Jahren gemacht haben. Ich unterstütze das.

Wie denn?

Indem ich Fridays for Future nicht in Frage stelle. Ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen, die sie sich ausdenken. Wenn diese Jugendlichen mal Bestimmer sind und sagen, Kreuzfahrten und Inlandsflüge werden verboten, dann würde ich sagen, okay, Ihr habt Recht. Einen CO2-Schuldkomplex habe ich zwar nicht, aber ich fahre zum Beispiel so viel wie möglich mit der Bahn – auch wenn das manchmal der Horror ist.

Könnte Kühn ein CO2-neutrales Leben führen?

Nein. Das ist ein bourgeoises Thema. In einem kleinbürgerlichen Leben spielt das keine Rolle. Ich kenne einen 150-Kilo-Baggerfahrer, der abends nach Hause kommt und einfach Hunger hat. Der isst seine Nudeln und mehrere Zwei-Minuten-Steaks und sagt: Sorry, aber die Alternative kann jetzt nicht sein, dass ich Salat esse.

Kühn ist immerhin so reflektiert, dass er Diät macht. Was ist mit Ihnen, machen Sie Diät?

Ununterbrochen. Als ich das Buch schrieb, habe ich wahnsinnig viele Pralinen gegessen. Ich nehme immer zu, wenn ich am Schreibtisch sitze und vor mich hin tippe. Schokolade ist meine Belohnung. Ich kann nicht gleichzeitig asketisch leben und konzentriert arbeiten. Es ist mein Untergang. Jetzt habe ich wieder zehn Kilo abgenommen.

In Ihrem Buch fließt viel Ingwerwasser...

Ist nicht ausgedacht. Habe ich selbst viel getrunken. Gesunde Ernährung ist wichtig. Nur nicht vegan. Ist nichts für mich. Warum essen Veganer kein Huhn?

Jetzt kommt’s.

Weil Ei drin ist.

Haben Sie schon mal überlegt, selbst so einen geschmacklosen Caparaque-Ratgeber zu veröffentlichen?

Ja. Ist immer so ein Thema zwischen meinem Lektor und mir. Aus Spaß. Haben es aber nie gemacht, weil es so guerillamäßig gar nicht geht. Am Ende muss das Buch auch in die Verlags-Vorschau. Man kann es in einem großen Verlag nicht heimlich veröffentlichen.

Wissen Sie, was Sie als nächstes tun werden?

Ich weiß schon für die nächsten vier Jahre, was ich mache. Ich habe einen genauen Plan.

Macht Sie das nicht fertig?

Nein. Ich finde das wahnsinnig toll. Das schafft Ordnung.

Kennen Sie keine Erschöpfung?

Doch. Ich war schon mal total überlastet und habe dann eine Pause von den Lesereisen gemacht. Ich hatte einen Coach, der alles mit mir neu eingestellt hat. Er sagte, ich hätte jetzt schon eine Erwerbsbiografie wie ein 70-Jähriger! Meine Kinder kannten mich nur arbeitend.

Was hat Sie damals angetrieben?

Völlig überzogene Existenzangst. Das Gefühl, wenn ich jetzt nein sage, dann fragt mich keiner mehr. Ich hatte Angst, meine Familie nicht mehr ernähren zu können. Ich wollte auch, dass sich alle freuen und zufrieden sind. Letztlich war es auch die Suche nach Anerkennung. Nach Wertschätzung dafür, dass man zur Verfügung steht, alles gut macht und pünktlich abliefert. Inzwischen habe ich mich gebessert.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Arbeit?

Eine große. Es wird nicht mehr lange dauern, dann verliert der Roman in der Langform seine Bedeutung. Wenn man sich über die Epochen hinweg mal die Texte ansieht: Erst kam die Lyrik, dann das Drama, der Roman ist verhältnismäßig jung – und jetzt gerade scheint das Sachbuch prägender als der Roman zu sein. Die Struktur von Romanen sieht man nun in den Serien. Alle zwei Jahre einen Roman zu veröffentlichen, ist schon beinahe anachronistisch. Mich interessiert in der Tat, wie ich meine Art zu erzählen außerhalb der Buchdeckel präsentieren kann.

Sie sind Serienfan?

Ja. Die letzte Serie, die mich nachhaltig beeindruckt hat, war die erste Staffel von „Narcos“. Das ist Unterhaltung auch mit dokumentarischen Mitteln auf einem unglaublichen Niveau. Es gibt ja großes Geheule darüber, dass die Leute heute weniger lesen. Aber wenn die Qualität dessen, was sie auf dem Bildschirm sehen können, so hoch ist, wundert das nicht. Ich würde gerne bei einer Serienentwicklung mitmachen. Den großen Bogen spannen und mir Figuren ausdenken.

Wir sind mitten in der fünften Saison. Sie kommen aus dem Rheinland. Feiern Sie Karneval?

Leider nicht. Früher, wenn Karneval war, haben wir die Rollläden runtergemacht, eine Kiste Bier gekauft und 20 Videos geliehen. Dann bin ich vor 26 Jahren nach München gezogen und da spielt Karneval keine Rolle. Aber je länger ich hier wohne, desto größer die Wehmut, wenn ich am Rosenmontag den Fernseher anmache. Och, Mensch. So mit Freunden jetzt Karneval zu feiern, wäre eigentlich ganz nett.

Wäre ein Indianerkostüm für Sie okay?

Ja. Das muss in dieser freien Gesellschaft möglich sein, zumal an Karneval, weil Karneval Entgrenzung bedeutet. Da kann ich als Yeti, Gandhi, Frau oder Indianer gehen. Ich habe da keinen Rechtfertigungszwang. Wissen Sie, was das beste auf der Welt ist?

Was denn?

Fußball.

Fußball?

Nein, Frauen. Weltfrieden. Nein.

Weltfrieden durch Frauen?

Nein. Jetzt hab ich es. Das beste ist, wenn Kaffee und Kuchen wirklich mal gleichzeitig serviert werden. Dann kommt Fußball. Dann kommen Frauen. Dann nichts. Und irgendwann Weltfrieden.