AboAbonnieren

Mit VergleichsrechnerSingles, Kinderlose, Eltern – ab wann gelte ich als „arm“?

Lesezeit 5 Minuten
Drei Krüge gefüllt mit Münzen stehen auf einem Tisch.

Nicht jeder Haushalt braucht das gleiche Einkommen.

Zwischen Singles und Familien liegen erhebliche Unterschiede: Ab welchem Gehalt Sie als arm gelten und wie Sie im Vergleich dastehen.

Seit Jahren fallen in Deutschland immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze. Ihr Anteil steigt seit 2006 langsam, aber konstant an. Zwar gibt es für das Jahr 2022 noch keine Zahlen, doch muss davon ausgegangen werden, dass Inflation, Energiekrise und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie den Trend verschärfen.

Aber ab wann gilt man als arm? Von welchen Faktoren hängt das ab? Und wie steht man mit welchem Gehalt im Vergleich da? Wir haben Daten, unter anderem des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) visualisiert und zeigen, wo die Armutsgrenzen verlaufen und wie weit man mit welchem Gehalt davon entfernt ist.

Wie hat sich die Armut in den letzten Jahren entwickelt?

Auf den ersten Blick scheint die Entwicklung nicht besonders dramatisch auszusehen, doch seit 2006, kurz nach der Einführung von Hartz-IV, steigt der Anteil der armutsgefährdeten Menschen langsam, aber stetig an: Waren es 2006 noch 14 Prozent, sind es heute 16,6 Prozent.

Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Die Lebensbedingungen zwischen Ost und West gleichen sich an. Vor 17 Jahren lag noch eine klaffende Lücke zwischen den beiden Landesteilen, was die Armut angeht. Während 2006 noch 19,2 Prozent der Ostdeutschen unter dieser Grenze gelebt haben, waren es 2021 17,6 Prozent. Auf der anderen Seite steigt der Anteil der Armen im Westen stark an: von 12,7 Prozent im Jahr 2006 auf 16,3 Prozent 2021.

Ab wann gilt man als arm?

In den Sozialwissenschaften wird zwischen absoluter Armut und relativer Armut unterschieden. Absolute Armut bedeutet, dass Grundbedürfnisse wie Ernährung, Medizin, Kleidung oder Wohnen nicht gedeckt werden können. Als absolute Armut definiert die Weltbank ein Einkommen unter 2,15 US-Dollar.

Relative Armut bezieht sich auf die soziale Ungleichheit in einem Land. Laut EU-Definition gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Die Armutsgrenze richtet sich aber auch nach anderen Lebensbedingungen, namentlich nach dem Haushaltstyp: Wer allein lebt und keine Kinder hat, braucht weniger Geld als ein Paar mit zwei Kindern. Deswegen variiert die Armutsgrenze je nach Haushaltstyp – und das teils beträchtlich.

Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) brauchte ein Einpersonenhaushalt 2021 ein Nettoeinkommen von mehr als 1148 Euro, um über der Armutsgrenze zu liegen. Ein alleinerziehender Mensch mit einem Kind dagegen braucht mehr als 1492 Euro, eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren schon über 2410 Euro.

Wo liege ich mit meinem Gehalt?

Wie weit ist man mit welchem Gehalt von dieser Grenze entfernt? Wie viel Prozent der Bevölkerung verdienen mehr als ich? Mit dem Einkommensrechner des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft lassen sich dazu ziemlich genaue Aussagen treffen – wenn auch mit Einschränkungen. Denn die Daten beziehen sich auf die Einkommensverteilung aus dem Jahr 2019.

In welche Richtung sich die Einkommensverteilung durch Corona, Krieg und Inflation entwickelt haben, lässt sich nur andeuten, sagt Dr. Maximilian Stockhausen, IW-Ökonom und Mitentwickler des Einkommensrechners. Corona und Energiekrise dürften seiner Einschätzung nach widersprüchliche Effekte haben: „Bisher deutet sich durch Simulationsstudien nur an, dass in der Corona-Pandemie die Haushaltseinkommen vor Steuern und Transferzahlungen deutlich gesunken sind.“ Grund dafür seien etwa Kurzarbeit und Lockdowns. Corona-Hilfen hätten den Anstieg der Ungleichheit aber laut einer IW-Studie spürbar verhindert.

„Die aktuelle Energiekrise dürfte sich hingegen anderes auf die Entwicklung der Haushaltseinkommen auswirken.“ Der Arbeitsmarkt sei stabil, deswegen sei mit steigenden Haushaltseinkommen zu rechnen. Durch die Inflation werde dieser Zuwachs aber aufgefressen, die Menschen haben zwar etwas mehr Geld, können sich davon aber deutlich weniger kaufen. Hinzu komme die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine mit vermutlich eher geringem Einkommen. „Für 2022 rechne ich daher eher mit einem leichten Anstieg der Ungleichheit“, sagt Stockhausen.

Der Einkommensrechner ist also mit Vorsicht zu genießen, bietet aber trotzdem einen guten Überblick, wie viele Menschen unter der Armutsgrenze leben und wo man sich mit welchem Gehalt auf der Einkommenspyramide einsortiert. Die Vergleichszahlen beziehen sich auf das sogenannte bedarfsgewichtete Einkommen. Dadurch wird berücksichtigt, dass das Leben für den Einzelnen günstiger wird, wenn mehrere Menschen in einem Haushalt leben und dass Kinder in der Regel weniger Geld brauchen als Erwachsene.

Singles

Die Armutsgrenze liegt bei einem alleinlebenden Menschen in Deutschland bei 1148 Euro Nettoeinkommen, und ist damit im Vergleich zu anderen Haushaltstypen am niedrigsten. Fast ein Viertel der Singles lag 2019 unter dieser Grenze. Insgesamt zeigt unsere Grafik: Es braucht vergleichsweise wenig, um als Single zu den Topverdienern zu gehören. Schon mit einem Nettoeinkommen von 3000 Euro gehört man zu den reichsten 15 Prozent der Singles, während 32 Prozent der Gesamtbevölkerung mehr zur Verfügung haben. Kein Wunder, denn als Alleinlebender muss man nur sich selbst versorgen, die Ausgaben sind dementsprechend niedriger.

Alleinerziehende

Alleinerziehende gehören zu den Personengruppen mit dem größten Armutsrisiko. Die Armutsgrenze für einen alleinerziehenden Menschen mit einem Kind unter 14 Jahren liegt bei 1492 Euro. 2019 hatten 30 Prozent der Alleinerziehenden weniger Geld zur Verfügung. Mit 3000 Euro konnte man sich schon zum reichsten Fünftel der Alleinerziehenden zählen, während knapp 40 Prozent der Gesamtbevölkerung mehr Geld zur Verfügung hatte.

Kinderloses Paar

Finanziell vergleichsweise gut geht es dagegen kinderlosen Paaren. Beide Personen können Geld verdienen – und müssen damit nur sich selbst versorgen. Die Armutsgrenze liegt bei 1721 Euro. 2019 hatten nur 6 Prozent der kinderlosen Paare monatlich weniger Geld zur Verfügung. Selbst mit 3000 Euro lag man 2019 immer noch unter dem Durchschnitt: 66 Prozent der kinderlosen Paare hatten mehr Geld. Noch nicht einmal mit 5000 Euro gehörte man zum reichsten Fünftel.

Paare mit zwei Kindern

Paare mit zwei Kindern unter 14 Jahren brauchen von allen Vergleichsgruppen das meiste Geld, verfügen oft aber auch darüber. Die Armutsgrenze liegt bei 2410 Euro. Ein Zehntel der vierköpfigen Familien lag 2019 unter dieser Grenze. Vierzig Prozent der Familien hatten sogar mehr als 5000 Euro im Monat zur Verfügung. Das entspricht allerdings auch nur dem bedarfsgewichteten Einkommen eines Singles von 2381 Euro.