AboAbonnieren

Beratung überlastetPandemie treibt mehr Menschen in die Schulden – das raten Experten

Lesezeit 10 Minuten
Symbolbild Schulden Corona

Die Corona-Pandemie sorgt bei vielen Menschen für ein leeres Portemonnaie.

Köln – Während die einen aktuell gar nicht wissen, was sie mit dem Geld machen sollen, das sie an Urlauben, Events und Auswärtsessen gespart haben, kommen andere Teile der Gesellschaft ins Straucheln: Die Pandemie bereitet immer mehr Menschen finanzielle Probleme. Die Schuldnerberatungen sind überlastet, im Ruhrgebiet und in Sachsen berichten die Verbraucherzentralen von monatelangen Wartezeiten. Auch in Köln treibt die Pandemie Menschen in die Überschuldung, vor allem durch Jobverlust und Kurzarbeit. Wir haben uns mit drei Insolvenzberatern von der Caritas, der Diakonie und der Verbraucherzentrale NRW unterhalten. Wie erleben sie die Lage? Und was raten sie Menschen, die bald nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen?

Studie zeigt: Corona-Krise verstärkt Überschuldung und Ungleichheit

Um herauszufinden, wie sich die Pandemie auf die finanzielle Situation der Menschen in Deutschland auswirkt, hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben. Die Wissenschaftler haben verschiedene Indikatoren untersucht und dafür Daten von Schufa, Bundesnetzagentur, Amtsgerichten und dem Statistischen Bundesamt herangezogen. Demnach sind rund 5,3 bis 7 Millionen Menschen in Deutschland überschuldet. Das kann heißen: Ihnen wurde der Strom abgestellt, der Kreditvertrag gekündigt oder das Gehalt gepfändet.

Jeder Dritte in Deutschland musste in der Krise an sein Erspartes gehen, ein Viertel hatte es bis Oktober bereits aufgebraucht oder hatte von vornherein keine Rücklagen. Dass ihre eigene finanzielle Situation sich durch die Pandemie verschlechtert hat, sagen knapp 30 Prozent der Befragten in einer ergänzenden Umfrage – demgegenüber stehen gerade einmal 7,5 Prozent, die eine finanzielle Verbesserung spüren.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die Covid-19-Pandemie zunehmend Menschen in die Überschuldung treibt und bestehende soziale Ungleichheiten noch verschärft. „Bereits verwundbare Personen ohne Rücklagen geraten immer stärker unter Druck“, schreiben die Wissenschaftler. „Zudem laufen neue Personengruppen Gefahr, in die Überschuldung zu geraten.“ Betroffen seien insbesondere prekär Beschäftigte, Selbstständige und Menschen in Ausbildung, aber auch Frauen und Familien.

Privatinsolvenz: So ist die Lage in Köln

Anne Schneider

Anne Schneider, Schuldnerberaterin der Caritas Köln

Auch in Köln bereitet die Pandemie immer mehr Menschen Geldsorgen. Das bestätigen Beratungsstellen für überschuldete Verbraucher von der Caritas, der Diakonie und der Verbraucherzentrale NRW. Die Schuldnerberatung in Köln sei ohnehin chronisch überlastet, zurzeit suchten aber noch mehr Menschen Hilfe als sonst. „Es gibt sicherlich einen Corona-Effekt und ich denke, das wird noch zunehmen“, erklärt Anne Schneider, Schuldnerberaterin beim Caritasverband für Köln. „Wir kriegen viele Anrufe von Menschen, die jetzt in Kurzarbeit gerutscht sind und nicht mehr wissen, wie sie zum Beispiel ihre Miete zahlen sollen“, erklärt sie. Die häufigsten Ursachen seien nach wie vor der Arbeitsverlust und dauerhaft niedrige Einkommen. Durch die Krise sei es noch schwieriger geworden, einen Job zu finden, hört sie häufig.

„Im vergangenen Jahr haben wir viele Menschen beraten, die in der Krise arbeitslos geworden sind oder aufgrund der Kurzarbeit wesentlich weniger Geld zur Verfügung hatten“, bestätigt Barbara Beck von der Schuldnerberatung für das Diakonische Werk Köln und Region. Sie könnten dann oft ihren Haushalt nicht mehr stemmen. Ratenzahlungen von Krediten oder von größeren Anschaffungen, Stromnachzahlungen, medizinische Kosten oder Autokosten würden schnell zum Problem. „Dass sie das nicht mehr bedienen können, lässt die Menschen verzweifeln“, so Beck.

Solo-Selbstständige aus Gastronomie, Kultur und Karneval betroffen

Barbara Beck

Barbara Beck, Schuldnerberaterin der Diakonie Köln

Andere klassische Ursachen sind chronische Krankheiten und Behinderungen, Trennung oder Scheidung oder eine Selbstständigkeit, die gefährdet oder gescheitert ist. Vor allem aus der Gastronomie mussten viele Klein-Selbstständige in Köln wegen der Krise aufgeben, erzählen die Schuldnerberaterinnen. Auch rund um den Karneval habe es viele Selbstständige in Köln getroffen, sagt Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW. „Vom Kostüme nähen bis zum Wagen bauen – am Karneval hängt sehr viel dran“, so der Experte für Verbraucherinsolvenzrecht.

Die Zuschüsse kommen schleppend. „Teilweise haben die Klein-Selbstständigen bisher keine Coronahilfen vom Staat bekommen“, sagt Beck. „So kann etwa der laufende Kredit nicht mehr bedient werden und die Fixkosten laufen trotzdem weiter“, sagt Schneider. Das bringt viele Menschen in eine wirtschaftliche Misere, „existenzielle Ängste nehmen zu.“

Hilfe bei akuten psychischen Krisen

Telefonseelsorge:anonyme, persönliche Beratung am Telefon, im Chat oder per Mail24 Stunden am Tag, kostenlos aus ganz Deutschland0800 1110-111 oder -222oder 116123www.telefonseelsorge.de

SeeleFon:Beratung für psychisch Erkrankte und Angehörige vom Bundesverband der Angehörigen psychisch KrankerUnter 0228 71002424Montag bis Donnerstag von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 20 UhrFreitag von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhrwww.bapk.de

Kliniken in Ihrer Nähe finden Sie über die Suchfunktion der Deutschen Depressionshilfe.

Weitere Kontakte hat die Eckhard-Busch-Stiftung hier gesammelt. (hen)

Depressionen, Ängste: Geldprobleme können krank machen

Die enorme psychische Belastung, die mit der Überschuldung einhergeht, ist nicht zu unterschätzen, das betonen die Experten alle. Etwa bei einer drohenden Privatinsolvenz oder bei ständigen Geldsorgen über viele Jahre hinweg. Selbstständige, die sich zusätzlich von ihren eigenen Geschäft verabschieden müssen, kann das schwer treffen.

Viele der Menschen, die sich bei ihnen meldeten, seien psychisch stark angespannt und hätten Ängste und Depressionen entwickelt, berichtet Barbara Beck. Sie fühlten sich „hilflos, verunsichert und teils alleine gelassen“. Diesen Druck gäben sie an die Mitarbeiter der Schuldnerberatung weiter. „Wir können unter den gegebenen Umständen derzeit nur eine Notversorgung anbieten“, sagt Beck. „Das ist auch für uns eine äußerst schwierige Situation.“

Überschuldet: So läuft die Beratung während der Krise

Auch die Schuldnerberatungen können ihren Betrieb aktuell nur eingeschränkt fortführen. Das persönliche Gespräch vor Ort ist nicht möglich, stattdessen wurden die telefonische Beratung und das Online-Angebot erweitert. Die meisten Stellen bieten zur Terminvergabe eine kurze Telefonsprechstunde und eine Online-Alternative an. Die Beratung erfolgt derzeit telefonisch.

„Wenn wir Termine vergeben, versuchen wir sie innerhalb von vier Wochen umzusetzen“, sagt Anne Schneider von der Caritas. Länger wollten sie niemanden vertrösten. „Es ist nicht damit getan, die Schuldnerinnen und Schuldner aufzunehmen. Wir müssen die Fälle auch bearbeiten“, erklärt Schneider. Und das sei viel Arbeit und zeitaufwendig.

In Kürze: 7 Tipps bei Geldproblemen

1. Sich einen Überblick verschaffen über Schulden. Unterlagen wie Verträge und Rechnungen zusammenstellen.

2. Fixkosten reduzieren: Gibt es günstigere Anbieter bei Strom, Internet, Mobilfunk? Stromverbrauch senken, Verbraucherschützer bieten Stromspar-Checks.

3. Weitere Einnahmen möglich? Anspruch auf Sozialleistungen prüfen, zum Beispiel Wohngeld. Steuererklärung machen, im Schnitt gibt es 1000 Euro zurück.

4. Wenn man nicht mehr alle Rechnungen direkt begleichen kann: Miete, Strom, Lebensmittel und Internet gehen vor.

5. Einen Termin bei einer Schuldnerberatung ausmachen, mehrere Wochen mögliche Wartezeit einplanen.

6. Bei Gläubigern wie einem privaten Vermieter das Gespräch suchen, etwa um Stundung oder Ratenzahlung der Schulden bitten.

7. Keine neuen Schulden aufnehmen, um alte abzubezahlen, zum Beispiel durch einen Kredit.

Schuldnerschutz: Coronakrise als Ursache angeben

„Unser Job ist, uns mit den Gläubigern in Verbindung zu setzen“, erklärt Schneider. Sie versuchten dann, eine Stundung zu erwirken – mit der Covid-19-Pandemie als Ursache, da gebe es einen besonderen Schuldnerschutz. „In der Regel haben wir damit Erfolg gehabt“, sagt Schneider. Allerdings gerieten viele Gläubiger selbst in finanzielle Engpässe. Zum Beispiel wenn ein Vermieter auf die Einnahmen angewiesen ist, um die Immobilie abzuzahlen. „Dann gibt es die nächste Schuldenspirale.“

Soforthilfe leistet die Schuldnerberatung, wenn jemandem das Konto gesperrt wurde und er oder sie nun dringend eine sogenannte P-Bescheinigung für ein Pfändungskonto braucht. Mit dieser können die Betroffenen noch einen bestimmten Betrag monatlich abheben und kommen wieder an Geld. „In den Fällen schieben wir die Ratsuchenden eigentlich immer dazwischen, um schnell helfen zu können“, sagt Schneider.

Verfahren verkürzt: In drei Jahren schuldenfrei

Die meisten Menschen, die sich bei der Beratungsstelle melden, wollten aber eine Privatinsolvenz einleiten. „Das nimmt immer mehr zu“, erklärt Schneider. Einen Grund dafür vermuten die Insolvenzberaterinnen neben der Krise auch in einer rechtlichen Änderung. Seit Ende 2020 dauert ein Verbraucherinsolvenzverfahren nur noch drei Jahre. „Vorher waren es bis zu sechs Jahre, da war die Hemmschwelle etwas größer.“, sagt Schneider.

Interview: Erste Hilfe bei Überschuldung

Christoph Zerhusen

Christoph Zerhusen, Jurist Kredit und Entschuldung bei der Verbraucherzentrale NRW

Christoph Zerhusen ist Experte für Verbraucherinsolvenzrecht bei der Verbraucherzentrale NRW. Er erklärt, was Menschen mit akuten Geldsorgen tun können, wenn sie bislang keine Hilfe bekommen.

Wie erleben Sie die derzeitige Situation in der Schuldnerberatung?

Christoph Zerhusen: Die Coronakrise macht deutlich: Überschuldung kann jeden treffen. Man kann schnell in die Überschuldung rutschen, etwa durch eine langanhaltende schwere Krankheit. Durch die Krise wird deutlich, dass Überschuldung mit Schuld nichts zu tun hat. Diese Pandemie konnte man nicht vorhersehen.

Was raten Sie Menschen, wenn sie erste Rechnungen nicht mehr direkt begleichen können?

Wenn ich merke, ich kann nicht mehr alles bedienen, würde ich eine klare Prioritätenliste bilden. Ich würde immer als Erstes die primären Verbindlichkeiten zurückzahlen, also meine laufenden Kosten decken. Ich würde immer schauen, dass die Miete bezahlt ist und der Strom und Lebensmittel kaufen, bevor ich Raten von einer alten Verbindlichkeit weiterzahle.

Wann sollte man sich lieber Hilfe suchen?

Spätestens dann, wenn ich dauerhaft, über einen längeren Zeitraum meine laufenden Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann, sollte ich handeln und mir Hilfe suchen. Wenn ich von Pfandvollstreckungsmaßnahmen bedroht bin, dann würde ich sofort professionelle Hilfe aufsuchen. Zum Beispiel bei einer drohenden Kontenpfändung. Generell gilt: Je früher ich mich melde, desto mehr Verhandlungsspielraum besteht noch.

Wo bekomme ich Hilfe?

Eine gute Schuldnerberatungsstelle erkennt man daran, dass sie amtlich anerkannt ist. Alle anderen dürfen nur eingeschränkt rechtlich beraten. Die Wohlfahrtsverbände, die Kommunen, die Verbraucherzentralen, das sind alles amtlich anerkannte Beratungsstellen. Bei Fachanwälten für Insolvenzrecht würde ich darauf achten, dass der Anwalt oder die Anwältin die Beratung selbst durchführt und das nicht an jemanden delegiert.

Schuldnerberatung in Köln zu Corona-Zeiten

Caritas:für Terminvereinbarung0221 98577-614mittwochs von 9 bis 12 UhrOnlineberatung und weitere Ratgeber

Diakonie:für Terminvereinbarung0221 160 38-66dienstags von 10 bis 12 UhrAngebote für Rhein-Berg und Rhein-Erft finden Sie hier.

Verbraucherzentrale NRW:Telefonisch0221 846188-08oder über das Kontaktformular

Weitere staatlich anerkannte Schuldnerberatungen in Köln bieten etwa der Sozialdienst katholischer Männer SKM oder der Verein für soziale Schuldnerberatung, VSSB.

SKM:für Terminvereinbarung0221 2074-0 oder 02203 95536-0 für Porzdonnerstags 9 bis 11 Uhroder per Mail anschuldnerberatung@skm-koeln.de

VSSB:für Terminvereinbarung0221 5906482montags bis freitags 9 bis 12 Uhr(Beratung nur mit Termin)oder per Mail aninfo@vssb-koeln.de

Was kann ich selbst tun und was sollte ich lieber Experten überlassen?

Wenn ich zum Beispiel einen privaten Vermieter habe, mit dem man reden kann, sollte man sich frühzeitig bei ihm melden. Wenn es aber um die Prüfung von Inkassokonten geht, würde ich auf professionelle Hilfe warten, das ist eine sehr spezielle Materie. Die Fachleute können prüfen: Sind die Kosten und Zinsen, die da geltend gemacht werden, überhaupt richtig? Vergebe ich hier vielleicht Rechte, wenn ich auf eine vom Gläubiger formulierte Ratenzahlungsvereinbarung eingehe? Da wäre ich eher vorsichtig.

Was denken Sie: Ist ein Kredit sinnvoll zur Überbrückung von schwierigen Phasen?

Ich würde grundsätzlich nicht versuchen, Schulden mit Schulden zu begleichen. Neue Schulden machen, um alte Schulden zu bezahlen, da würde ich in der Regel von abraten. Eine Umschuldung macht nur in ganz speziellen Konstellationen Sinn.

Warum verdrängen viele Menschen es erst mal, wenn sie Geldprobleme haben?

Die Hemmschwelle, sich diesem Problem zu stellen, ist erfahrungsgemäß sehr hoch. Geldprobleme sind nach wie vor ein starkes Tabu in unserer Gesellschaft. Oft gehen sie mit Ohnmacht und Hilflosigkeit einher. Das kann dazu führen, dass man sich mit dem Problem gar nicht mehr auseinandersetzt, Post nicht mehr öffnet, nicht an den Briefkasten geht. Überschuldung ist oft ein jahrelanger Prozess, die Menschen rutschen da nach und nach tiefer hinein.

Welche Folgen kann es haben, wenn Menschen ihre Geldsorgen verdrängen?

Überschuldung zieht ein Stigma mit sich: Diesen Vorwurf, man könne nicht mit Geld umgehen. Das geht mit starken psychischen Belastungen und Einschränkungen einher. Wenn Menschen ihre finanziellen Probleme von sich wegschieben, kann sie das krank machen. Das ist in der moderneren Armuts- und Überschuldungsforschung nachgewiesen und auch, dass Schulden bestimmte Krankheitsbilder fördern. Dazu gehören psychische Erkrankungen wie Depressionen. Auch da würde ich mir Hilfe holen, einen Arzt oder eine Beratungsstelle, die ganzheitlich das Problem betrachtet.