MüllflutWarum auch Pflanzen mit Mikroplastik belastet sind - und was das bedeutet

Plastikpartikel werden wohl auch von Pflanzen aufgenommen, problematisch sind vermutlich auch die Plastikplanen, die in der Landwirtschaft genutzt werden.
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Berlin – Seit Jahren erforschen Wissenschaftler intensiv die Plastikverschmutzung in Flüssen, Seen und den Meeren. Schätzungen zufolge landen jedoch nur rund fünf Prozent des jährlich anfallenden Plastikmülls im Ozean. Der Rest bleibt an Land. Zum Teil landet es in der Umwelt und zerfällt im Laufe der Zeit in immer kleinere Teilchen. Die Mikro- und Nanopartikel verschwinden aber nie völlig – sie finden sich heute in Ackerböden, auf Berggipfeln und in entlegenen Wäldern, in Gletschern und Flussauen. Und sie werden Teil der natürlichen Stoffkreisläufe, wie jüngere experimentelle Arbeiten nahelegen: Pflanzen nehmen die Partikel demnach wohl auf, Bäume im Wald genauso wie Nutzpflanzen auf dem Feld. Welche Folgen das hat, ist weitgehend unklar.
Die Eintragswege in die Umwelt und nachfolgend in die Böden sind vielfältig. In der Landwirtschaft sind vor allem Folien ein Problem, die etwa beim Anbau von Gemüse häufig zur Abdeckung verwendet werden. Auch mit dem Kompost gelangt Plastik auf die Felder, wenn beim Sammeln der organischen Abfälle nicht richtig getrennt wurde. Flüsse lagern mitgeführtes Plastik in Überschwemmungsgebieten ab, wo es dann nach und nach auch in tiefere Bodenschichten transportiert wird.
Vermutlich keine unbelasteten Böden mehr vorhanden
Dass es wohl nirgendwo mehr plastikfreie Böden gibt, schätzt auch Matthias Rillig, Bodenökologe an der Freien Universität Berlin. „Die Plastikpartikel regnen aus der Atmosphäre runter, die sind im Grunde überall. Wenn wir Experimente machen zur Plastikverschmutzung von Böden, finden wir eigentlich keine unbelasteten Kontroll-Böden mehr.“ Im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts µPlastic (= Mikroplastik) untersucht Rillig mit seinem Team, wie die winzigen Plastikpartikel die biologischen Prozesse im Boden beeinflussen.
Konkret erforschen die Wissenschaftler die Auswirkungen von Mikroplastik - Teilchen unter fünf Millimeter Größe - auf die Rhizosphäre. Das ist der Lebensraum in unmittelbarer Umgebung der Pflanzenwurzeln, mit allen darin enthaltenen Lebewesen wie Würmern, Asseln, Rädertierchen, Bakterien und Pilzen. Die Zusammensetzung und Beschaffenheit der Rhizosphäre wirkt sich unmittelbar auf die Gesundheit und das Wachstum der Pflanzen aus.
Bio-Plastik wirkt sich besonders ungünstig aus
Einige Studien aus den vergangenen Jahren weisen darauf hin, dass die Anwesenheit von Plastik das Wachstum von Pflanzen beeinträchtigen kann. In entsprechenden Experimenten keimten etwa Samen der Gartenkresse (Lepidium sativum) in Anwesenheit von Plastikpartikeln verzögert, vermutlich weil diese die Poren der Samen verstopfen. Weizenpflanzen wuchsen ebenfalls schlechter, wenn sie in Anwesenheit von Plastikpartikeln gezogen wurden - besonders ungünstig wirkte sich in diesem Experiment aus noch unklaren Gründen Bio-Plastik aus, Regenwürmer im Boden hingegen hoben die negativen Effekte zum Teil wieder auf.
„Die ganze Sache ist unglaublich komplex“, sagt Matthias Rillig. „Das Mikroplastik verhält sich nicht etwa wie eine einzige Chemikalie. Es gibt unzählige unterschiedliche Kunststoffe, in unterschiedlichen Formen - als Fasern, Kügelchen oder Schäume. Und die sind mit unterschiedlichen Additiven versetzt, die letztlich für eine eventuelle toxische Wirkung verantwortlich sein können.“
Plastikverschmutzung zeigt auch unerwartete Auswirkungen
In ihren eigenen Untersuchungen kamen die Forscher um Rillig zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Plastikverschmutzung nicht zwangsläufig nur schlecht für Böden und Pflanzen sein muss. „Der Eintrag von Plastikteilchen kann sich tatsächlich auf den ersten Blick positiv auswirken, weil etwa die Durchlüftung des Bodens oder der Wassertransport verbessert werden“, sagt Rillig. „Das war für uns erstmal schwer zu verdauen.“
Ein Grund zur Entwarnung ist das für den Biologen aber nicht. „Wir müssen weg von der reinen ökotoxikologischen Sichtweise - Ist das schädlich? - hin zu einer globalen Betrachtung: Wie verändert sich das Erdsystem insgesamt. Und: Ist das wünschenswert?“ Stoppen lässt sich die Plastikflut angesichts der vielfältigen Nutzung der Kunststoffe und ihrer extremen Langlebigkeit zumindest auf absehbare Zeit wohl nicht. Damit ist auch langfristig mit Einflüssen auf die Ökosysteme zu rechnen.
Forschende aus der Schweiz lieferten kürzlich erstmals Hinweise darauf, dass Waldbäume das Plastik aus dem Boden aufnehmen, also in ihr Gewebe einlagern. Sie hatten ein bis zwei Jahre alte Setzlinge von Birken, Fichten und Traubeneichen untersucht, nachdem die untersten Wurzeln für einige Tage in einer Lösung mit winzigen Polystyrol-Nanopartikeln gestanden hatten. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler die Plastikteilchen später auch in den höher gelegenen Pflanzenteilen.
Vor allem im Stamm der Birke, deren Wasserverbrauch hoch ist, fanden die Forschenden erhebliche Mengen an Plastikpartikeln. „Normalerweise wird alles, was in einem Baum nach oben soll, mit dem Transpirationsstrom über den Holzkörper, das Xylem, transportiert“, erläutert Studienleiter Arthur Gessler von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). „Wir nehmen deshalb an, dass auch das Nanoplastik auf diesem Weg transportiert wird.“
Mögliche Schäden durch Plastikbelastung noch unklar
Ob die Plastikbelastung die Bäume schädigt, können die Forscher derzeit nicht beantworten. Die aufgenommenen Mengen waren sehr gering, erklärt Gessler. „Aber wenn Bäume diesen Konzentrationen über Jahre ausgesetzt sind, ist auf jeden Fall mit einem deutlichen Transport zu und folglich Anreicherungen in den Blättern, dem Stamm und den Ästen zu rechnen.“ Die Nanopartikel seien klein genug, um mit den Membranen der Zellen in Wechselwirkung zu treten, führt der Ökologe aus. „Wenn sie einmal in den Zellen sind, ist es denkbar, dass sie mit den Organellen interagieren und auf diesem Weg zum Beispiel die Photosynthese beeinflussen.“
Noch müssen die Folgen für die Pflanzen genauer untersucht werden. Denkbar ist, dass die Plastikverschmutzung eine zusätzliche Belastung für die Wälder darstellt, die bereits durch die Klimaveränderungen stark gefordert sind.
Letztlich könnte das Plastik über die Verunreinigung von Pflanzen auch beim Menschen landen. In Versuchen mit Reispflanzen wiesen chinesische Forscher nach, dass die Wurzeln der Pflänzchen die Partikel aufnehmen und sie in die oberen Pflanzenteile transportieren. Ist der Verzehr plastikbelasteter Pflanzen für den Menschen problematisch? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage steht aus.
Mikroplastik aus Reifenabrieb ist besonders problematisch
Rillig verweist darauf, dass auch über die Luft die Partikel auf Feldpflanzen gelangen und allein auf diesem Weg womöglich in den Körper gelangen können. Hinzu kommt, dass die Kunststoffe verschiedene gesundheits- oder umweltschädliche Zusatzstoffe wie Flammschutzmittel und Stabilisatoren enthalten können. Problematisch sei dann vielleicht nicht die Aufnahme des Mikroplastiks selbst, aber der damit verbundenen toxischen Substanzen. Besonders bedenklich ist in diesem Zusammenhang Mikroplastik aus Reifenabrieb, nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) die größte Quelle für Kunststoffeinträge in die Umwelt. Damit gelangen zahlreiche giftige Substanzen wie Zink, Blei oder Cadmium in die Umwelt.
Noch sind viele Fragen zum Ausmaß und den Auswirkungen der Plastikeinträge in Böden offen. Die meisten der bisher vorhandenen Arbeiten zur Aufnahme in Pflanzen sind Laborversuche. Auch wenn die eingesetzten Plastikkonzentrationen denen entsprechen, die im Freiland gefunden werden, sind die Bedingungen künstlich. Meist werden die Pflanzen in einer sogenannten hydroponischen Kultur herangezogen, ihre Wurzeln tauchen dabei in eine wässrige Lösung, die mit den Plastikpartikeln versetzt ist. „Das sind ziemlich unrealistische Szenarien“, räumt Matthias Rillig ein. „Im Boden haften die Mikropartikel ja überall, die aufgenommenen Mengen dürften geringer sein als in Laborexperimenten.“
Direkte Messungen von Mikroplastik in Pflanzen im Freiland sind derzeit schwierig bis unmöglich - es gibt schlicht keine zuverlässigen Methoden. Mikroplastik lässt sich mit hohem Aufwand immerhin mikroskopisch nachweisen. Für die noch viel kleineren Nanoplastikpartikel gibt es momentan keine etablierten Messmethoden. (dpa)