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Mit Selbsttest„Wer ständig perfekt sein will, wird nur langsamer und umständlicher”

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Für Perfektion abstrampeln lohnt sich selten so sehr wie beim Synchronschwimmen.

Köln – Gut genug ist meist am besten: Zu mehr Pragmatismus rät Coach und Autor Attila Albert (48) im Buch „Perfektionismus ist ein Arschloch”. Im Interview verrät er, wie Sie entspannter leben. Außerdem können Sie den Selbsttest machen: Wie perfektionistisch bin ich?

Sie nennen Perfektionismus ein „Arschloch” – warum?

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Attila Albert arbeitet als Coach und Autor.

Attila Albert: Weil er ein falscher Freund ist, der einem selbst beim größten Erfolg noch einflüstert: Hättest du das denn nicht besser hingekriegt? Und schon strampelt man sich wieder für etwas ab, das keiner braucht und kaum jemand registrieren wird, falls man es überhaupt je erreicht.

Was ist Perfektionismus genau?

Unerreichbar hohe Ansprüche – an sich selbst und auch andere. Das führt zu ständigen Enttäuschungen, überlastet und frustriert. Perfektionisten wollen jeden Fehler vermeiden und werden deshalb oft sogar langsamer und umständlicher. Das stresst zusätzlich.

Ist das nicht aber eine Form von Ehrgeiz?

Nicht ganz. Wer ehrgeizig ist, nimmt sich in entscheidenden Situationen vor, sein Bestes zu geben. Es gelingt nicht immer, macht aber besser und motiviert. Wer perfektionistisch ist, hält das Beste für etwas, das selbstverständlich immer erreicht werden muss.

Und das ist völlig unmöglich?

Ja, niemand kann ständig und überall perfekt sein. Wer immer 150 Prozent erreichen will, bekommt bald gar nichts mehr erledigt und verausgabt sich völlig. Berufliche und private Alltagsaufgaben müssen nicht perfekt erledigt werden – gut genug reicht.

Ist Perfektionismus im Beruf am häufigsten?

Er kann in allen Lebensbereichen vorkommen. Sich im Job ständig zu viel vornehmen, beim Dating einer Fantasie hinterherjagen, sich mit Freunden, beim Sport oder bei anderen Aktivitäten unrealistisch viel vornehmen und aus den besten Motiven verausgaben.

Wieso arbeiten sich so viele trotzdem daran ab?

Perfektionismus ist der Versuch, sich vor Verletzungen zu schützen. Lieber mehr anstrengen als alle anderen und sich durch Leistung und Unabhängigkeit beweisen, als kritisiert, blamiert oder enttäuscht zu werden. Jeder Aufwand ist dafür recht.

Woran kann dieses Verhalten liegen?

Oft ist es das Ergebnis schwieriger Erfahrungen in Kindheit und Jugend: Dass man sich Liebe und Anerkennung erst verdienen musste und nur etwas wert war, wenn man mehr als die anderen geleistet hat. Das wirkt lange nach, kann aber überwunden werden.

Was wäre der Gegenentwurf?

Entspannter Pragmatismus: Ausgewählte Ziele erreichen, die wirklich wichtig sind, aber sich nicht länger aufreiben für etwas, das langfristig gar keine Rolle spielt. Perfektionismus ist wunderbar in einigen Momenten, als Dauerzustand aber unmöglich und unnötig.

Buch & Person

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Buchcover

Foto: Gräfe und Unzer Verlag

Atilla Albert (48) ist Autor und hat mehr als zehn Jahre Erfahrung als Coach. Sein neues Buch heißt: „Perfektionismus ist ein Arschloch” (192 S., 16,99 Euro), erschienen bei Gräfe und Unzer.

Wie kann man das erreichen?

Kurzfristig, indem man Aufgaben stärker nach ihrer Wichtigkeit unterscheidet und sich ihnen bewusst unterschiedlich stark widmet. Langfristig, in dem man sich mit den tieferen Gründen für den eigenen Perfektionismus auseinandersetzt und Fehlern schätzen lernt.

Welche Vorteile sollen Fehler haben?

Fehler sind normal und untrennbar verbunden mit Veränderung und Verbesserung. Erfolg bestätigt, was schön und wichtig ist. Misserfolg aber stellt infrage und fordert heraus. Fehler machen zudem auf menschliche Art liebenswert und zeigen oft ganz neue Wege auf.

Sollen wir nun alle schlampig werden?

Nein, pragmatisch heißt nicht schlampig. Wer sich vom Perfektionismus verabschiedet, wird dadurch nicht nachlässig und gleichgültig. Er achtet darauf, dass gewisse Mindeststandards immer erfüllt werden, ohne gleich das theoretisch Bestmögliche erreichen zu wollen.

Testen Sie sich selbst

Wie stark belasten Sie sich selbst durch Perfektionismus? Dieser Test verrät es Ihnen. „Er prüft die Fähigkeiten, die es braucht, um seine eigenen Ansprüche je nach Aufgabe und Situation anzupassen und pragmatisch zu sein”, sagt Attila Albert. Beantworten Sie die folgenden 15 Fragen mit Ja oder Nein. Zählen Sie die Ja-Stimmen zusammen. Die Auflösung finden Sie am Ende.

• Sind Sie insgesamt zufrieden mit Ihrem beruflichen und privaten Leben?

• Können Sie anstehende Aufgaben normalerweise ohne größeren Stress erledigen? Fühlen Sie sich nach Feierabend noch fit genug für Freunde, Sport, Hobbys?

• Haben Sie die Arbeitsmittel und Werkzeuge, die Sie für Ihre Arbeit benötigen?

• Ist in Ihrem Kalender immer noch freie Zeit für unvorhergesehene Ereignisse?

• Fällt es Ihnen leicht, einen Teil Ihrer Aufgaben an andere zu delegieren?

• Treten Sie in Gesprächen und Meetings meistens ziemlich entspannt auf?

• Fühlten Sie sich als Kind und in Ihrer Jugend bedingungslos angenommen?

• Erholen Sie sich an den Wochenenden genug, nicht nur im Urlaub?

• Haben Sie eine gute Methode, um Aufgaben nach Wichtigkeit zu ordnen?

• Können Sie Anfragen oder Bitten ablehnen, wenn es bereits zu viel für Sie ist?

• Prüfen Sie regelmäßig, welche Aufgaben Sie ganz streichen könnten?

• Können Sie gut damit leben, dass sich nie alles komplett vorab planen lässt?

• Glauben Sie, dass sich mancher Irrtum später als Vorteil herausstellen kann?

• Können Sie Kritik annehmen, ohne sich persönlich in Frage gestellt zu fühlen?

Auflösung

Bis 5 Mal „Ja“: Ihre besonders hohen Ansprüche führen dazu, dass Sie sich immer wieder überlasten und selbst bei einem eigentlich guten Ergebnis enttäuscht oder frustriert sind. Unterscheiden Sie stärker, wo Perfektion überhaupt bedeutsam ist. Tipp: Nutzen Sie keine Aufgabenlisten („To-do-Listen”), sondern Prioritätenlisten. Was dort oben steht, muss perfekt gelingen – je weiter unten und damit unwichtiger, desto gelassener dürfen Sie sein.

6 bis 10 Mal „Ja“: Je nach Aufgabe und Situation fällt es Ihnen unterschiedlich leicht, sich vom Perfektionismus zu lösen. Oft hängt das eher damit zusammen, wie stark und sicher Sie sich gerade fühlen, auch einmal Fehler zu riskieren. Tipp: Üben Sie, mehr Aufgaben zu delegieren, um Verantwortung zu teilen und sich zu entlasten. Bietet sich im Job dafür gerade keine Gelegenheit, dann möglicherweise in der Familie oder mit Freunden.

11 Mal oder mehr „Ja“: Sie gehen meist recht pragmatisch an Ihre Aufgaben heran und schaffen es, sie mit angemessenem Aufwand zu erledigen. Deshalb sind Sie selten gestresst, bleiben manchmal aber auch unter Ihren Möglichkeiten. Tipp: Entscheiden Sie sich für einige berufliche oder private Schwerpunkte, bei denen Sie möglichst das Beste herausholen wollen – wissend, dass es immer nur eine Annäherung sein wird. (mm)