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StilkolumneDeutsche Sprache, schwere Sprache, stimmt das überhaupt?

Lesezeit 3 Minuten
Aufgeschlagener Duden.

Der Duden gibt Rechtschreibauskunft. (Symbolbild)

Wie schwierig ist unsere Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen? Und ist das Deutsche logisch? Das erklärt ein Sprachwissenschaftler.

Es heißt ja immer: „Deutsche Sprache, schwere Sprache“. Aber stimmt das überhaupt? Mir kommt die deutsche Sprache sehr logisch vor, im Vergleich zum Beispiel zu Französisch.

Die Antwort auf die Frage hängt erstens davon ab, was wir meinen, wenn wir eine Sprache als „logisch“ bezeichnen, und zweitens davon, für wen eine Sprache überhaupt schwierig sein kann. Wenn wir mit „logisch“ das bezeichnen, was uns als selbstverständlich erscheint, dann ist klar, dass wir unsere Muttersprache immer für logischer halten werden als andere Sprachen.

Wir haben sie unbewusst im Kleinkindesalter erworben und verwenden sie auch als Erwachsene, ohne groß nachzudenken. Die Unterscheidungen, die der Wortschatz unserer Muttersprache trifft, erscheinen uns selbstverständlich, ebenso wie die Strukturen, in denen die Grammatik unserer Muttersprache aus diesem Wortschatz Sätze macht.

Deutsche Sprache ist vielfältig

Oder meinen wir mit „logisch“ so etwas wie „einfach und regelhaft“? Hier gibt es große Unterschiede zwischen Sprachen. Einige Sprachen – wie das Englische oder Französische – haben eine sehr regelhafte Wortstellung, andere Sprachen – wie das Deutsche oder das Polnische – erlauben hier eine große Vielfalt.

Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler

In einigen Sprachen haben Substantive unterschiedliche Fälle (im Deutschen bis zu vier, im Polnischen bis zu sieben), in anderen Sprachen bleibt ihre Form immer gleich (im Englischen und Französischen). In einigen Sprachen haben Verben eine Vielzahl unterschiedlicher Zeitformen, die sich auch noch für die erste, zweite und dritte Person sowie für Einzahl und Mehrzahl unterscheiden (das Deutsche, aber noch mehr das Französische und Polnische), andere Sprachen haben nur wenige solcher Formen (das Englische).

Grundsätzlich sind Sprachen mit einer flexiblen Wortstellung und einem großen Formenreichtum bei Fällen, Zeitformen und ähnlichen, typischerweise durch Vor- oder Nachsilben gekennzeichneten Phänomenen schwerer zu lernen als formenärmere Sprachen wie das Englische.

Im Deutschen brauchen Kinder teilweise bis zum sechsten Lebensjahr, bevor sie einfache Genitive normgerecht verwenden
Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft

Auf die Aneignung der Muttersprache scheinen solche Unterschiede keinen Einfluss zu haben. Grundsätzlich erwerben Kleinkinder ihre Muttersprache in weiten Teilen bis zum Ende des dritten Lebensjahrs. Natürlich können Sprachen im Detail unterschiedliche Eigenheiten haben, bei denen es etwas länger dauert. Im Deutschen zum Beispiel brauchen Kinder teilweise bis zum sechsten Lebensjahr, bevor sie einfache Genitive normgerecht verwenden. Der Grund dafür ist aber nicht, dass der Genitiv besonders schwierig wäre, sondern, dass er im alltäglichen Gebrauch selten vorkommt.

Deutsch Schreiben ist mittelmäßig schwer

Anders sieht es beim Schriftspracherwerb aus. Hier spielt es sowohl für Muttersprachige als auch für Fremdsprachenlernende eine Rolle, wie transparent das Schriftsystem ist. Die Orthografie einer Sprache ist leichter zu lernen, wenn der Bezug zwischen Buchstaben und Sprachlauten möglichst eng und eindeutig ist – wie im Spanischen, wo zum Beispiel ein „f“-Laut immer als „f“ und ein „o“-Laut immer als „o“ geschrieben wird („fotografía“). Schwieriger wird es, wenn dieser Bezug fehlt, wie im Englischen, wo ein „f“-Laut mal als „f“ und mal als „ph“ geschrieben wird oder ein „o“ mal für einen „ou“-Laut und mal für einen unbetonten „e“-Laut steht („photograph“).

Das Deutsche und das Französische liegen irgendwo in der Mitte – wobei das Französische das besondere Problem hat, dass Wortendungen aus älteren Stufen der Sprache noch geschrieben werden, obwohl sie aus der gesprochenen Sprache längst verschwunden sind. Zum Beispiel wird bei Verben wie „donner“ („geben“) die erste Person „je donne“ geschrieben, die zweite Person „tu donnes“ und die dritte Person Plural „ils donnent“, obwohl sie alle „donn“ ausgesprochen werden. In dieser einen Hinsicht würde ich Ihnen Recht geben – das Französische verhält sich hier äußerst unlogisch!


In unserer Kolumne beantworten Experten abwechselnd Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren.

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de