Studentenverbindungen„Untertanen-Mentalität nicht zeitgemäß“
Herr Heither, die meisten Menschen wissen nicht, was es genau mit Studentenverbindungen, Corps und Burschenschaften auf sich hat. Gibt es Unterschiede zwischen den Organisationen?
Dietrich Heither: Zuerst einmal muss man wissen, dass die Bezeichnung „Studentenverbindung“ ein Überbegriff ist. Sie fasst etwa 1000 Korporationen - Burschenschaften, christliche Studentenverbindungen oder Corps - zusammen, die in etwa 25 Dachverbänden organisiert sind. Unterscheiden kann man diese nach Brauchtum und Ritualen wie etwa dem Schlagen oder dem Tragen von Farben sowie nach Weltanschauung.
Manche Studentenverbindungen werden mitunter Rechtsextremismus und braunem Gedankengut zugeordnet.
Heither: Historisch gesehen konstituierten sich die Burschenschaften im Zuge der Nationalbewegung zwischen 1810 und 1815/17. Einen Höhepunkt hatten sie im Zusammenhang mit dem deutschen Imperialismus zwischen 1890 und 1914. In der Weimarer Republik befanden sich die Burschenschaften politisch in der Nähe der NSDAP, vertraten völkische Ansichten, waren antisemitisch. Katholische Verbindungen wie die des Cartellverbandes standen den Nazis kritischer gegenüber. Zu Beginn der 1970er Jahre traten österreichische Bruderschaften dem Dachverband Deutsche Burschenschaft bei. Dadurch verschoben sich die Kräfteverhältnisse in der deutschen Burschenschaft immer mehr nach rechts. 1996 spaltete sich der Dachverband. Es entstand mit der Neuen Deutschen Burschenschaft, ein Zusammenschluss von konservativ gemäßigteren Studenten, die es ablehnten, weiterhin mit den Rechtsextremen in einem Boot zu sitzen. Die meisten Studentenverbindungen verstehen sich heute als unpolitisch und sind wohl eher liberal-konservativ. Die Deutsche Burschenschaft jedoch kann man durchaus als nationalpolitisch rechtsaußen einordnen.
Stimmt es denn, dass es in studentischen Verbindungen auch berufliche Vetternwirtschaft eine große Rolle spielt?
Heither: Seilschaften gibt es natürlich. Unter Bundesbrüdern, wie sich die Mitglieder der Organisationen nennen, hilft man sich schon einmal, und die alten Herren der Verbindung erleichtern den jüngeren den Berufseinstieg und lassen Beziehungen spielen. Allerdings passt die anachronistische Untertanen-Mentalität, die in Studentenverbindungen bis heute via Ritual und Brauchtum vermittelt wird, so gar nicht in die heutige globale Manager-Welt, in der soziale Kompetenzen und ein eher weicherer Führungsstil gefragt sind.
Heither: Das ritualisierte Trinken ist nahezu in jeder Verbindung ein wichtiger Bestandteil des Bundeslebens. In schlagenden Verbindungen wird zu wehrhafter Männlichkeit erzogen. Hier muss ein sogenannter Fuchs, also ein Einsteiger, Stärke beweisen und so seinen Mann stehen. Um Sport handelt es sich bei der Mensur nicht! Dabei sind die Fechter oft nur dürftig geschützt und verletzen sich häufig. Früher war eine im Kampf zugefügte Narbe im Gesicht, der sogenannte Schmiss, ein Statussymbol. Heute disqualifiziert eine solche Verletzung eher im Berufsleben.
Wie sehen Sie die Zukunft der Studentenverbindungen?
Heither: Perspektivisch sehe ich keine Zukunft für eine solche Art von Organisation und rechne künftig mit weniger Zulauf aufgrund von verstaubtem Brauchtum und antiquierten Weltanschauungen. Allerdings gab und gibt es immer wieder Tendenzen zur Renationalisierung - davon könnten gerade die rechtsextremen Burschenschaften profitieren.
Das Gespräch führte Sina Busch