Studienstiftung MaximilianeumLeben im bayerischen Landtag

Im Maximilianeum tagt der Bayerische Landtag. Hinter der herrschaftlichen Fassade verbirgt sich aber auch ein Studentenwohnheim.
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München – Blank polierte Luxuskarossen rollen durch das schmiedeeiserne Tor des bayerischen Landtagsgebäudes. Hinter einem schwarzen Audi mit verdunkelten Scheiben schließt sich die Schranke. Ein Mann im Anzug mit Aktentasche unter dem Arm zieht einen Aluminiumkoffer hinter sich her. Ein Student mit Baseball-Kappe nähert sich auf seinem Hollandrad der Schranke. Er winkt dem Pförtner zu, und die Schranke öffnet sich.
Auch Eva Herzog und Andreas Krug kommen einfach so am Pförtner vorbei. Die beiden wohnen im bayerischen Landtag. Wobei es streng genommen andersherum ist: Die bayerischen Landtagsabgeordneten tagen und arbeiten dort, wo die beiden Studenten zu Hause sind. Denn das bayerische Parlament ist Untermieter der Studienstiftung Maximilianeum im gleichnamigen Gebäude. Prunkvoll thront der schlossartige Bau aus dem 19. Jahrhundert über München. Fresken, Mosaike und Steinbüsten von Feldherren und Staatsmännern zieren die Fassade.
50 Studenten wohnen in diesem exklusivsten Wohnheim Deutschlands. Sie müssen sich nicht mit Putzplänen und Nebenjobs rumschlagen und bekommen während des Semesters täglich drei Mahlzeiten serviert. Angestellte kochen für sie, putzen und waschen ihre Kleidung. Der All-inclusive-Service ist gratis. Die Studenten zahlen keine Miete. Stipendiaten der Studienstiftung Maximilianeum sollen sich voll auf ihr Studium konzentrieren.
Das war der Plan von Maximilian II. von Bayern, als er die Stiftung gründete. Der König wollte die klügsten Köpfe des Landes für den Staatsdienst gewinnen und ihnen ein sorgenfreies Studium ermöglichen – unabhängig vom Vermögen der Eltern.Der Parkettboden knarzt unter den Schritten. Der lange Flur ist von weißen Stucksäulen gesäumt, Ölgemälde zieren die Wände. „Einige der Bilder, die in der Pinakothek hängen, stammen ursprünglich aus dem Maximilianeum“, sagt Eva Herzog. Die 24-Jährige wohnt seit fünf Jahren hier. Im Frühjahr macht sie ihr Jura-Examen. „Deshalb lebe ich momentan quasi in der Bibliothek.“ Doch sie muss nicht täglich mit Kommilitonen um einen Platz rangeln. In der hauseigenen Bibliothek hat sie sich einen Platz am Fenster eingerichtet. „Hier treffe ich mich auch mit meiner Lerngruppe.“
Aufnahme streng geregelt
Von derartigen Studien- und Wohnbedingungen der Maximilianeer, wie sich die Stipendiaten nennen, können die meisten Studenten nur träumen. Denn die Aufnahme ist streng geregelt. Pro Jahr ziehen fünf bis sieben Stipendiaten neu ein. Sie stammen aus Bayern oder der linksrheinischen Pfalz – die gehörte zur Zeit der Stiftungsgründung zum Königreich Bayern.
Voraussetzung sind ein 1,0-Abitur und eine Empfehlung der Schule. In einem zweistufigen Auswahlverfahren und einer Prüfung beim Kultusministerium müssen sie zeigen, dass sie mehr können, als gute Noten schreiben. „Wir wollen Persönlichkeiten mit sozialer Kompetenz für die Stiftung gewinnen. Menschen, die ihre Interessen vertreten, sich engagieren“, sagt Hanspeter Beißer. Er ist seit 1998 ehrenamtlicher Vorstand der Stiftung und war früher selbst Stipendiat.
Tägliches Drei-Gänge-Menü
Während des Semesters isst der 56-Jährige täglich gemeinsam mit den Studenten, Punkt 13 Uhr. Erst wenn Beißer den lichtdurchfluteten Speisesaal betritt und seinen Platz einnimmt, setzen sich die Studenten. Und erst, wenn der Jurist wieder aufsteht, dürfen auch sie gehen. Es ist jedem Stipendiaten freigestellt, am gemeinsamen Essen teilzunehmen. Doch keine noch so schöne Mensa wird mithalten können – weder mit dem Drei-Gänge-Menü noch mit der pompösen Raumgestaltung.
Im Festsaal nebenan spielt ein Student auf einem Flügel. Hier werden zum Semesterbeginn die Neulinge begrüßt, und einmal im Jahr kommen alle Ehemaligen zum Bierabend. Der auf Öl gemalte Maximilian II. schaut von oben herab. So prunkvoll die Gemeinschaftsräume auch sind: Die Zimmer der Studenten sind schlicht eingerichtet. Drei Schritte breit, vier Schritte lang, hier ist nur Platz für das Nötigste – Bett, Schrank, Schreibtisch, Regalbretter an der Wand. Die meisten Studenten haben Dusche und WC auf dem Zimmer, die anderen teilen sich Gemeinschaftsbäder.
All-inclusive-Service im Semester
Wer welches Zimmer bekommt, wird ausgelost. Vor den Zimmern stehen Turnschuhe, an manchen Türen hängen Poster. Auf dem Flur riecht es nach angebranntem Fett. In der Küche, die die Studenten in den Semesterferien oder außerhalb der gemeinsamen Essenszeiten nutzen, brutzeln Fischstäbchen in einer Pfanne. Neben dem Spülbecken stapelt sich das Geschirr, das darauf wartet, abgetrocknet zu werden. Es könnte ein ganz normales Studentenwohnheim irgendwo in Deutschland sein. Doch gleich über den Schlafzimmern der Studenten liegen die Büros der Abgeordneten.
Und dann gibt es noch diese Tür, die vom Flur des Studentenwohnheims direkt in den Landtag führt. Sie sieht ganz unscheinbar aus. Schlichtes Weiß, ohne Hinweisschild. Wer vom Wohnheim aus hindurch geht, betritt roten Teppichboden. „Die Tür ist nie abgeschlossen. Wir können jederzeit rübergehen, aber die Politiker nicht zu uns“, sagt Andreas Krug und lacht verschmitzt. Die Studenten können an den Sitzungen teilnehmen, einige machen ein Praktikum bei einem Abgeordneten. Im Sommer feiern Studenten und Politiker zusammen ein Grillfest. Beim gemeinsamen Würstchen-Essen im eigenen Garten schwinden die Berührungsängste.
Sommerfest mit den Politikern
Andreas Krug studiert Englisch und Spanisch auf Lehramt und wohnt seit einem Jahr im Maximilianeum. Viele seiner Kommilitonen wissen das nicht. „Ich hänge das nicht an die große Glocke. Bei vielen hat man den Ruf als weltfremder Streber“, sagt der 19-Jährige. Sieht er sich als privilegiert an? „Wir haben Vorzüge, die andere nicht haben. Ich mache mir das regelmäßig bewusst, damit ich es wertschätze.“ Zum Beispiel neben dem Studium nicht arbeiten zu müssen. Oder einen eigenen Garten zu haben – „purer Luxus mitten in München“, wie Eva Herzog findet. „Es ist wichtig, dankbar zu sein. Manche Studenten hätten sich ohne die Förderung der Stiftung ein Studium in München nicht leisten können“, sagt sie. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt wird den Maximilianeern ermöglicht. Eva Herzog hat ein Jahr in Oxford studiert.
Dem Stiftungsvorstand ist es wichtig, dass es seinen Schützlingen nicht zu Kopf steigt, wenn sie mit 18 in dieses prunkvolle Wohnheim einziehen: „Das Gebäude flößt natürlich anfangs Respekt ein. Aber irgendwann ist es Alltag, hier zu wohnen.“ Die Neuen müssten sich erst einmal beweisen: „Niemand bekommt hier einen Lebensweg vorgegeben, der automatisch an die Spitze führt“, sagt Beißer. „In der Schule gilt man mit besonders guten Noten manchmal als Streber oder Sonderling. Hier ist niemand etwas Besonderes mehr.“
Keine Elite-Studenten
Auch Eva Herzog und Andreas Krug betonen immer wieder, dass sie „ganz normale“ Studenten sind. Also keine Elite-Studenten? „Um Gottes willen“, ruft Eva Herzog. „Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass bei uns überdurchschnittlich breite Interessen vertreten sind – von Neuer Musik über Jugendarbeit bis zum Trampolinspringen ist so manches dabei.“ Andreas Krug nickt. „Ich kann mich mit dem Elitebegriff nicht identifizieren“, sagt er. Hanspeter Beißer tut sich mit dem Begriff ebenfalls schwer: „Ich spreche lieber von Begabung. Wer eine Begabung hat, verdient eine entsprechende Förderung.“
Der Stiftungsvorstand wohnt auch im Maximilianeum, doch er sieht sich nicht als Aufpasser. „Ich mache keine Kontrollgänge.“ Gäste der Studenten sind willkommen – auch über Nacht – und gefeiert wird natürlich auch gelegentlich. Beißers Wohnung liegt gleich über dem Partykeller. „Wenn die Studenten feiern wollen, melden sie das vorher an. Dann schlafe ich woanders.“ Der 56-Jährige lacht und die Augen hinter seiner randlosen Brille funkeln.
Als Beißer 1975 als Student ins Maximilianeum zog, wohnte er in einer Männerwelt. Anfangs waren Frauen in einem anderen Gebäude untergebracht. Auch heute heißt ein Raum noch „Mädchenzimmer“. Dort konnten sich die Studentinnen außerhalb der Essenszeiten aufhalten. Heute zeugen volle Aschenbecher und leere Weingläser auf dem Tisch von einem fröhlichen Abend.
Jeder hat eine Aufgabe
Die Gemeinschaft ist das, was Eva Herzog am meisten schätzt. „Das Beste sind die Leute. Man lernt sich intensiv kennen. Natürlich gibt es auch mal Stress, das ist ja normal. Aber ich habe viele Freunde hier gefunden.“ Damit das Leben in einer WG mit 50 Mitbewohnern funktioniert, übernimmt jeder bestimmte Aufgaben. Andreas Krug ist zurzeit Kühlschrankwart: „Ich miste regelmäßig aus und achte darauf, dass nichts verschimmelt.“ Gemeinsame Aktivitäten wie Tanz- und Sprachkurse sowie eine jährliche Reise machen das Stiftungsleben aus. Allerdings gebe es permanent Ablenkung, ständig klopfe jemand an die Tür. Das könne auch ein Nachteil sein. Vor allem so kurz vor dem Examen.
Nur einmal klingt Eva Herzog so, als würde in diesem Luxus auch etwas vom gewöhnlichen Studentenleben verloren gehen. Sie hat für einen Monat ein Praktikum in Berlin gemacht und in einer ganz normalen WG gewohnt. „Manchmal vermisse ich dieses normale Leben. Ich hätte gern weniger Verpflichtungen und mehr Privatsphäre. In Boxershorts zum Frühstück gehen, das kann ich nicht.“ Es ist eben doch kein ganz normales Wohnheim.