AboAbonnieren

Anordnung, Dokumentation, AuszahlungWas Angestellte über Überstunden wissen sollten

Lesezeit 5 Minuten
Eine Frau hält drei Aktenordner in den Armen

Noch so viel zu tun, da helfen nur Überstunden. Die dürfen allerdings nicht immer angeordnet werden.

Welche Regelungen zu Überstunden sind eigentlich rechtens? Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht beantwortet die wichtigsten Fragen.

Hier müsste noch schnell etwas fertig gemacht werden, da fehlt ein Kollege: Es gibt viele Gründe, warum Überstunden entstehen. Und fast noch mehr Fragen zu der Mehrarbeit. Bekomme ich die Zeit bezahlt? Dürfen Überstunden von oben angeordnet werden? Wie muss all das überhaupt dokumentiert werden? Ein Überblick über die wichtigsten Antworten.

Meine Vorgesetzten haben einfach Überstunden angeordnet. Dürfen sie das?

Besteht keine entsprechende Vereinbarung zum Thema Überstunden, haben Vorgesetzte hier keine freie Handhabe. „Grundsätzlich sind Arbeitnehmende nur verpflichtet, ihre Arbeitsleistung in dem vereinbarten Arbeitszeitvolumen zu erbringen“, erklärt Patrick Klinkhammer, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kölner Kanzlei RPO Rechtsanwälte. Das Arbeitszeitvolumen, also die Anzahl an Stunden, die in der Woche zu leisten sind, ist in den meisten Fällen im Arbeitsvertrag geregelt.

Arbeitgeber können nur in zwei Fällen einseitig anordnen, dass Überstunden abzuleisten sind: Entweder, wenn dies vertraglich vereinbart wurde, also in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag steht. Oder aber, wenn sich der Arbeitgeber „in einer außergewöhnlichen Notlage befindet, sodass die Ableistung von Überstunden zwingend erforderlich ist, um den drohenden Eintritt eines Schadens des Arbeitgebers zu vermeiden“, so Klinkhammer. Das muss der Arbeitgeber aber darlegen können.

Bei der Anordnung von Überstunden müssten immer die Grundsätze des billigen Ermessens gewahrt werden. Heißt: Arbeitgeber müssen „insbesondere auch die berechtigten (privaten) Interessen“ der Beschäftigten berücksichtigen. Die Anordnung von Überstunden als Sanktion von Beschäftigten für Fehlverhalten sei unwirksam, erklärt Klinkhammer.

Ich habe zwei Stunden länger gearbeitet. Das war spontan und nicht mit der Chefin abgesprochen. Kann ich trotzdem einen Ausgleich fordern?

Jede Überstunde ist zunächst eine Überstunde. Wird sie allerdings ohne Anordnung oder Absprache mit Vorgesetzten geleistet, wird es schwierig mit dem Ausgleich. Wer freiwillig mehr arbeitet, hat in der Regel nur dann einen Anspruch auf entsprechende Vergütung oder Freizeitausgleich, „wenn diese Überstunden gebilligt beziehungsweise geduldet wurden oder zur Erledigung der übertragenen Aufgaben erforderlich waren“, sagt Klinkhammer. Und auch hier gilt natürlich: „Vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen.“

Ich muss ständig länger als vereinbart arbeiten. Wie viele Überstunden sind überhaupt erlaubt?

Irgendwann ist auch bei Überstunden eine Grenze erreicht. Diese kann sich „zum einen aus gegebenenfalls anwendbaren Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, zum anderen aus den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes ergeben“, erklärt Klinkhammer. Im Arbeitszeitgesetz finden sich Regelungen zu Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten. Gegen diese darf nicht verstoßen werden.

Detailliert steht im Gesetz geschrieben, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten darf. Für Überstunden gibt es gesetzlich folgenden Spielraum: Die acht Stunden Arbeitszeit dürfen auf bis zu zehn Stunden erhöht werden. Allerdings nur dann, wenn diese zusätzlich geleisteten Stunden innerhalb von sechs Monaten, alternativ 24 Wochen, wieder ausgeglichen werden. Im Durchschnitt müssen Beschäftigte in dem Zeitraum dann wieder auf maximal acht Stunden werktäglicher Arbeitszeit kommen.

Allerdings gibt es eine Ausnahme, und zwar für Führungskräfte. „Das Arbeitszeitgesetz und die darin geregelten Grenzen finden indes keine Anwendung auf leitende Angestellte, sodass Arbeitgebende gegenüber leitenden Angestellten in erheblich weiterem Umfang Überstunden anordnen dürfen“, so Klinkhammer. Der Grund: Leitende Angestellte, die vergleichsweise eigenständig andere Angestellte einstellen, nehmen so auch die Funktion eines Arbeitgebers ein.

In meinem Vertrag steht, dass Überstunden bereits mit meinem Grundgehalt bezahlt sind. Ist das erlaubt?

„Regelmäßig“ seien solche Klauseln laut Klinkhammer in Arbeitsverträgen zu finden. Damit sie auch rechtens sind, müssen sie aber bestimmte Bedingungen erfüllen. Die sogenannten Abgeltungsklauseln im Arbeitsvertrag könnten nur wirksam sein, „wenn sie ausdrücklich vorsehen, dass Überstunden nur bis zu einem bestimmten Maß mit dem Grundgehalt abgegolten sein sollen“, sagt Klinkhammer. In dem Vertrag muss also explizit stehen, wie viele Überstunden maximal mit dem Grundgehalt bezahlt sind, damit diese Regelungen auch rechtens sind.

„Ohne eine solche explizite Deckelung halten sie einer gerichtlichen Kontrolle im Streitfall nicht stand“, weiß Klinkhammer. Bedeutet: Erweist sich die Regelung, dass Überstunden mit dem Grundgehalt abgegolten sind, als rechtlich unwirksam, können Arbeitnehmende „grundsätzlich für jede Überstunde Vergütung oder Freizeitausgleich verlangen.“

Bei mir fallen hier und da mal Überstunden an. Muss ich mir das notieren? Oder mein Chef?

Seit September 2022 muss die Arbeitszeit von Angestellten ohnehin dokumentiert werden. Arbeitgeber sind „verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann“, so das Bundesarbeitsgericht damals. Mit der Arbeitszeit muss der Arbeitgeber auch eventuelle Überstunden dokumentieren. Ob das vom Arbeitsgericht benannte System, sei es eine Stempeluhr oder eine einfache Tabelle, in der Praxis dann von Arbeitgebenden oder Angestellten ausgefüllt wird, ist nicht vorgegeben.

Angestellte sollten unabhängig davon trotzdem genauestens dokumentieren, wann, warum und wie viele Überstunden sie geleistet haben. Denn: Wenn sie eine Vergütung für diese Überstunden verlangen, tragen sie die Darlegungs- und Beweislast, erklärt Klinkhammer.

Bedeutet: Beschäftigte müssten „im Einzelnen belegen, wann und in welchem Umfang die Überstunden geleistet wurden, dass und von wem diese Überstunden angeordnet wurden oder die Überstunden zur Erledigung der Arbeitsaufgaben erforderlich gewesen sein sollen“, betont Klinkhammer. „Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitnehmende aus Eigeninteresse möglichst detaillierte Dokumentationen zu Überstunden führen.“

Ich habe mittlerweile einige Überstunden angesammelt. Können die irgendwann verfallen?

Ja, Überstunden können verfallen – beziehungsweise die Ansprüche auf einen Ausgleich. Sie unterliegen der gesetzlichen Verjährung und „verfallen nach Ablauf von drei Jahren am Jahresende“, erklärt Klinkhammer. Gerechnet wird natürlich ab dem Tag, an dem die Überstunde geleistet wurde.

Klinkhammer betont aber, dass es häufig Regelungen gibt, die von dieser Dreijahresfrist abweichen. Diese finden sich in Betriebsvereinbarungen, Tarif- und Arbeitsverträgen. Er nennt Arbeitszeitkonten oder anwendbare Ausschlussfristen als Beispiel. Nach denen könnten Ansprüche auf einen Ausgleich „bereits nach wenigen Monaten verfallen, wenn sie bis dahin nicht von Beschäftigten geltend gemacht worden sind.“ In der Regel betrage eine solche Frist drei Monate.