Nach der Flucht vor dem KriegWie zwei Ukrainerinnen in Köln Arbeit gefunden haben
Köln – Die Arbeit ist für Daria Antonenko und Svitlana Zubova auch Therapie. Beim Kellnern im Bootshaus „Achterdeck“ im Kölner Süden auf dem Rhein denken die beiden Ukrainerinnen weniger an den Krieg in der Heimat. Gespräche mit Kollegen und Gästen lenken ab, und sie bekommen auch mal eine Umarmung von Fremden, wenn dem Schrecken mit Worten nicht mehr beizukommen ist. „Das ist viel besser, als nur in der Wohnung zu sitzen, da wird man verrückt“, sagt Antonenko. „Immer nur nachdenken und weinen, das ist schwer auszuhalten“, ergänzt Zubova.
Die zwei Frauen sind nach Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen. Und dankbar, dass sie hier nach so kurzer Zeit bereits arbeiten dürfen. Für Menschen aus anderen Nicht-EU-Staaten sind die bürokratischen Hürden sehr viel höher. Asylbewerber müssen erst einmal für mindestens drei Monate in einer so genannten Erstaufnahmeeinrichtung bleiben und dürfen in dieser Zeit weder arbeiten noch eine Ausbildung beginnen.
Humanitärer Aufenthaltstitel für Ukrainerinnen und Ukrainer
Die Entscheidung, geflüchteten Menschen aus der Ukraine das Leben hier so einfach wie möglich zu machen, ist eine EU-weite. Am 4. März wurde die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert. Ukraine-Flüchtlinge erhalten in der gesamten Europäischen Union direkt einen humanitären Aufenthaltstitel – damit haben sie Zugang zu Arbeit, Bildung, Sozialleistungen und medizinischer Versorgung.
„Wir sind Deutschland sehr dankbar“, sagt Antonenko, „wir haben alles, was wir brauchen, sogar Gesundheitsschutz“. Für Menschen aus Syrien, die in ihrer Heimat seit elf Jahren einen furchtbaren Krieg erleben und Zerstörung, Verfolgung, Unterdrückung sowie desaströsen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgesetzt sind, kam die Massenzustrom-Richtlinie nie zur Anwendung, auch 2015/2016 nicht, als ein großer Flüchtlingsstrom nach Europa drängte.
Sind die Menschen aus der Ukraine bei uns nun also Flüchtlinge erster Klasse? Weil uns dieser Krieg in der Ukraine so viel mehr erschreckt als alle anderen an weiter entfernten Orten? Oder sind sie der Anfang vom Ende einer vornehmlich aufs Abwehren konzentrierten Migrationspolitik? Sind die zum Teil gut ausgebildeten Frauen mit ihren Kindern aus der Ukraine leichter einzugliedern als alleinstehende junge Männer aus Syrien? Es tun sich viele Fragen auf.
Fluchtziel Köln: Der Weg war „ein furchtbarer Trip“
Daria Antonenko und Svitlana Zubova sind erstmal nur froh, in Sicherheit zu sein und etwas zu tun zu haben. Antonenko kommt aus Kiew. Sie floh zusammen mit ihrer Mutter und der Mutter einer Freundin, die bereits seit fünf Jahren in Köln lebt. Das Ziel ihrer Reise war somit von Beginn an klar. Trotzdem sei es „ein furchtbarer Trip“ gewesen, erzählt die 27-Jährige. Die Züge seien restlos überfüllt gewesen: „Es gab kein Licht, keine Luft und keine Telefone.“ Aus Angst vor russischen Bomben fuhr man verdunkelt. Zudem hatte sich unter den Flüchtenden die Sorge verbreitet, die Russen könnten den Zug per Handy-ortung aufspüren. Antonenko ist gut in Deutschland angekommen. Aber in Gedanken ist sie noch sehr viel in der Heimat.
„Dort leben viele Menschen seit Monaten in U-Bahn-Schächten und Kellern“, sagt sie. Und es werde nun langsam wärmer, in vielen Orten fangen die Leichen an zu stinken. Das sind die Nachrichten, die sie aus der Ukraine erhält. Aktuell sei es in Kiew aber „relativ ruhig“, deshalb mache sie sich nicht zu große Sorgen um ihren Ehemann.
Ein Glücksgriff für Antonenko und Gastro-Chef Bauer
Daria Antonenko liebt den Blick vom Achterdeck über den Rhein in Richtung Dom. „Es ist toll, bei schönem Wetter hier zu arbeiten“, sagt sie. Die Gäste seien unglaublich nett, ihr Chef Matthias Bauer sowieso. Ihre in Köln lebende Freundin hatte ihn über Facebook gefunden, weil er geflüchteten Ukrainern ein Zimmer anbot. Daria kam dort unter – und dann stellte sich heraus, dass nicht nur er für sie, sondern auch sie mit ihren 13 Jahren Gastronomie-Erfahrung für ihn ein Glücksgriff war. Sie wurde eingestellt, und dazu gleich vier weitere Ukrainerinnen.
„In unserer Branche ist es im Moment sehr schwer, Personal zu finden“, sagt Achterdeck-Geschäftsführer Bauer. Die Ukrainerinnen erlebe er als „Leute, die zuverlässig sind und arbeiten wollen, das habe ich nicht mehr oft“. Als Gastronom ist er im Vorteil, da seine Angestellten keine Ausbildungsnachweise brauchen. Dort, wo ein Berufszertifikat anerkannt werden muss, ist der Weg trotz der erleichterten Bedingungen deutlich schwieriger.
Einstiegshürden bei anderen Berufen
Natalie Nothstein vom deutsch-ukrainischen Verein Blau-Gelbes Kreuz berichtet von einer Hebamme, die gern arbeiten würde. Ihre Zertifikate liegen aber in der Ukraine. Natürlich, sie ist nur mit dem Nötigsten vor den Bomben geflohen. Viele wollten unbedingt arbeiten, sagt Nothstein: „Die wollen sich integrieren, auch wenn für die meisten klar ist, dass sie nach Hause zurückkehren, sobald das möglich ist.“ Arbeit zu finden, klappe bislang meist in Jobs mit geringen Ausbildungsanforderungen. Lehrer sind eine Ausnahme, da hat das Land NRW bereits einige eingestellt, um die Schulen bei der Betreuung ukrainischer Kinder zu unterstützen.
Die Industrie und Handelskammer (IHK) Köln bietet Geflüchteten neuerdings einen so genannten „Erst-Check“ an: www.ihk-koeln.de/erstcheck. Dort werden Informationen zum individuellen Berufsabschluss, zu Arbeitserfahrungen und Sprachkompetenz gesammelt und bescheinigt. Das ersetzt die Anerkennung eines Berufszertifikates nicht, kann jedoch den Einstieg erleichtern. „Wir werden mit den Menschen aus der Ukraine nicht unseren Fachkräftemangel decken können“, sagt Jasna Rezo-Franz von der IHK Köln. Das Erstcheck-Angebot richte sich deshalb an alle Geflüchteten, nicht nur an jene aus der Ukraine.
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Susanne Eikemeier, Medienreferentin bei der Bundesagentur für Arbeit, betont, dass aktuell „vor der Vermittlung andere Hürden überwunden werden“ müssen. Die Anerkennung des Berufsabschlusses, die je nach Branche bis zu acht Monate dauern könne. Der Erwerb von Sprachkenntnissen. Und im Fall der vielen Ukrainerinnen auch die Organisation der Kinderbetreuung. Fachkräften aus dem Ausland empfiehlt sie die Internetseite www.makeitingermany.de, sieht in den Flüchtlingen aus der Ukraine aber ebenfalls nicht die Lösung des Problems: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Deutschland derzeit erstmal humanitär gefordert sind. Die Frauen und Kinder kommen nicht nach Deutschland, um unseren Arbeitskräftebedarf zu decken.“
Ukrainerin Zubova: „Ich denke die ganze Zeit an meine Familie“
Svitlana Zubova ist gleich am ersten Tag des Krieges mit ihrer 16 Jahre alten Tochter aus Sumy im Nordosten der Ukraine geflohen, nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Mann und Sohn der 49-Jährigen sind Soldaten, ihre ältere Tochter lebt in Odessa. Dass Zubova nach Köln kam, war reiner Zufall, dass sie den Job auf dem Achterdeck gefunden hat, ebenfalls. Ihr Sohn hat inzwischen in der Ukraine geheiratet. Seine Frau ist schwanger. Zubova hat die Hochzeit verpasst.
„Ich denke die ganze Zeit an meine Familie: Wie geht es ihnen, was passiert gerade, werden wir heute noch Kontakt haben?“, erzählt sie. Vormittags nimmt sie zusammen mit Daria Antonenko an einem Online-Deutschkurs teil, danach arbeitet sie. Ihre Tochter geht zur Schule. „Die Tage sind sehr voll“, sagt Zubova. Darüber ist sie froh. Aber die Traurigkeit in ihrem Blick ist nicht zu übersehen. Antonenko sagt: „Es ist wirklich schön hier. Aber Zuhause ist Zuhause.“