Gefühl wie nach den SommerferienWarum es uns gut tut, jetzt wieder ins Büro zu gehen
Köln – Das Beste am Büro ist der Lippenstift. Ich stehe am Waschbecken neben einer Frau, die ich nicht kenne. Sie trägt mit einer präzisen Bewegung leuchtend roten Lippenstift auf und ich muss hinschauen, weil ich diese Tätigkeit seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe. Nicht bei einer anderen Frau und auch nicht bei mir. Wozu Lippenstift tragen, wenn man das unter der Maske sowieso nicht sieht? Oder wenn man eh nur zuhause in der Wohnung hockt? Ich mache der fremden Frau ein Kompliment für ihre schönen roten Lippen, die ich so lange nicht gesehen habe. Sie lächelt, zieht die Maske über und sagt: „Seit ich wieder ins Büro gehe, schminke ich mich endlich wieder vernünftig. Das fühlt sich richtig gut an.“
Es gibt jetzt wieder etwas, für das man sich vernünftig anziehen muss
Wen interessiert es, ob eine Frau unter der Maske roten Lippenstift trägt oder nicht, denken Sie jetzt. Aber mir geht es um das Symbol. Darum, dass es jetzt wieder etwas gibt, für das man sich schminken, duschen oder zumindest vernünftig anziehen muss. Auch untenrum! Wie oft habe ich von Freundinnen gehört, dass sie sich für die Videokonferenzen zwar oben etwas Ordentliches anziehen und ein bisschen Wimperntusche auftragen, aber den ganzen Tag nicht aus der Jogginghose herauskommen. Mein persönlicher Tiefpunkt der Homeoffice-Zeit fällt in den ersten Lockdown. Um 14 Uhr plötzlich Action auf dem Computer. Hilfe! Eine spontane Videokonferenz! Meine Chefs und Kollegen erwischen mich um diese Zeit ungeduscht, ungeschminkt und in Schlafklamotten am viel zu kleinen Schreibtisch im Kinderzimmer. Keine Chance für mich, aus der Nummer herauszukommen oder wenigstens die Kamera auszumachen. Seit diesem peinlichen Moment, der die ganze Würdelosigkeit des Homeoffice auf den Punkt bringt, bin ich zumindest rechtzeitig angezogen, wenn ich am eigenen Küchentisch sitze – wenn auch nie besonders engagiert.
Seit ich wieder ab und zu ins Büro gehe, schaue ich auch mal wieder in die Seite des Schranks, in dem seit Pandemiebeginn Kleider und hohe Schuhe verstauben und entdecke mit Staunen Klamotten wieder, die ich seit zwei Jahren nicht in der Hand gehabt habe. Wozu auch? Nach zwei Jahren im Schlabberlock sind die „richtigen“ Anziehsachen zwar etwas unbequem, aber sie geben mir Würde zurück und signalisieren meinem Gehirn: „Du hast jetzt etwas zu tun.“ Obwohl ich erst wieder üben muss, wann ich aufstehen/duschen/Brote schmieren/mich schminken/anziehen/Kinder zur Schule bringen/zur Arbeit fahren muss, um rechtzeitig im Büro zu sein.
Im Büro fühlt es sich an wie nach den Sommerferien
Noch schöner als die bessere Kleidung ist aber der Nach-den-Sommerferien-Effekt, der in den Konferenzen, auf dem Flur oder in der Kantine entsteht. Wir haben uns einfach so lange nicht gesehen und so viel zu erzählen! Wenn gleich mehrere Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig im Büro sind, fühlt es sich fast an wie eine kleine Party. Wie geht es dir? Wie schön, dich mal wiederzusehen! Was machen die Kinder? Die eine hat 15 Kilo abgenommen, die andere ist umgezogen, der nächste hat jetzt einen Hund. Man hat ja so viel verpasst! Und dann sind da noch die neuen Kollegen, die man zum ersten Mal außerhalb der Videokachel in voller Größe sieht und beinahe gar nicht erkennt, wenn sie dreidimensional vor einem stehen.
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Dem Team tut es gut, zumindest ab und zu gemeinsam im Büro zu sein. Mal eine richtige Reaktion zu bekommen und nicht nur den hochgestreckten Daumen bei Teams. Zu sehen, ob sich die Mimik der anderen wirklich nicht ändert oder ob nur mal wieder der Bildschirm eingefroren ist. Hier erfährt man auch ganz nebenbei Dinge, die man bei der morgendlichen Videokonferenz, per Chat oder am Telefon nie erfahren hätte. Denn da geht es immer nur um die Arbeit und konkrete Fragen. Es gibt dort keinen Raum für Witze, Plänkeleien, Smalltalk oder kleine Flirts. Wenn die Kamera wieder ausgeht, bleibt jeder für sich allein.
Smalltalk, Witze, Flirts: Wie geht denn das nochmal?
Und genau das wird einem nach zwei Jahren auch zum Verhängnis. Nicht jeder kann plötzlich einfach so wieder locker drauf los plaudern. Man versteht die Witze des Kollegen nicht mehr. Fühlt sich überfordert, wenn jemand kommt und einfach nur fragt: „Wie geht es dir?“ Diese Unfähigkeit zum Smalltalk, diese totale Entwöhnung von der kleinen Quatscherei zwischendurch ist mir bei den ersten Malen zurück im Büro so richtig bewusst geworden. Langsam wird es besser. Das kurze Gespräch an der Kaffeebar, die Plänkelei mit dem Koch in der Kantine, das Essen mit Kollegen aus anderen Abteilungen – jede Begegnung mit anderen Menschen ist wohltuend, bereichernd und gibt ein kleines Stück Normalität zurück. Was früher selbstverständlich war, ist heute etwas Besonderes. Und weil wir so aus der Übung sind, bei aller Freude leider auch etwas anstrengend.
Im Büro wird man sehr schnell abgelenkt
Plötzlich wieder konzentriert arbeiten, wenn alle um einen herum reden und telefonieren? Das funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Endlich hat man einen Zugang zu seiner Aufgabe gefunden und kommt voran, da erzählt jemand etwas, über das man lachen muss oder fragt, ob man auch einen Kaffee möchte. Alles sehr charmante Unterbrechungen, an die man sich erst wieder gewöhnen muss, damit man rasch in die Arbeit zurückfindet. Wenn man im Homeoffice mal einen Hänger hat, kann man zwischendurch die Wäsche aufhängen oder die Spülmaschine ausräumen. Das muss man nach einem Bürotag abends erledigen. Zuhause lassen sich auch Kinder- und Hundebetreuung sehr viel besser mit der Arbeit vereinbaren. Auch ein Arbeitsweg fällt an. Das kann man – je nach Entfernung und Fortbewegungsmittel – gut finden, weil es endlich wieder räumliche Distanz zwischen Job und Zuhause bringt, oder einfach nur nervig und zeitaufwändig.
Arbeitsweg schafft endlich wieder Distanz zwischen Job und Freizeit
Halten wir also fest: Im Homeoffice lassen sich manche Arbeiten schneller und konzentrierter erledigen als im trubeligen Büro. Man spart den Weg zur Arbeitsstelle, kann zwischendurch die Kinder abholen und auch mal ungeduscht am Tisch sitzen. Aber: Private und berufliche Aufgaben verschwimmen, es gibt keine richtige Grenze zwischen Job und Privatleben, man verliert seine Kollegen aus den Augen und vergisst, wie Humor, Smalltalk und Flirts funktionieren. Die ideale Lösung ist wohl eine Mischung aus Büro- und Heimarbeit, wie sie die meisten Firmen jetzt anstreben. Zwei Jahre Corona haben bewiesen, dass es nicht nötig ist, an starren Präsenzzeiten festzuhalten. Viele Jobs lassen sich genauso gut oder sogar besser von zuhause aus erledigen. Ein stärkeres Teamgefühl entsteht aber definitiv, wenn man sich nicht nur in Videokacheln sieht. Nach zwei Jahren, in denen Schule, Arbeit, Kinderbetreuung, Sport und Freizeit für viele Menschen zu großen Teilen in den eigenen vier Wänden stattfanden, tut es uns gut, die einzelnen Bereiche wieder voneinander zu trennen. Ich persönlich bin ein großer Fan davon, wenn Arbeit im Büro, Unterricht in der Schule und Sport außerhalb des Wohnzimmers stattfindet. Aber wer das anders sieht und seine Sachen am liebsten von zuhause aus macht, sollte das auch weiter machen dürfen.