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Bernd Hölzenbein„Die waren viel zu arrogant“

Lesezeit 6 Minuten

Bernd Hölzenbein, Ikone der Frankfurter Eintracht, hat im WM-Endspiel 1974 gegen die Niederlande nach einem Foul von Wim Jansen den umstrittenen Strafstoß zum 1:1-Ausgleich herausgeholt - die berühmteste Schwalbe der Fußballgeschichte, obwohl es gar keine astreine Schwalbe war. In diesen Tagen macht der 66-jährige Eintracht-Chefscout sich zur Spielersuche auf zur EM nach Polen und in die Ukraine.

Herr Hölzenbein, Sie haben 1974 beim 2:1 im WM-Finale und 1978 beim 2:2 in der WM-Finalrunde gegen die Niederlande gespielt. Waren das damals schon Hassduelle wie später in den 80-ern und 90-ern?

Bernd Hölzenbein: Überhaupt nicht. Die haben uns hinterher gratuliert. Wir haben uns die Hand gegeben und die Trikots getauscht. Ich 1974 nach dem Endspiel mit dem Wim Suurbier, der war eigentlich Verteidiger, aber unfassbar offensiv im Endspiel, ich musste gegen ihn fast linker Verteidiger spielen, dabei war ich ja Stürmer. Jahre später war ich aber arg enttäuscht von Suurbier.

Was hat er angestellt?

Hölzenbein: Ein niederländischer Journalist erzählte mir vor der WM 2006 auf einem Termin, auf dem ich als deutscher WM-Botschafter in Amsterdam aufgetreten bin, Suurbier habe mein Trikot irgendwann in die Mülltonne geworfen. Suurbier lebte in den USA, ich habe nachgeforscht, und es stimmte. Da hätte er es besser mir zurückgeschickt. Ich habe seins noch bei mir im Schrank hängen.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zu den Niederlanden sonst entwickelt?

Hölzenbein: Ich hatte nie ein schlechtes Verhältnis zu Holland, oder zu den Spielern. Ich war oft in Scheveningen im Urlaub. Und auch, wenn man später mal einen von den Spielern getroffen hat, dann wurde viel gelacht und geflachst.

Die Niederländer werden Ihnen nie vergessen, dass Sie sich in der 24. Minute so geschickt bei Wim Jansen eingefädelt haben, dass der englische Schiedsrichter Jack Taylor sich angeblich täuschen ließ und auf Strafstoß erkannte, den Paul Breitner dann zum 1:1 nutzte.

Hölzenbein: Ich bin darauf natürlich schon tausendmal angesprochen worden. Aber ich habe den Holländern auch gesagt: Ihr habt doch nicht wegen des Elfmeters verloren, sondern deshalb, weil Ihr viel zu arrogant ins Spiel gegangen seid. Wie hat Bundestrainer Helmut Schön Sie auf das Finale vorbereitet?

Hölzenbein: Wir waren taktisch sehr gut vorbereitet. Im Training hat Günter Netzer die Rolle von Johan Cruyff eingenommen, und der Berti Vogts hat ihn gedeckt.

Das hat ja dann im Finale auch ganz gut geklappt, bis auf die erste Minute, als Cruyff gleich einen Strafstoß herausgeholt hat.

Hölzenbein: Ja, da ist er dem Berti entwischt – aber was kaum einer weiß: Wir waren auch psychologisch von Schön richtig gut eingestellt worden.Was hat er getan?

Hölzenbein: Schön hat uns gesagt: Schaut denen im Kabinengang tief in die Augen, weicht nicht aus. Wir sollten zeigen, dass wir uns auf Augenhöhe befinden. Aber bei mir war es mit dem Selbstvertrauen nicht so toll, ich war ja erst spät in die Stammelf gerutscht. Da habe ich im Kabinengang dem Holländer rechts von mir krampfhaft in die Augen geschaut, bis der irgendwann nur noch mit dem Kopf geschüttelt und sich abgedreht hat. Der wusste gar nicht, was los war.

Angeblich soll Kapitän Franz Beckenbauer nach dem 0:1 im letzten Vorrundenspiel gegen die DDR die Mannschaftsaufstellung entscheidend beeinflusst haben?

Hölzenbein: Das halte ich für eine Legende. Sonst wäre ja auch der Uli Hoeneß gegen Jugoslawien nicht aus der Mannschaft gerutscht. Der war ja ein Spezl vom Franz. Ich habe das Gefühl, dass da an einem Mythos gestrickt wird. Der Einfluss vom Franz wird meiner Meinung nach in dieser Frage total überbewertet. Helmut Schön hatte die Dinge ganz klar in der Hand. Er hat die Entscheidungen getroffen.

Angeblich soll Beckenbauer sogar dagegen gewesen sein, dass Sie und Jürgen Grabowski im Finale dabei sind?

Hölzenbein: In der Bild am Sonntag stand jedenfalls am Spieltag noch, dass Jupp Heynckes aus Mönchengladbach stürmt und nicht ich. Dabei hatte mir Schön schon am Samstag mitgeteilt, dass ich spielen werde. Ich habe später gehört, dass Gladbachs damaliger Trainer Hennes Weisweiler Einfluss für Heynckes nehmen wollte, aber Schön hat sich da nicht beirren lassen.

Vier Jahre später haben Sie bei der WM in Argentinien wieder gegen die Niederlande gespielt. 2:2 in der Zwischenrunde, die es damals bei Weltmeisterschaften gab.

Hölzenbein: Ja, ich erinnere mich noch gut, denn an diesem Tag wurde unser Sohn Sascha geboren. Ich habe eines meiner besten Länderspiele gemacht.

Wussten Sie da schon von der Geburt?

Hölzenbein: Ja, obwohl der DFB meine Frau nicht durchgestellt hat, als sie anrief. Die sagten ihr, ich dürfe nicht gestört werden. So habe ich von der Geburt über Journalisten erfahren, die haben mir ein Faksimile mit Bild von meinem Sohn geschickt. Die Reporter waren auch auf unserem Gelände untergebracht. Unser Komplex war ein Erholungsheim für argentinische Luftwaffen-Offiziere. Wir waren am Ende der Welt. Ascochinga war so weit weg von der nächsten Stadt, das glaubt man kaum, mitten in der Pampa. Ascochinga ist indianisch und heißt "toter Hund", und sie wussten schon, warum. Da war weit und breit nichts, nur Langeweile.

Und Sie konnten nicht mal raus, geschweige denn abends zu einem Bummel in die Stadt?

Hölzenbein: Die nächste Stadt war Córdoba, 60, 70 Kilometer entfernt. Außerdem herrschte seinerzeit in Argentinien eine Militärdiktatur. Man hatte Angst, dass da irgendetwas passieren könnte. Unser Komplex war mit Zäunen abgesperrt, davor patrouillierten Soldaten mit Maschinengewehren. Wir kamen rein und kamen nicht mehr raus, nur zu den Spielen.

Und zum Training?

Hölzenbein: Der Trainingsplatz war auch innerhalb des Geländes.

Und was haben Sie den ganzen Tag gemacht?

Hölzenbein: Nicht viel. Jeden Tag war Training, morgens und mittags. Das war gut. Ansonsten herrschte Langeweile. Rolf Rüssmann hat einmal gesagt, der Höhepunkt des Tages war das gemeinsame Essen. Das stimmt. Zur Zerstreuung gab es eine Tischtennisplatte, im Tischtennis war ich gut. Und es gab Franz Lambert...

...der mit der Hammond-Orgel?

Hölzenbein: Genau. Der spielte zum Essen und abends. Das war´s.

Nach dem 2:2 gegen die Niederlande gab es dann nur noch ein Spiel für Sie...

Hölzenbein: Ja, wir sind dann kläglich 2:3 an Österreich gescheitert in Córdoba. Dass wir gegen die Österreicher verloren haben, ist unfassbar. Aber wir waren auch eine Mannschaft ohne Hackordnung, ohne Anführer. Dabei habe ich persönlich richtig gut gespielt, über meine Verhältnisse, möchte ich fast sagen, und sogar noch das 2:2 geköpft. Bei einem Unentschieden hätte es noch zu Platz drei gelangt. Aber keiner wollte in Argentinien bleiben, nur noch heim. Es war mein letztes von 40 Länderspielen.

Was erwarten Sie vom Spiel am Mittwoch?

Hölzenbein: Wir haben eine gute Ausgangsposition. Wäre es gegen Portugal 0:0 oder 1:1 ausgegangen, was ja möglich war, dann wäre da ein ganz anderer Druck für unsere Mannschaft. Die Holländer haben mir nicht so gut gefallen. Am Anfang haben sie die Dänen an die Wand gespielt, aber das hat sich dann von Minute zu Minute verändert. Ich habe ich mich gewundert, dass sie offenbar keine Kondition mehr hatten. Die Dänen konnten ja machen, was sie wollen. Die haben den Ball gehalten, wie sie wollen. Sie haben quer- und zurück gespielt, da kam kein Druck. Das war ja schon fast peinlich.