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FC-LegendeDer Einzigartige

Lesezeit 4 Minuten

Heinz Flohe als Co-Trainer von Stephan Engels in der zweiten Mannschaft des 1. FC Köln

Doch, das war schon der richtige Rahmen, den der DFB gewählt hatte: Vor dem Länderspiel gegen Paraguay am 14. August in Kaiserslautern sollte mit einer Schweigeminute vor dem Anpfiff der großen Fußballer gedacht werden, die kurz zuvor gestorben waren. Und ja, es war richtig und ergreifend, dass das Publikum im Fritz-Walter-Stadion eben nicht geschwiegen hat in diesem Moment – sondern andächtig, dankbar und kraftvoll applaudiert hat für Ottmar Walter, Bert Trautmann und den Kölner Heinz Flohe.

Was für Spieler, was für Leben! Ottmar Walter, Weltmeister von 1954, der nur deshalb nicht als einer der größten deutschen Fußballer hat gelten dürfen, weil sein für strategische Inszenierungen auf und neben dem Platz höher begabter Bruder Fritz im Großraum Kaiserslautern und darüber hinaus so viel Licht und Glanz und Ruhm absorbiert hat, dass für den kleinen Bruder bis zum Schluss fast nichts übrig blieb, jedenfalls nicht genug. Nach Bruder Fritz ist in Kaiserslautern das Stadion benannt, nach Ottmar heißt das Eingangstor Nord.

Bert Trautmann, dessen Verpflichtung bei Manchester City im Jahre 1949 die halbe Stadt gegen den Klub aufbrachte – weil der es gewagt hatte, vier Jahre nach Kriegsende einen ehemaligen deutschen Fallschirmjäger in sein Tor zu stellen. Und sieben Jahre später wurde dieser frühere Feind, dieser stille Mensch, dieser Deutsche durch sein fantastisches Torwartspiel Englands Fußballer des Jahres. Auch weil Trautmann im Finale des FA-Cups 1956 den Sieg für sein Team hatte festhalten können, trotz einer schweren Verletzung, die sich im Nachhinein herausstellte als, ja, Genickbruch. Ausdruck der in England ungebrochenen Bewunderung für Trautmann war die Verleihung des englischen Verdienstorden „Order of the British Empire“ im Jahre 2004 durch die Queen.

In Heinz Flohes Vita spielt die große Politik keine Rolle – er hat nicht wie die 54er Weltmeister einem an sich selbst zweifelnden Land Mut und Stolz und Selbstvertrauen geschenkt; er hat nicht im Land des ehemaligen Kriegsfeindes sportliche und menschliche Grundlagenarbeit für die Aussöhnung geleistet. Nein, Heinz Flohe hat Fußball gespielt – aber wie!

Es ist ein Segen, dass hier nicht Erinnerungen und alte Schriften bemüht und TV-Schnipsel auf „Youtube“ herangezogen werden müssen. Herbert Neumann, Flohes kongenialer Mitspieler beim 1. FC Köln, hatte seinem Freund am 28. Januar 2013 zum 65. Geburtstag gratuliert in einem anrührenden Text für den „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wollte man Dich als Fußballer beschreiben, wären alle Superlative angemessen. Du konntest alles: Dribbeln, schießen, flanken, kämpfen, grätschen, rennen, Tore machen, die Mitspieler in Szene setzen oder aber, wenn es sein musste, Spiele auch alleine entscheiden.“

Der gebürtige Euskirchener lag zu diesem Zeitpunkt – knapp fünf Monate vor seinem Tod – bereits seit zweieinhalb Jahren im Koma. Er, ein steter Freund aller Facetten des Boxsports, hatte im Mai 2010, klar, die Einweihung des Box-Gyms von Weltmeister Felix Sturm in der Kölner Südstadt besucht. Beim anschließenden Spaziergang durchs Veedel war er auf offener Straße zusammengebrochen. Das kranke Herz. Schon wieder. Er wurde im Krankenhaus in einen Kälteschlaf versetzt – und ist nicht wieder aufgewacht.

Neumann, selbst ein hochsensibler Geist, hatte in Flohe beim 1.FC Köln einen Seelenverwandten gesehen. Wie dieser hatte auch jener unter dem strengen Regiment des Klub-Diktators Wolfgang Overath gelitten, bis Trainer Hennes Weisweiler im Jahre 1977 in einer Art Putsch die Ära dieses großen Spielers beendete. Eine neue, kurze, große Zeit brach an beim Kölner Klub, geprägt von denen, die nun aus der zweiten Reihe hervortreten konnten. Neumann, einer von ihnen, beschrieb das in seinem Text an den Freund so: „Beim Gewinn des Doubles aus Meisterschaft und DFB-Pokal 1977/78 warst Du unser Kapitän, einen besseren hätten wir nicht haben können. Als Mensch habe ich Dich als sanftmütig wahrgenommen, selten laut, stets loyal und verlässlich; hilfsbereit, verschwiegen und bescheiden.“

„Sanftmütig“ und „bescheiden“. Andere nennen ihn verspielt und eigensinnig – und vielleicht sind Attribute wie diese schon die Antwort auf die Frage, warum da oben im Fußball-Olymp zwischen den Alpha-Tieren Overath und Netzer nach allgemeiner Auffassung für einen wie Flohe kein Platz ist. Sondern etwas darunter. Und auf die Frage, warum um alles in der Welt diese improvisationsfreudige und leichtfüßige Höchstbegabung zwischen 1970 und 1978 nicht mehr als 39 Länderspiele bestreiten durfte – richtig, zwei mehr als Günter Netzer, aber der war in dieser Hinsicht auch bekennend phlegmatisch. Es ist womöglich so: Manche Menschen sagen nicht im richtigen Moment oder nicht laut genug: Ich!

Herbert Neumann nennt Flohes Art „einzigartig“. Er war dabei. Er muss es wissen.

Heinz Flohe ist am 15. Juni 2013 gestorben.