Ferienlager Orlionok am Schwarzen MeerWillkommen im Elite-Camp

Die Fotografin Anita Back hat drei Wochen in Orlionok verbracht. Katja Petrowskaja begleitete Anita Back und beschreibt in ihrem Essay die Suche nach einem Stück ihrer sowjetischen Kindheit.
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An den ersten Urlaub ohne die Eltern erinnern sich viele Erwachsene noch Jahre später gerne mit einem geheimnisvollen Schmunzeln auf den Lippen zurück: Dieses Gefühl der Freiheit, den Tag selbstständig gestalten und genießen zu können, die Jugend zu feiern und alle Risiken und Nebenwirkungen auszukosten. Während in Deutschland für diese prägende Erfahrung die unterschiedlichsten Orte und Angebote zum Verreisen in Frage kommen, gibt es in Russland seit Jahrzehnten nur ein Feriencamp, das diesen Namen wirklich verdient: Orlionok.
Gelegen am Schwarzen Meer, in Russlands sonnigster Region Krasnodar und unweit vom Olympiaaustragungsort Sotschi, besuchen jedes Jahr etwa 5000 Jugendliche das von Pathos umgebene Camp und wandeln zwischen postsowjetischer Idylle und weltoffener Jugendlichkeit.
Früher wurden einzig die Nachwuchs-Helden des Landes mit Urlaub belohnt – und zugleich gedrillt – nachdem sie sich zuvor als Gewinner von regionalen Schulwettbewerben und Sportwettkämpfen hervorgetan oder sich in besonderer Weise (politisch) engagiert hatten. Heute können vor allem Jugendliche (12-16 Jahre) reicher Eltern hier in das Gefühl der kollektiven Kindheit eintauchen. Orlionok (zu Deutsch: „der kleine Adler“) ist heute also prinzipiell für alle zugänglich – vorausgesetzt das Portemonnaie lässt den etwa dreiwöchigen Erlebnisurlaub zu.
Schießtraining mit Kalaschnikow
Für diejenigen, denen die Tore des Camps offenstehen, eröffnet sich eine eigene, kleine Welt: Alle Jugendlichen werden nach ihrer Ankunft in Gruppen von etwa 30 Personen und anschließend in eines der sieben vorhandenen Ferienhäuser eingeteilt. Dabei werden die Jugendlichen den gesamten Zeitraum von Pädagogen und auf Wunsch auch von Psychologen betreut, die eine Sonderausbildung für dieses Lager durchlaufen haben. Die Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten ist durchaus beeindruckend: Neben den Fußball- und Basketballplätzen zählen vor allem die Schießstände (Kalaschnikow-Schießtraining im „Militärlager“) sowie die große Tanzsäle, in denen in erster Linie Tanzunterricht in klassisch russischer Tracht angeboten wird, zu den beliebtesten Orten im Camp. Doch auch Besuche im campeigenen Air- und Spacemuseum, in dem die glorreichen Zeiten russischer Raumfahrt- und Militärgeschichte dokumentiert sind sowie ausgiebige Strandbesuche und gemeinsame Lagerfeuer mit Gesang, gehören zu den angesagten Freizeitaktivitäten, in denen die reiche Historie Russlands jeweils verankert ist.
Wer zu den Auserwählten gehört und das gigantische Lager drei Wochen lang erleben darf, macht eine prägende Lebenserfahrung. Welche Rolle dabei die Werte und der Stolz der ehemaligen Sowjetunion bis heute spielen, bleibt hinter den Toren des Camps verborgen. Sicher ist jedoch: Orlionok ist ein sehr spezielles Jugendcamp. Die russische Jugendelite verbringt hier einen Urlaub, an den sie sich im Erwachsenenalter zurückerinnern wird – ob mit Schmunzeln auf den Lippen, oder ohne.
Fotografin Anita Back hat drei Wochen in Orlionok verbracht und in ihren Fotografien die widersprüchliche Grundstimmung des Ferienlagers festgehalten. Katja Petrowskaja begleitete Anita Back und beschreibt in ihrem Essay die Suche nach einem Stück ihrer sowjetischen Kindheit. Das Buch ist bei Amazon erhältlich.