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Finn, 18, transident„Es geht um den Menschen, nicht um sein Geschlecht“

Lesezeit 11 Minuten
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Finn kleidet sich bereits wie ein Junge. Seit zwei Jahren weiß er, dass er kein Mädchen ist.

  1. Nicola wurde als Mädchen geboren. Seit zwei Jahren ist sie sich sicher: Ich bin ein Junge. Seitdem nennt sie sich Finn und führt ein Leben als Er.

„Das Kind“, sagt Astrid W. häufig, wenn sie von ihrem Sohn spricht. „Erst dachte ich, dass das Kind eine weitere Sau durchs Dorf treibt. Dass es sich irrt und es irgendwann einen Knall gibt und alles wieder in Ordnung kommt.“ Das war vor zwei Jahren, als „das Kind“ ihr eines Abends einen Brief über den Tisch reichte, in dem stand, dass es in Zukunft mit „er“ angesprochen und Finn statt Nicola genannt werden möchte. Dass es endlich wisse, wer es sei: Kein Mädchen, sondern ein Junge an der Schwelle zum Mann. Einer, der sich einen Bart wünscht und eine Brust flach wie ein Brett.

Leicht sei ihm dieser Brief nicht gefallen, sagt Finn heute. Das Sweatshirt sitzt locker, die Brust darunter ist weggebunden. Finns Haar ist kurz geschnitten, die Stimme klingt hell, fast mädchenhaft. Er trägt eine weit geschnittene Hose und schwere, dunkle Schuhe. In diesem Jahr will er mit der Hormontherapie beginnen – einer von noch vielen Schritten auf dem langen Weg zum Mann.

Geschlechtsinkongruenz sagen die Psychiater zu dem Phänomen

Finn ist 18 Jahre alt und das jüngste von zwei Kindern der Familie W. „Geboren im falschen Körper“ – so lautete früher die Erklärung für das Durcheinander, das vor fünf, sechs Jahren in seinem Kopf ausbrach. Transgender, transident oder transsexuell nennt man heute Menschen wie ihn. Sie fühlen sich einem anderen Geschlecht zugehörig als dem angeborenen. „Geschlechtsinkongruenz“ sagen die Psychiater zu dem Phänomen. Mangelnde Übereinstimmung zwischen dem empfundenen Geschlecht und den körperlichen Geschlechtsmerkmalen.

Bis zu seinem 13. Lebensjahr sei das Kind total glücklich gewesen, sagt Astrid W. „Talentiert, gut vernetzt, immer auf Harmonie bedacht.“ Die langen Haare reichen weit über den Rücken. Nicola trägt Kleider, Röcke und bunte Strumpfhosen. Sie spielt Hockey. Ihre Schulnoten sind gut. In ihrem Regal im Kinderzimmer hocken Kuscheltiere. „Sie war ein total süßes, nettes, knuddeliges Mädchen. Vielleicht sogar überangepasst.“ Bis zur Pubertät.

Das Kind schottet sich ab und geht von einem Tag zum anderen nicht mehr zum Hockeytraining. Wird launisch, aggressiv und ungesellig. Es ritzt sich, bis Blut fließt, und will nicht sagen, warum es das tut. Ein Kinderpsychologe wird zurate gezogen.

Weder Junge noch Mädchen

„Erst dachte ich, dass es vielleicht an der Trennung von meinem Mann liegt“, sagt Astrid W. „Unsere Ehe war gerade auseinandergegangen. Oder das Kind war lesbisch und traute sich nicht, sich zu outen. Oder es hatte einen sexuellen Übergriff gegeben.“

Hinzu kommen die Selbstvorwürfe. „Vielleicht arbeitete ich zu viel. Ich war eine dieser Übermütter mit dem ewig schlechten Gewissen. Immer voll berufstätig. Vielleicht war ich zu anspruchsvoll. Zu kritisch. Forderte zu viel von den Kindern. “ Selbst heute frage sie sich manchmal, an welcher Stelle was schiefgelaufen sei. „Was hätte ich anders machen können? Und warum habe ich nicht früher etwas gemerkt? Warum konnte ich meinem Kind nicht helfen?“

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Astrid W. spricht noch häufig von „ihren Mädels“.

Sie sei damals, in der schlimmen Zeit, ein knappes Jahr im Ausland gewesen, erinnert sich Alina, die zwei Jahre ältere Schwester. „Als ich zurückkam, war Finn total verändert und schwer depressiv. Die Klamotten wurden weiter, die Haare kürzer. Erst dachte ich: Das ist halt so in der Pubertät. Man sucht sich selber und ist nicht immer glücklich.“ Dass weit mehr hinter Finns Verhalten steckte, habe sie erst viel später begriffen.

Selbstverletzungen werden mehr

Die Selbstverletzungen werden mehr. Schließlich ist sogar der Psychologe überfordert und rät zu einem Klinikaufenthalt.

„Ich wusste selber nicht, was mit mir los war“, sagt Finn. „Ich habe nur gespürt, dass es mir nicht gut ging. Mit meinem Geschlecht habe ich das zunächst nicht in Verbindung gebracht. Ich dachte, es liegt daran, dass ich älter werde und nicht damit klarkomme, dass sich Dinge verändern.“ Früher habe er nie viel über seine Mädchenrolle nachgedacht. „Ich habe mich weder als Mädchen noch als Junge gesehen, sondern einfach als Mensch. Ich hatte männliche und weibliche Freunde, war viel draußen und habe mit meinen Plüschtieren, aber auch schon mal mit Puppen gespielt.“

Das Kind beginnt, sich zunehmend unwohl zu fühlen in seinem Körper. Diese Brüste, diese Hüften, die sich langsam runden. Die kleinen Fettpölsterchen. Der Kontakt zu Gleichaltrigen wird zum Problem. „Die hatten plötzlich völlig andere Themen als ich“, erinnert sich Finn. In der Hockeymannschaft kommt er sich vor wie ein Fremdkörper. „Ich hatte das Gefühl, nirgendwo richtig hineinzupassen, weil sich alle um mich herum anders entwickelten als ich oder als ich mir das für mich wünschte. Also bin ich nicht mehr hingegangen.“ Die Verzweiflung wächst.

Hinter dem Kind liegt inzwischen ein vierwöchiger Klinikaufenthalt. Es schluckt Antidepressiva und besucht weitere zehn Wochen eine Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Ehe der Eltern wird geschieden, und Astrid W. zieht mit den beiden Kindern nach Hannover, wo sie einen neuen Job gefunden hat. Der Ex-Partner bleibt in Köln. „Ich dachte, dass der Ortswechsel uns allen gut tun würde“, sagt Astrid W. Ihre Hoffnungen erfüllen sich nur teilweise.

Mit 15 habe er das erste Mal den Begriff Transgender gehört, sagt Finn. „Vorher wusste ich nicht einmal genau, was das ist. Ich habe nur gemerkt, dass ich mich in meinem Körper nicht wohlfühlte.“ Er habe damals seine erste Freundin gehabt. „Am Anfang war es irgendwie lesbisch, und ich fragte mich, welcher Teil ich eigentlich bin. Der männliche oder der weibliche?“

Viele Fragen, wenige Antworten

Schließlich habe er gemerkt, dass er gern der männliche Teil wäre, und angefangen, im Netz nachzuforschen. „Ich habe viel über Transmenschen gelesen und mich in ihren Schilderungen wiedergefunden. Irgendwann war ich sicher: Das ist es.“ Am Anfang, sagt Finn, sei die Selbstdiagnose eine große Erleichterung gewesen. Der Name „Finn“ habe sich irgendwie ergeben. „Ich habe ein Kuscheltier, das ich sehr mag und das Finni heißt, weil es ein Delfin ist. Vielleicht kommt der Name daher. “

Viele Fragen bleiben. Warum ist ein Mensch transident? Wie viele Transmenschen gibt es? Und: Wie geht es weiter?

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Finn hofft, auch körperlich bald ein Mann zu sein.

Antworten zu finden ist nicht leicht. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Tansidentität und Intersexualität sind 0,25 Prozent aller Neugeborenen transsexuell. Andere Quellen sprechen von 1: 30000 Betroffenen, wieder andere von 1:4500 oder 1:100000. Warum ein Mensch im Kopf ein anderer ist, als seine Körper nahelegt – auch das ist unklar. Eine These besagt, dass der Fötus im Mutterleib durch gegengeschlechtliche Hormone beeinflusst worden sein könnte. Eine andere, dass Veränderungen der Hirnstruktur Auslöser für die gestörte Geschlechtsidentität seien. Sicher ist nur: Transmenschen können schwul, lesbisch oder hetero sein. Transidentität sagt nichts über ihre die sexuelle Orientierung aus.

Seine Freundin, sagt Finn, sei die erste gewesen, mit der er über seine Vermutung, transgender zu sein, gesprochen habe. „Ich habe ihr gesagt, dass ich mich wohler fühlen würde, wenn sie Finn statt Nicola zu mir sagt und männliche Pronomen benutzt.“ Die Freundin reagiert zunächst skeptisch. „Sie wollte nicht in dieses Klischee reinpassen, dass es in einer lesbischen Beziehung immer einen männlichen und einen weiblichen Teil gibt.“ Als sie merkt, dass es der Partnerin bessergeht, wenn sie als Finn angesprochen wird, tut sie ihr den Gefallen. „Von da an waren wir als Heteros zusammen.“

Finns Haare sind längst kurz geschnitten. Noch immer nimmt er Antidepressiva, und auch in Hannover geht er regelmäßig zu einer Psychiaterin, die ihre Praxis unweit der neuen Wohnung hat.

Bruder statt Schwester

Im Dezember 2016, erinnert sich Astrid W., habe ihr Kind das erste Mal angedeutet, dass es sich im falschen Körper fühle. „Im Traum wäre ich nicht auf diese Idee gekommen.“ Zwei Monate später folgt das offizielle Outing. Finn schreibt auch dem Vater in Köln einen Brief und erklärt ihm, dass er kein Mädchen, sondern ein Junge ist. „Er hat das eigentlich ganz gut aufgenommen und sich darüber gefreut, dass ich so ehrlich zu ihm war.“

Alina, die Schwester, ist im ersten Moment „total perplex“. „Ich wollte das gar nicht wahrhaben und dachte nur: Warum muss das auch noch sein?“ Inzwischen habe sie sich daran gewöhnt, einen Bruder statt einer Schwester zu haben. „Wenn Finn damit glücklich ist, unterstützte ich ihn natürlich.“

Das tue sie auch, sagt Astrid W. „Ich akzeptiere das.“ Trotzdem habe sie anfangs Angst gehabt, dass ihr Kind sich irren könnte. „Dass es sich in etwas verrennt und nicht mehr aus der Sache herauskommt, selbst wenn es nicht stimmt.“ Dass Finn womöglich doch Nicola ist.

Finn besucht seit dem Umzug nach Hannover eine Selbsthilfegruppe für „Trans-Personen und Menschen, die sich nicht innerhalb der binären Geschlechterordnung verorten“. Seinen Absturz in ein weiteres Seelentief kann auch die Gruppe nicht verhindern. Wenige Wochen nach seinem Outing landet er erneut in einer psychiatrischen Klinik. Seine Depressionen haben sich verschlimmert. Wieder fließt Blut. In der Schule, wo man ihn als Mädchen kennt, muss er pausieren. Erst nach seiner Rückkehr aus der Klinik outet er sich auch hier.

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„Sie war ein total süßes, nettes, knuddeliges Mädchen. Vielleicht sogar überangepasst“, sagt Finns Mutter heute.

Die Erkenntnis, ein Junge zu sein, sei erst einmal mit unheimlich viel Angst verbunden gewesen, sagt Finn. „Ich habe mich in dieser Zeit sehr allein gefühlt. Natürlich ist es eine Erleichterung, endlich zu wissen, wer man ist. Aber dann denkt man weiter. Wie kann ich das jetzt umsetzen? Wie nehmen die anderen mein Outing auf? Glauben sie mir überhaupt?“ Glaube ich mir selber?

Zwei Jahre nach seinem Outing ist Finn sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. „Im ersten Jahr hatte ich noch Zweifel. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, weiter mit meinem weiblichen Körper zu leben, und ich glaube auch nicht, dass ich später irgendetwas von dem bereuen werde, was ich jetzt tue.“ Bereits im vergangenen Jahr hat er beim Amtsgericht eine Personenstandsänderung beantragt, um bald auch offiziell Finn zu heißen. Die Ergebnisse von zwei psychologischen Gutachten, die dafür nötig sind, stehen noch aus. Astrid W. hofft, „dass sie eindeutig sind“.

Bart und eine tiefe Stimme

Für Menschen wie Finn gilt das „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“, kurz: das Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1981. Wer seinen Personenstand ändern will, muss demnach zwei Gutachten vorlegen. Daran hat auch die Neufassung des Personenstandgesetzes nichts geändert, die am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Darin wird zwar die Existenz eines dritten Geschlechts anerkannt: Kann das Geschlecht eines Kindes nicht eindeutig zugeordnet werden, darf es mit der Angabe „divers“ ins Geburtsregister eingetragen werden. Transsexuelle hingegen wurden bei der Reform außen vor gelassen. Was nicht nur die Betroffenen als vertane Chance sehen.

Noch ist Finns Körper weiblich. Mit allen Konsequenzen. „Ich hoffe, dass das bald vorbei ist“, sagt er. In diesen Jahr will er anfangen, unter ärztlicher Aufsicht Testosteron, männliche Hormone, zu nehmen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Mann. „Ich möchte später einen Bart haben und hoffe, dass mein Körper irgendwann nicht mehr so rundlich ist wie jetzt. Und dass meine Stimme tiefer wird, damit die Leute nicht mehr so irritiert sind, wenn sie mich sprechen hören. Entweder denken sie, dass ich noch sehr jung bin. Oder dass mit meinen Stimmbruch etwas schiefgegangen ist.“ Der nächste Schritt soll die Brustentfernung sein. Noch hält ein „Binder“, eine Art Bandage oder „Anti-Push-up“, die unwillkommenen Rundungen in Zaum. Später will Finn „alles entfernen lassen, was nicht in meinen Körper hineingehört“.

Es geht um den Menschen

„Wenn ich genau weiß, dass er wirklich ein Transjunge ist, ist das für mich kein Problem“, sagt Astrid W. Inzwischen falle es ihr leichter als in Monaten nach dem Outing, ihr Kind Finn zu nennen. „Daran habe ich mich gewöhnt.“ Nur bei den Pronomen verspreche sie sich manchmal, sage „sie“ statt „er“, „ihre“ statt „seine“ Entscheidung. „Und ich rede noch oft von »meinen Mädels«.“

Eines allerdings habe sie schnell gelernt. „Es geht um den Menschen und nicht um sein Geschlecht. Das ist völlig zweitrangig. Ich liebe dieses Kind nicht, weil es ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich liebe es, weil es mein Kind ist.“

Hintergrundinfos

Gesetzeslage und Kontakte

Das Transsexuellengesetz oder „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen “ trat am 1. Januar 1981 in Kraft und ist seitdem mehrmals geändert worden bzw. durch höchstrichterliche Entscheidungen als teilweise unwirksam erklärt worden. Es regelt den juristischen Wechsel des Geschlechts. Demnach gibt es zwei Möglichkeiten für eine transsexuelle Person, ihren Eintrag im Personenstandsregister zu ändern: Die Anpassung lediglich des Vornamens an das empfundene Geschlecht („kleine Lösung“) oder die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags im Geburtsregister („große Lösung“).

Zunächst muss beim Amtsgericht ein schriftlicher Antrag eingereicht werden. Bis 2011 war zur Änderung des Geschlechtseintrags eine geschlechtsangleichenden Operation erforderlich. Außerdem nötig: zwei voneinander unabhängige psychologische Gutachten, in denen festgestellt wird, dass die betreffende Person transsexuell ist. Die Kosten für die Gutachten müssen die Antragsteller selber tragen.

Die körperliche Angleichung an das empfundene Geschlecht beginnt in der Regel mit einer Hormontherapie. Voraussetzung: eine Indikation zur Hormonbehandlung durch einen Psychotherapeuten oder Psychiater. Möchte oder kann man die medizinischen Kosten nicht selbst übernehmen, ist die Kostenübernahme durch die gesetzliche oder private Krankenversicherung sicherzustellen. Bei einer geschlechtsangleichenden OP werden die primären Geschlechtsmerkmale (Penis, Vagina) dem neuen Geschlecht soweit wie möglich angepasst.

Rat und Hilfe:Rubicon, Beratungsstelle,Rubensstr. 32, 50676 Köln , Tel. 0221/27 66 999 -0.www.rubicon-koeln.de

TXKöln, SHG, Postfach 900175, 51111 Köln, Treffen Fr, 20 Uhr.www.txkoeln.de

Gendertreff Leverkusen. Jeden 1. Samstag im Monat, 19 Uhr.www.gendertreff.de

Sophie Sänger, Transgender-Coaching, Beratung.www.transgender-koeln.de