Kölner Schülersprecherin im Interview„Wir werden nicht gefragt, wie es uns geht“
- Xueling Zhou ist seit 2020 Schülersprecherin des Genoveva-Gymnasiums in Köln-Mülheim. Dort besucht sie die elfte Jahrgangsstufe. Seit 2019 ist sie Mitglied im Vorstand der Landesschüler*innenvertretung NRW.
- Im Interview spricht sie über die wachsende soziale Ungerechtigkeit durch digitalen Distanzunterricht, das Versagen der Politik und was sie sich für die Zukunft verspricht.
Frau Zhou, welche Note geben Sie dem Digitalunterricht in der Corona-Krise?Xueling Zhou: Im besten Fall war es ausreichend. Ich kann gerade mal eine Vier minus geben.
Was war gut, was schlecht?
Gut ist, dass mehr Schülerinnen und Schüler als vorher digital ausgestattet wurden, auch wenn es nicht für alle gereicht hat. Mit einem Blick auf den Digitalpakt und die Programme zur Sofortausstattung in der Pandemie zeigen sich Probleme: Erstens reicht das Geld nicht, zweitens ist die Bürokratie so langwierig, dass Schulleitungen sich wochenlang damit rumschlagen müssen, um mit digitaler Technik versorgt zu werden. Der erschwerte Zugang ist also ein dickes Minus. Das hat sich dann auch negativ auf die Bildungschancengleichheit ausgewirkt.
Inwiefern?
Auch abseits von technischer Ausstattung herrscht eine große soziale Ungleichheit. Eine Schülerin mit Akademikereltern, die ein eigenes Zimmer hat und jedes Gerät, das sie braucht, ist in einer Klasse mit einer Schülerin, die fünf Geschwister hat, die sich alle Zimmer und Endgeräte teilen oder sich erst von der Schule ausleihen müssen. Der digitale Distanzunterricht hat die soziale Ungerechtigkeit, die schon immer da war, noch verschärft.
Haben Sie solche Beispiele auch an Ihrer Schule erlebt?
Klar. An unserem Gymnasium in Mülheim gibt es viele Arbeiterfamilien ohne jeglichen akademischen Hintergrund. Wir haben an unserer Schule schon Spenden mit Endgeräten bekommen, ich selbst war zum Glück nicht darauf angewiesen. Aber noch immer gibt es nicht genug Geräte. Ich habe auch heute noch Mitschülerinnen und Mitschüler, die den ganzen Digitalunterricht auf ihr Handy starren müssen, weil sie kein Tablet oder Laptop haben. Sie haben alleine deshalb viel Stoff verpasst.
Wie nehmen Sie die Diskussion um das Nachholen verpassten Lernstoffs wahr?
Wir haben deutlich weniger gelernt, das ist klar und auch verständlich. Digitale Schule war nicht erprobt, wie soll es bei einem ersten Testlauf perfekt klappen? Aber trotzdem werden wir unter ständigen Druck gesetzt. Von uns wird Leistung, Leistung, Leistung erwartet, ohne zu fragen, wie es uns geht, wie stark unsere psychische Gesundheit auch belastet wird. Wir brauchen eine Pause von diesem Leistungsdruck. Klar haben wir eine Wissenslücke, aber ich sehe keinen Sinn darin, Schülerinnen und Schüler an den Rand des Wahnsinns zu treiben.
Wie haben Sie die Krisenkommunikation in der Schulpolitik wahrgenommen?
NRW ist ein Spezialfall und hat gemacht, was es nicht machen sollte. Als der Bundeslockdown beschlossen wurde, hat NRW die Schulen geöffnet. Das ist ein Versagen der Landespolitik. Ich hatte als Schülerin einer Abschlussklasse Präsenzunterricht, da saßen wir bei einer Inzidenz von 165 im Kooperationsleistungskurs mit 27 Schülerinnen und Schülern aus drei Schulen in einem Klassenraum. Die Politik sagt, Kinder und Jugendliche haben die höchste Priorität, aber wir werden dennoch von ihr übersehen.
Gab es an Ihrer Schule auch vor Corona schon digitale Unterrichtselemente?
Es gab auch vorher Lehrkräfte, die Online-Tools genutzt und digitale Elemente eingebracht haben. Einige haben höchstens eine Powerpoint-Präsentation verlangt oder mal einen Film digital geschaut. Für andere war der Overhead-Projekt schon Teil der Digitalisierung. Das ist von Schule zu Schule und von Lehrerin zu Lehrerin unterschiedlich. Was auffällt: Schon vorher waren Gymnasien und Gesamtschulen besser ausgestattet als Haupt- und Realschulen.
Welche Fehler machen wir beim Lernen? Die Lehr-Lernforscherin Ines Langemeyer war zu Gast im Schul-Check-Podcast und ordnet Lernmythen ein:
Und was bei vielen auch jetzt noch falsch aufgefasst wird: Viele übertragen immer noch den analogen Stundenplan 1:1 ins Digitale und wollen uns dann ganz normal benoten. Dabei ist die Bewertungsgrundlage eine völlig andere. Deshalb fordern wir auch aktuell eine Aussetzung der Benotung, die auf Präsenz ausgerichtet ist.
Was erhoffen Sie sich vom Digitalisierungsschub durch Corona?
Ich möchte, dass der Schritt, der in Richtung digitale Schule gegangen wurde, nicht wieder rückgängig gemacht wird. Ich will nicht zurück in eine Schule im Papierzeitalter. Der digitale Wandel ist eine Chance, die wir nutzen sollten, um das System Schule zu verändern. Es ist jahrhundertealt, wird sind aber im Jahr 2021. Wir diskutieren, ob Autos bald über unsere Städte fliegen, die meisten Schulen sind aber noch in der Vergangenheit. Die Digitalisierung bietet der Schule jetzt die Chance, über den eigenen Schatten zu springen.
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In einem Jahr machen Sie Ihr Abitur: Fühlen Sie sich gut auf die digitalisierte Arbeitswelt vorbereitet?
Nein, ich bin nicht vorbereitet. Ich weiß in Grundzügen, wie eine Präsentation gebaut wird und kann ein Excel-Dokument erstellen, habe aber in der Schule nichts über Urheberrecht, Datenschutz oder Cybermobbing erfahren. Das muss sich für nachfolgende Schülerinnengenerationen ändern.