„Maischberger“Kölner Intensivpflegerin sorgt sich um 22-jährigen Patienten
Köln – Vielerorts sinken in Deutschland die Infektionszahlen, einige Bundesländer bringen bereits Öffnungen auf den Weg. Doch kommen die zu früh? Über diese Frage diskutierten bei „maischberger. die woche“ am Mittwoch Anette Segtrop, Intensivpflegerin an der Kölner Uniklinik, und Virologe Hendrik Streeck.
Der Bonner Virologe sieht Licht am Ende des Tunnels. Aktuell sehe man die typische Saisonalität der Coronaviren. Man werde im Sommer auf niedrige Zahlen kommen, auch mit Hilfe des Impffortschritts und der Maßnahmen. Schwer vorherzusagen sei jedoch die Zeit nach dem Sommer. Trotz dieser Ungewissheit betont Streeck noch einmal, dass es wichtig sei, nun Modellprojekte auf den Weg zu bringen.
Bei Anette Segtrop und ihrem Team ist dieser Optimismus noch nicht angekommen. Sie betreuen an der Kölner Uniklinik die extrem schweren Fälle, die teils aus anderen Kliniken abgeholt werden müssen, während sie an Maschinen angeschlossen sind. Segtrop schildert, wie drastisch die Lage an der Uniklinik zeitweise war. „Die Zahlen sind in der dritten Welle fürchterlich angestiegen.“ Im Vergleich zu den vorherigen Wellen sei die aktuelle „kurz vorm überschwappen“ gewesen. Die zehn Betten auf ihrer Station seien „von jetzt auf gleich“ innerhalb von einem Wochenende alle belegt gewesen. Man habe Patienten teils schnellstmöglich wieder in andere Kliniken verlegen müssen, um Kapazitäten für noch schwerere Fälle zu schaffen. Es habe den Punkt gegeben, an dem in der Uniklinik kein einziges Ecmo-Gerät mehr zur Verfügung gestanden habe. Aktuell beruhige sich die Situation wieder etwas.
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Segtrop, die seit 40 Jahren als Intensivpflegerin arbeitet, sagt: So eine Situation, wie sie jetzt mit Covid-19 stattfindet, habe sie noch nie erlebt. „Wir beginnen mit Maßnahmen, wie der Herzlungenmaschine, die am Anfang funktionieren. Dann kippt das, ganz langsam, und alle Organe des Körpers werden angegriffen.“ Auf die Lunge würden Niere, Leber und Herz folgen. Man habe bislang kein Mittel gefunden, wie man das noch auffangen kann.
Immer jüngere Patienten
Der Altersschnitt der Patienten habe sich im Laufe des vergangenen Jahres stark gesenkt, erklärt Segtrop. In der ersten Welle seien viele alte Patienten verstorben, noch bevor sie überhaupt in Kliniken gebracht werden konnten. In der zweiten Welle sei der Schnitt in der Uniklinik dann bereits etwa 20 Jahre jünger gewesen. Aktuell sei der jüngste schwersterkrankte Patient gerade einmal 22 Jahre alt. Aktuell wisse man nicht, ob er es schaffen wird. Das Gefühl als Pflegerin oder Pfleger nicht weiterzukommen, zu sehen, dass sich Werte nicht verbessern, belastet Segtrop. „Das macht einen sehr traurig.“
Die Angst, dass Öffnungsschritte zu einer Lage führen könnten, die man nicht mehr gestemmt bekommt, sei da, so Segtrop. Sie wünsche sich, bei allem Verständnis für die, die zum Beispiel gerade nicht arbeiten könnten, dass die Menschen sich zurücknehmen, bis die Zahlen in einen beherrschbaren Bereich fallen.
Streeck: Misswirtschaft im Pflegebereich
Die Pandemie zeige gerade im Brennglas Probleme, die schon zuvor bestanden haben, so Streeck: eine eklatante Misswirtschaft im Pflegebereich. Man habe seitens der Politik nicht gegengesteuert und es geschafft, den Bereich zu stärken.
Wenn Intensivmediziner warnen, müsse das ernstgenommen werden, so Streeck. „Jetzt alles zu öffnen ist genauso falsch, wie alles zu schließen“, sagt der Virologe. Man müsse schrittweise vorgehen und sehen, wie sich einzelne Schritte auf die Infektionsszahlen auswirken.
Projekte wie die Hotspot-Impfungen in Köln findet Streeck „enorm sinnvoll“. Auch diese würden am Ende hoffentlich die Intensivstationen entlasten.
Auch wenn es an den Kräften zehrt, aufgeben will Anette Segtrop nicht. „Ich bin zu lange in dem Beruf, als dass ich wegen einem Virus einfach aufgebe.“ Sie wünsche sich jedoch, dass die Politik mehr wertschätzt, welche Leistung Pflegekräfte im Schichtdienst erbringen und überlegt, wie man trotzdem junge Menschen dazu motivieren kann, den Beruf zu ergreifen. (ken)