Mathe-Nachhilfe mit „Minecraft“Wie Kinder mit Hilfe von Videospielen leichter lernen
Köln. – Addieren, Multiplizieren oder Englisch lernen sind nicht die Lieblingsbeschäftigungen der meisten Kinder. Um sie dennoch zum Lernen zu motivieren, wird stets nach neuen und möglichst kreativen Lösungen gesucht. So hat inzwischen auch der Gamification-Trend die Nachhilfe erreicht: Die Lernplattform Gostudent geht neue Wege und bietet Nachhilfe mit Videospielen an, darunter Mathe mit „Minecraft“ und Englisch mit „Fortnite“. „Wir verbinden Videospiele mit Unterricht, um Kinder in einer neuen Art und Weise für Schulthemen begeistern zu können“, sagt Gostudent-CEO Felix Ohswald.
Der Student Oliver ist seit März 2020 bei Gostudent tätig. Er gibt Mathe-Nachhilfe und nutzt für manche seiner Stunden das Spiel „Minecraft“. „Schüler entwickeln beim Lernen mit Videospielen erfahrungsgemäß mehr Motivation. Sie gehen weg vom klassischen ,Schwarz-Weiß-Lernen“ und haben großes Interesse, Aufgaben im Spiel zu lösen“, sagt er.
Eine digitale Welt für die Nachhilfe entworfen
Oliver hat die kreativen Möglichkeiten in „Minecraft“ genutzt und eine komplette Welt für seine Stunden kreiert. Häuser, Bauernhöfe, Teiche: Nahezu überall können Schülerinnen und Schüler eine neue Aufgabe starten. Mit einem Klick auf eine Box oder eine Spielfigur erfahren die Kinder, was sie zu erledigen haben.
Oliver erzählt, dass diese Mathe-Nachhilfe nicht nur bei Jungen, sondern auch bei Mädchen gut ankommt. Eine der Aufgaben in seiner Welt bezieht sich auf Relationszeichen und ist somit für das Grundschulalter geeignet: Schülerinnen und Schüler müssen dafür zunächst zwei Truhen öffnen und Rechenaufgaben lösen. Zwischen diesen Truhen befindet sich ein Feld, in dem die Kinder eines von drei Zeichen einsetzen müssen, die sie zuvor aus der Box mit der Aufgabenstellung erhalten haben: „kleiner“, „größer“ oder „gleich“.
Welche Fehler wir beim Lernen vermeiden sollten, hat die Lehr-Lernforscherin Ines Langemeyer im Podcast „Schul-Check“ verraten:
Nicht alle Aufgaben lassen sich innerhalb der „Minecraft“-Welt lösen. Wenn Schülerinnen und Schüler etwa auf den Fischer Sam treffen, bekommen sie eine Rechenaufgabe, für die sie einen Rechenweg aufschreiben müssen – das ist im Spiel selbst nicht möglich. Doch Oliver hat sich eine Lösung überlegt: Im Videomeeting teilt er seinen Bildschirm, um mit den Kindern gemeinsam auf seinem Tablet die Aufgabe zu lösen.
Englisch mit „Fortnite“
Tutorin Cadie bietet eine Englisch-Nachhilfestunde mit „Fortnite“ an. Die Kanadierin ist leidenschaftliche Gamerin. Als Teamspiel eignet sich „Fortnite“ laut Cadie besonders gut für ihre Stunden: „Im Team muss man miteinander kommunizieren. Etwa, um vor Gegnern zu warnen oder um auf wertvolle Gegenstände aufmerksam zu machen.“
Sie startet mit ihren Schülerinnen und Schülern in einer ruhigeren Gegend der Spielkarte. Dann dreht sich alles um die Kommunikation: Schülerinnen und Schüler sollen mit Cadie stets Englisch sprechen. Manchmal geht es darum, Vokabeln zu üben. In anderen Stunden gibt es ein Rollenspiel, und Cadie ernennt die Schülerin oder den Schüler zur Kapitänin oder zum Kapitän: Sie oder er soll das Ruder übernehmen und Anweisungen geben.
Wegen der Freude am Sprechen wertvoll
Die große Stärke der Englischnachhilfe ist der Fokus auf die Kommunikation. Allerdings stößt „Fortnite“ als Nachhilfeangebot an seine Grenzen: Da oft sehr spezifisches Vokabular verwendet wird und sich die Kommunikation primär auf die Events im Spiel bezieht, eignet sich das Prinzip nicht für alle Nachhilfeeinheiten. Da die Gamingstunde ohnehin eine Ergänzung zur normalen Nachhilfe darstellt, ist der Unterricht mit „Fortnite“ jedoch allein wegen der Freude beim Sprechen wertvoll.
„Während der Corona-Krise haben wir sehr eindrücklich vor Augen geführt bekommen, welche Bedeutung Games für die soziale Vernetzung von Kindern und Jugendlichen haben können“, sagt Prof. Friederike Siller, Leiterin des Instituts für Medienforschung und Medienpädagogik an der TH Köln. Sie forscht unter anderem zu Medienpädagogik mit Hilfe digitaler Spielekultur.
Breite Palette der Chancen
Die Palette der Chancen, die digitale Spiele für Schule und Bildung bieten, sei breit, sagt Siller: „Games bieten viele Möglichkeiten: etwa sich sozial zu vernetzen und zusammen zu spielen, was für junge Menschen immer eine gute Idee ist – egal ob analog oder digital.“
Neben dem Sozialverhalten betreffe das auch ganz praktische Dinge, „wie zum Beispiel bei Minecraft Bauwerke oder Städte zu planen“. Im Erdkunde-Unterricht könne diese Fähigkeit auch genutzt werden, um vielleicht eine nachhaltige Stadt der Zukunft zu entwerfen. „In anderen Spielen geht es darum, ethische Entscheidungen zu treffen, hier kann also Wertebildung stattfinden“, sagt Siller.
Damit eine solche Wertebildung aber auch gut ausgehe, sei es wichtig, dass Schule sie begleitet, erläutert die Expertin. „Kinder und Jugendliche müssen wissen, wie Spielmechanismen funktionieren. Wie etwa Spiele wie Fortnite sie an sich binden und zu In-App-Käufen anregen. Es ist wichtig, dass Kinder Kompetenzen haben, damit umzugehen.“
Plädoyer für frühzeitige Medienerfahrung
„Wenn Kinder vor allem starke passive, konsumierende Medienerfahrungen gemacht haben, fällt es ihnen schwerer, die Erfahrungen beim schulischen Lernen zu nutzen“, sagt Siller. Sie plädiere deshalb dafür, Kinder schon frühzeitig vielfältige Medienerfahrungen machen zu lassen und sie dabei zu unterstützen, Strategien zu entwickeln, wie sie diese für Schule und Lernen nutzen können.
Für Siller steht fest: Digitale Spiele sind „interessant für Bildungskontexte jedweder Art. Diese Chancen sollten Schulen nicht ungenutzt lassen.“ Der Bildungsbereich hänge der Entwicklung von Games jedoch hinterher, bemängelt die Kölner Professorin: „Das ist nicht gut für Kinder und Jugendliche, wenn es eine große Kluft gibt zwischen dem, was sie gerne in ihrer Freizeit tun, und dem, was Schule im Unterricht aufgreift.“
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In der Corona-Krise habe es zwar zahlreiche Experimente gegeben, doch diese seien unter extremem Druck entstanden. Nun müssten die Erfahrungen ausgewertet und überlegt werden, was davon weiter genutzt wird. Schulen, sagt Siller, sollten sich gegenüber den zunehmend digital geprägten Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen offen verhalten.