Neuer Bond „Keine Zeit zu sterben“Daniel Craig zeigt mehr Emotionen als je zuvor
Köln – Ob Sie der 25. Bond-Film begeistern wird, oder ob Sie empört aus dem Kinosaal stürmen werden, hängt von ein, oder zwei Dingen ab, die ich hier nicht verraten werde. Nicht, weil Eon Productions — die Firma, die seit 60 Jahren für diese langlebigste aller Filmreihen verantwortlich zeichnet — dann wahrscheinlich seine Doppelnull-Agenten losschicken wird, um mit mir und meinesgleichen kurzen Prozess zu machen. Sondern weil es wirklich eine Unverschämtheit wäre, jemanden den Genuss dieses mit mehr als zweieinhalb Stunden längsten Bonds zu verderben, nachdem man 18 Monate auf „Keine Zeit zu sterben“ warten musste.
Eine gewisse Ironie
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Rami Malek, als gewohnt größenwahnsinniger Gegenspieler unseres Helden, große Teile der Menschheit mit einem waffenfähigen Virus töten will. Genau genommen handelt es sich hier zwar nicht um eine organische Infektionskrankheit, sondern um irgendeine Schweinerei mit Nanobots, aber wen kümmert das schon. Das sind die Details, die man gefahrlos spoilern kann. Es wird immer einen Narzissten geben, der Nietzsche falsch verstanden hat — und es wird immer ein noch etwas ruchloserer Narzisst namens James Bond kommen, um ihn in letzter Sekunde aufzuhalten.
Aber das wird nicht mehr Daniel Craig sein, der hier, nach dem Totalausfall von „Spectre“, einen mehr als würdigen Abschluss seiner 007-Zeit geschenkt bekommt. Würdig, aufsehenerregend gut gefilmt vom schwedischen Kameramann Linus Sandgren, aber definitiv spaltend.
In der langen Vor-Titel-Sequenz sehen wir Craigs Bond und Léa Seydoux’ Madeleine Swann — ja, Bond ist immer noch mit der geheimnisvollen Gespielin des vorangegangenen Films zusammen, und ja, das gab es noch nie — in den Hügeln Apuliens herumkurven. Sie bittet ihn, schneller zu fahren. Er fragt wozu, man hätte doch alle Zeit der Welt. Prompt spielt das Orchester Louis Armstrongs „We Have All the Time in the World“ an, den Song, der am Ende von „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ erklingt, wenn der Erzbösewicht Blofeld Bonds frisch angetraute Ehefrau erschießt. Auch über diesen Bond, den einzigen mit George Lazenby in der Agentenrolle, gehen bis heute die Meinungen auseinander. Ich halte ihn für den besten aller Bond-Filme. Übrigens ging es auch da vordergründig um ein tödliches Virus. Jetzt wissen Sie schon mal das, und ahnen zudem, dass auch dieser Liebe keine Zukunft beschieden sein wird.
Shoot-Out und Verfolgungsjagd
Es folgt eine halsbrecherische Autoverfolgungsjagd durch die Felsenstadt Matera und ein sagenhafter Motorrad-Stunt, aber eigentlich geht es die ganze Zeit um Vertrauen, beziehungsweise um die Unmöglichkeit desselben in Bonds Berufsfeld. Fünf Jahre später macht sich der zwischenzeitlich in Rente gegangene Bond auf die Suche nach der verlorenen Zeit (und Madeleine Swanns proust‘scher Name endlich Sinn).
Craig liefert sich ein ballettöses Shoot-Out in Kuba mit der entzückenden Ana de Armas an seiner Seite, die beiden Schauspieler haben bereits in „Knives Out“ wunderbar miteinander harmonisiert. Das bleibt beinahe der einzige Moment, in dem sich „Keine Zeit zu sterben“ ein wenig von der Leichtigkeit der frühen Bond-Jahre gönnt. Ansonsten sorgt ein korrupter russischer Virologe für den „comic relief“, der leider schon nach wenigen Sätzen an den Nerven der Zuschauer nagt. Er ist das Äquivalent der Bond-Reihe zu Star Wars‘ Jar Jar Binks, man möchte applaudieren, als er sich endlich in Säure auflöst.
Wieder in London ergeht es Bond nicht anders als anderen Menschen, die nach einer Auszeit ins Büro zurückkehren: Sein alter Platz ist besetzt. Lashana Lynch ist die neue 007, und so leicht lässt sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Überhaupt ist Craigs schroffer Machomann diesmal in fast jeder Szene von starken Frauen umgeben, Naomie Harris kehrt als Moneypenny zurück, und in einem hitzigen Moment spricht er sogar Ralph Fiennes M als „darling“ an.
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Dass dieser Bond „anders“ wirkt, so wie „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ anders war, liegt zuvörderst an Cary Joji Fukunaga. Der Regisseur scheint hier manchmal eher sein Meisterwerk, die erste Staffel der philosophischen Krimiserie „True Detective“, fortzuführen, als die alte Bond-Tradition. Eine Verfolgungsjagd auf den Färöer-Inseln macht in einem verwunschenen Nebelwald Halt, in dem die Gegner jederzeit aus dem Unterholz schießen können. Das geheime Hauptquartier von Rami Maleks Lyutsifer Safin (diese Namen!) befindet sich zwar wie in „Man lebt nur zweimal“ auf einer Insel in der Nähe Japans. Doch die Sichtbeton-Schluchten, durch die sich Bond dort zum Kern des Übels vorankämpfen muss, erinnern weniger an den prägenden Bond-Bühnenbildner Ken Adam als an die meditativen Räume des Architekten Tadao Ando. Und die Action greift nicht weit aus, sie wirkt bedrohlich und nah.
Natürlich umspannt auch dieser Bond die halbe Welt und man sieht ihm in jeder Sekunde die ungeheuren Summen und die handwerkliche Expertise an, die in so eine Produktion fließen. Dennoch wirkt er streckenweise fast intim, und Daniel Craig, der „Spectre“ mit eisig versperrter Miene bestritt (oder war er schlicht gelangweilt?), darf hier die ganze Palette an Emotionen abrufen, mehr als jemals in einem Bond zu sehen waren. Das ist der beste Stunt dieses Films.