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Nicht die eine Wahrheit: Der DFB und die Katar-Debatte

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Herzogenaurach – Die ersten drei Reihen für den schwierigen Dialog über den massiv kritisierten WM-Gastgeber Katar waren für die Fußball-Nationalspieler reserviert.

Ganz vorne saß unter anderem das Bayern-Quartett Thomas Müller, Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Serge Gnabry, als sich der Deutsche Fußball-Bund in einer ersten öffentlichen Runde dem komplexen Thema weiter zu nähern versuchte. „Es gibt nicht diese eine Wahrheit”, resümierte DFB-Direktor Oliver Bierhoff am Ende der Veranstaltung. Umso wichtiger sei, „dass wir uns damit beschäftigen, Position beziehen”.

Wie muss, wie soll der mitgliederstärkste Einzelsportverband der Welt mit einem Turnier-Ausrichter umgehen, der in der öffentlichen Wahrnehmung wegen der Menschenrechtslage und der Situation für ausländische Arbeiter keiner sein sollte? Der aus den USA per Video zugeschaltete Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, inzwischen als DFB-Botschafter für Vielfalt aktiv, sprach von einem „Dilemma”. Besonders für die Spieler, von denen mehr verlangt werde als von mit Katar viel mehr verflochtenen Wirtschaftsunternehmen.

„Jeder einzelne Spieler muss für sich entscheiden, wie viel Druck er zulässt”, sagte der 40 Jahre alte Hitzlsperger. „Ich würde an die Spieler appellieren, nur über die Dinge zu reden, über die sie Bescheid wissen.” Wortmeldungen der Profis, die direkt nach dem Training am Vormittag in Vorbereitung auf das Nations-League-Spiel gegen Italien am Samstag (20.45 Uhr/RTL) aufmerksam zuhörten, waren nicht geplant.

Fokus auf LGBTQ*-Gemeinschaft

Der DFB hatte für die Podiumsdiskussion Vertreter mehrerer Interessengruppen eingeladen, unter anderem vom Weltverband FIFA und der Fan-Vereinigung Football Supporters Europe. Einen Austausch mit den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch zur teils dramatischen Lage für ausländische Arbeiter hatte es bereits im Rahmen der Länderspiele Ende März gegeben. Im Fokus stand nun in Herzogenaurach die Lage für die LGBTQ*-Gemeinschaft. Die englische Abkürzung steht für Menschen, die unterschiedliche Identitäten und sexuelle Orientierungen haben.

Christian Rudolph, der Leiter der DFB-Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, erinnerte an die jüngsten Aussagen des Emirs von Katar, der gesagt habe, „alle sind willkommen”. Homosexualität steht aber zugleich in dem Land unter Strafe. „Das empfinde ich als Drohung”, sagte Rudolph. Wenn Dinge wie „Händchen halten, wie man das im Urlaub macht, wenn das schon unter Strafe steht - das gibt kein Sicherheitsgefühl, definitiv nicht”.

Offiziell verbreiten die FIFA und das WM-Organisationskomitee eine Willkommenskultur für das Turnier vom 21. November bis 18. Dezember, das anders wird. Aussagen aus dem Emirat und Medienberichte lassen daran große Zweifel aufkommen. Sie würde sich nicht sicher fühlen, mit ihrer Partnerin nach Katar zu reisen, sagte Pia Mann von Discover Fußball, die den Weltverband kritisierte: „Die FIFA hat sich vor einigen Jahren selbst Menschenrechtsstatuten auferlegt, die sie aber nicht verfolgt.”

Hitzlsberger glaubt nicht an Veränderung durch WM

Der Fußball ist in der Katar-Debatte längst nicht mehr isoliert zu betrachten. In den Wirren des russischen Angriffs auf die Ukraine war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor Wochen nach Doha gereist, um über Energieverträge zu verhandeln. Boykotte wegen der Menschenrechtslage sind auf politischer Ebene mit neuen Abhängigkeitsverhältnissen kein Thema. Den DFB hatte das Fanbündnis „ProFans” zuletzt zu einer Mitgliederbefragung über die WM-Teilnahme aufgefordert.

Als „schwierig” bezeichnete Hitzlsperger die Situation für den Verband. „Ich glaube nicht, dass der DFB und andere Verbände das Land verändern können in den wenigen Wochen, in denen sie dort präsent sind.” Der Gründer des Fußballbotschafter e.V., Roland Bischof, warb nach vielen Katar-Besuchen dafür, das Emirat mit den Nachbarländern zu vergleichen: „Jeder Influencer fliegt nach Dubai, und da ist die Entwicklung nicht so weit.”

Auch Bierhoff sprach im Schlusswort zwar von einer „Entwicklung” im Land, das „in der gesamten Region vorneweg” marschiere. „Aber es reicht in vielen Dingen nicht, es hapert an vielen Stellen.” Es gebe „verschiedene Klassen von Menschen, die teilweise auch sehr isoliert leben”. DFB-Präsident Bernd Neuendorf hatte zuletzt angekündigt, Aktionen auf dem Weg nach Katar mit anderen europäischen Verbänden abstimmen zu wollen.

© dpa-infocom, dpa:220531-99-499830/4 (dpa)