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Phänomen PrepperSie werden überleben, wenn die Welt untergeht

Lesezeit 7 Minuten

Bastian Blum ist ausgebildeter Feuerwehrmann und sieht sich selbst als Prepper-Realisten.

Wenn morgen die Welt untergeht, halten Stephan Brienen und Bastian Blum weiter durch. Sie bezeichnen sich selbst als Prepper und sind auf alles vorbereitet.

  1. [Lesedauer: rund 6 Minuten]

Fünf Autominuten von der niederländischen Grenze entfernt ist die Apokalypse so greifbar wie das Stück Pflaumenkuchen zum Nachmittagskaffee. Irgendwann, da ist sich Stephan Brienen sicher, kann ihm sein Keller das Leben retten. Die Wasserkanister, die Atemschutzmasken, der Nato-Draht. Irgendwann wird er brauchen, was er seit Jahren bunkert. Gasofen, Elektroschocker, Macheten. Irgendwo wird die Katastrophe ihren Ursprung genommen haben. An einer Klinkerfassade am Stadtrand von Kleve soll sie enden. Dafür wappnet sich Brienen seit Jahren wie besessen.

Brienen ist überzeugter Prepper, abgeleitet aus dem englischen, „to be prepared“, vorbereitet sein. Prepper bereiten sich auf extreme Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Krieg, Zusammenbruch der Wirtschaft gezielt vor. So erklärt es das NRW-Innenministerium. Angefangen hatte alles in den USA, im 19. Jahrhundert während des Sezessionskriegs. Menschen hörten von Versorgungsengpässen und begannen sich einzudecken. Zwei Weltkriege später erreichte die Bewegung Europa.

Prepper denken nicht nur an das Essen

Heute gelten in Deutschland rund 150.000 Menschen als aktive Prepper, in den USA drei bis vier Millionen. Viele vernetzen sich auf Facebook-Seiten, treffen sich auf Outdoor- und Waffenmessen, in Survival-Camps und Jagd-Kursen.

Auch Brienen hat sich vorbereitet, alles längst durchgespielt. Dass Hacker Kernreaktoren ins Visier nehmen, Terroristen das Trinkwasser vergiften, die Energieversorgung wegen Unwettern zusammenbricht. Für andere sind das Verschwörungstheorien, doch Brienen ist es bitterernst.

50 Kilometer den Niederrhein flussaufwärts lebt ein Mann, den die gleichen Sorgen umtreiben: Bastian Blum. Der Krefelder ist so etwas wie das Sprachrohr der Prepper-Szene. Er sieht sich selbst als Chef-Aufklärer der Katastrophen-Vorsorge. In dieser Rolle fühlt er sich sichtlich wohl. Eloquent, überzeugend, verbindlich. Hunderte Interviews hat er schon gegeben. Die meisten davon als der damalige Innenminister Thomas de Maizière im August 2016 das Zivilschutzkonzept ausgerufen hatte. Die Deutschen mögen sich doch bitte vorbereiten für den Ernstfall. Von „hybriden Konflikten“ war die Rede, Hacker-Angriffen, „nicht grundsätzlich auszuschließenden, existenzbedrohenden Entwicklungen“.

„Hacker sind uns immer einen Schritt voraus“

Auf einmal rannte die versammelte Weltpresse dem Gründer der Prepper Gemeinschaft Deutschland fast die Kellertür ein. Die BBC war schon da, internationale Nachrichtenagenturen. Die Welt wurde nervös: Weiß der Minister etwas, was anderen noch verborgen ist? Wenn es einer wissen konnte, dann Deutschlands Prepper-Papst. Blum gab Interviews zwischen Sandkasten-Baufahrzeugen seines Sohnes, Kurbelradios, Gasmasken und Solarlampen. Auch Blum kannte die Pläne des Ministers nicht. Seine nüchterne Botschaft, damals wie heute: Je mehr Menschen vorsorgen, desto weniger kann passieren.

Stephan Brienen hortet in seinem Keller Wasserkanister, Elektroschocker, Macheten.

„Unsere Infrastruktur ist empfindlich geworden“, sagt er, und überhaupt: „Hacker sind uns immer einen Schritt voraus“. Blum ist ausgebildeter Feuerwehrmann, ABC-Katastrophenschützer und derzeit THW-Mitarbeiter. Fällt der Strom flächendeckend in der Region aus, rennt er nach unten und macht die Wassertanks voll, weil der Druck in den Leitungen fällt und Nachschub lange auf sich wartenlassen könnte. Ein Szenario, weitaus wahrscheinlicher, als viele dächten, sagt Blum. 410 Stromausfälle habe es 2016 in Deutschland gegeben.

Nicht für das Ende gewappnet

Was ihn und Brienen verbindet: ihr kühler, kalkulierender Blick auf Szenarien, die das Ende unserer Komfortzone bedeuten könnten. Die beiden Prepper sprechen über Notbrunnen, Strahlenarten und Evakuierungsszenarien so nüchtern, als würden sie aus dem Busfahrplan vortragen. Präzise in den Details, ohne Panik in den Augen. Gibt es denn im Zweifelsfall keine Feuerwehr, keine Ersthilfe, die dafür sorgt, dass alles so weitergeht wie bisher? Keine Chance, sagen beide.

Für alles, was über das bislang Übliche hinausgehe, sagt Blum, sei Deutschland nicht gewappnet. Bei größeren Angriffen seien wir ausgeliefert. „Und wir hatten nur Glück, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, mit einem Flugzeug in ein Atomkraftwerk zu fliegen“, sagt Blum. Und im Katastrophenfall würden auch Helfer zuerst sich selbst und ihren Familien helfen. Oder ergriffen die Flucht. Davon sind beide überzeugt, allen Notfallplänen und Heldengeschichten von Feuerwehrleuten oder Polizisten zum Trotz. „Als Prepper geht man davon aus, dass einem keiner hilft“, sagt Brienen.

1000 Kalorien am Tag, zählt Brienen, sind genug für einen kleinen, schmächtigen Mann wie ihn. Eine Tüte komprimierter Energiebrei. 4200 Liter Wasser sollte eine vierköpfige Familie im Keller haben, rechnet Blum vor, um zehn Wochen zu überleben. Bis dahin sollten die Wasserwerke wieder laufen. Maximal mehrere Stunden, prognostizieren beide, hielten die Vorräte der Supermärkte, bei einem flächendeckenden Blackout. Deshalb stapeln sich bei ihnen Raviolibüchsen und Dosenbrot bis unter die Decke, alles jahrzehntelang haltbar, sicher ist sicher.

Geld verdienen mit der Angst

Für Brienen ist Prepping auch ein Geschäftsmodell. Sein ganzes Sortiment verkauft er auch in seinem Online-Shop. 20 Stunden Arbeit bedeute das pro Woche, sagt Brienen. Die Platzhirsche aus den USA hätten ihm das Geschäft oft nicht leicht gemacht. Ihn abgemahnt, weil er Lebensmittel nicht korrekt deklariert hatte. Mittlerweile floriert der Shop, Brienen expandiert und hat schon eine Halle angemietet, ein paar Kilometer von Kleve entfernt. Die Waren verschickt er meist an Kunden in Süddeutschland, Österreich, in der Schweiz. Glutenfrei auf Wunsch. Auch Allergiker wollen überleben.

Brienen denkt auch darüber nach, seinen Vorrat zu verteidigen. Er weiß, dass die Nachfrage groß ist: „So ein Keller weckt Begehrlichkeiten, das steht fest“. Aus seiner Stimme klingt Gewissheit, keine Angst. Denn gegen die hat er sich gewappnet. Mit allem, was die deutschen Gesetze so hergeben. Keine Schusswaffen, aber Steinschleudern, Elektroschocker, Messer, eine Armbrust. Alles frei verkäuflich. Genug, um sich Feinde vom Leib zu halten. Oder ein Menschenleben zu beenden. Der gelernte Computer-Servicetechniker sieht auch das technisch nüchtern: „Ich verkaufe das zur Verteidigung gegen Leute, die dir was wollen. Oder freigelassene Hunde, die durch die Straßen ziehen.“

Lebensmittel für viele Wochen – falls die Supermarktversorgung zusammenbricht

Auch das CS-Gas, hochtoxisch, diene nur diesem Zweck. Sondereinsatzkommandos der Polizei setzten es ein, um Flure bei Amokläufen zu begasen, früher mal. „Da wird einem so schnell übel, dass man sofort abhaut“, sagt Brienen. Die Polizei ist mittlerweile auf Pfefferspray umgestiegen. Ungefährlicher zwar, aber eben auch weniger effektiv. Etwas für Anfänger. Für den Tag X vielleicht nicht genug. Denn Brienen hat eine klare Vorstellung davon, was die Katastrophe aus den Leuten macht: Erst das Fressen, dann die Moral.

500 Waffen für das Chaos

Sorgen, dass all die Waffen in die falschen Hände geraten könnten, macht sich Brienen kaum. „Was die Leute damit machen, ist mir egal.“ Viele Produkte importiert er aus den USA, dem Land der großen Naturkatastrophen, Verschwörungstheorien und laxen Waffengesetze. Ein gefährlicher Mix, der auch Spinner anzieht. Auf einer Waffenmesse in Nürnberg sei ihm ein Amerikaner begegnet, der 500 Waffen bunkerte, erzählt Blum. Der Jüngste Tag sei für solche Leute, sogenannte „Doomer“, kein Schreckensszenario. Im Gegenteil: Sie warten nur auf das Chaos nach der Katastrophe. Dann kommen die Waffen endlich zum Einsatz, der Doomer „kann sich profilieren“, wie Blum sagt. Doch: „Katastrophen überlebt man nur gemeinsam.“

30 Prozent der Prepper in Deutschland, schätzt Blum, gehören den Doomern, dem extremen Teil der Szene an. Verschwörungstheoretiker, Verfassungsfeinde, Neonazis, Reichsbürger. Die Übergänge sind fließend. Ihr Biotop: Internet-Foren und Blogs, in denen sie sich mit Untergangsszenarien und Kriegsfantasien überbieten. Man schottet sich ab. Regierung? Öffentlichkeit? Presse? Alle ferngesteuert.

Auch die Sicherheitsbehörden sehen die ideologische Nähe zu rechten Kreisen. „Es entspricht der Sichtweise von Rechtsextremisten, ständig kampfbereit zu sein, um gegen vermeintliche Feinde vorzugehen. Insofern ist es plausibel, dass auch einige Rechtsextremisten der Prepper-Szene angehören“, teilt das NRW-Innenministerium auf Anfrage mit. Dennoch: „Für NRW liegen keine Erkenntnisse über eine strukturelle Verbindung zwischen der Prepper-Szene und der rechtsextremistischen Szene vor“, heißt es weiter. Noch Ende vergangenen Jahres hatte die Innenministerkonferenz beschlossen, die Szene im Auge zu behalten. Vom Innenministerium heißt es dazu nun, die Prepper-Szene sei kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.

Besorgt weil wenige vorsorgen

Ob er glaubt, dass er eines Tages den Nato-Draht um sein Grundstück legen muss? Möglich, sagt Brienen, ist alles: „Die kommen sonst durch die Fenster, machen den Kamin dicht, damit ich nicht mehr heizen kann.“ „Die“, das sind die anderen, die nicht vorgesorgt haben und dann an seine Dosen wollen. Mit solchen Selbstverteidigungs-Szenarien kann Blum wenig anfangen. Brienen nennt er einen „Prepper-Romantiker“. Science Fiction mit der Realität verwechselt. Tausende andere Ereignisse seien deutlich wahrscheinlicher, sagt Blum.

Sich selbst sieht er als „Prepper-Realisten“. Seine Frau teilt die Leidenschaft. Für die Russin sei Katastrophenvorsorge ganz normal, als Lehrerin sogar Teil ihrer Ausbildung. Wäre der Begriff nicht nach der Flüchtlingskrise und ihrer populistischen Ausbeutung belastet, er könnte sich einen „besorgten Bürger“ nennen, im eigentlichen Sinne. Besorgt, weil eben sonst kaum jemand vorsorgt. Prepper wie er hofften, dass sie Tag X nie erlebten. „Denn wir wissen, was dann passiert.“