Schrebergarten in HolweideDie Integrationskraft der Erdbeere
Ja, ja, die Vorurteile. Unter dem zweiten Kassierer eines deutschen Kleingartenvereins kann man sich so ziemlich alles vorstellen, nur eben nicht Eksan Göncü. Das macht aber nichts, weil sich das der 33-Jährige mit seiner kräftigen Statur und dem dunklen Vollbart bis vor kurzem selbst nicht vorstellen konnte. Aber so spielt das Leben in Kölns jüngster Kleingartenanlage „Im Merheimer Felde“, die mit dem Laubenpieper-Image so gar nichts gemein hat. Vor drei Jahren haben sie hier angefangen, einen zugigen Acker in der Nähe der Colonia-Allee in Holweide zu bewirtschaften. 79 Parzellen – alle sind vermietet. Sommeranfang in Holweide. Was den Sülzern ihre „Kletterose“, den Neuehrenfeldern der „Blücherpark“ und den Rondorfern der „Distelfink“ – hier ist es das „Merheimer Feld“. Eben etwas anders als die anderen.
Nicht alle 115 Anlagen im Stadtgebiet, auf denen rund 13 000 Kleingärtner ihre Freizeit verbringen, sind voll belegt. Was immer Freizeit auch bedeuten mag: 64000 Stunden freiwillige Gemeinschaftsarbeit leisten die kölschen Laubenpieper jedes Jahr, geben für knapp 6,3 Millionen Quadratmeter Pachtland rund 360000 Euro aus, nur um die Gemeinschaftsanlagen in Schuss zu halten. Von den eigenen Gärten ganz zu schweigen. Gefragt sind vor allem die Vereine, in denen die Regeln nicht so streng ausgelegt werden, das Zusammenleben nicht bis ins Detail vorgeschrieben wird.
Wie in Holweide. Mit der Nagelschere beschnittene Rasenkanten sucht man hier vergeblich. „Ich habe mich immer gefragt: »Was machen die da eigentlich?«, wenn ich meine Frau zur Arbeit im Krankenhaus nach Holweide gebracht habe“, sagt Eksan Göncü zu den Anfängen des Ackers. Jetzt weiß er es, hat sein eigenes Holzhaus und ist froh, dass die Kinder jede freie Minute draußen verbringen können. „Als ich bemerkt habe, dass hier kleine Gärten entstehen, haben wir uns beworben und recht schnell den Zuschlag bekommen.“
Und als zweiter Kassierer weiß Eksan Göncü auch, was noch alles auf ihn zukommt. „Uns fehlt eine zweite Toilettenanlage.“ Kurt Hackbarth (63), Ingenieur im Ruhestand und seit Herbst 2012 Vereinsvorsitzender, kann das nur bestätigen. „Die Toiletten sind für die Pächter im hinteren Teil zu weit weg. Das müssen wir in Angriff nehmen. Aber dazu müssen wir erst einmal Geld ansparen. Das ist bei einem neuen Verein immer so.“
Willkommen im Neuland. Gut drei Jahre besteht der Verein und unterscheidet sich in so vielem von den anderen mit ihren langen Traditionen. „Manchmal beneiden wir die schon“, sagt Eksan Göncü, und sein Blick fällt über den Zaun auf die Nachbaranlage „Im Paradiesgarten“. „Die haben Strom in jeder Hütte und eigene Toiletten. Das gibt es heute nicht mehr.“ Was Bestandsschutz bedeutet, hat er auch erst lernen müssen, und dass die kleine Solaranlage auf seinem Dach Begehrlichkeiten weckt.
Das Vereinsheim fehlt noch
„Zweimal haben sie bei mir schon eingebrochen, die Scheibe eingeschlagen, den Fernseher mitgenommen. Die Solarzellen haben mich wohl verraten.“ Seither ist das Gelände grundsätzlich abgeschlossen – Vorstandsbeschluss. Besucher müssen vorher anrufen, doch für ungebetene Gäste ist der Maschendrahtzaun wahrlich kein Hindernis. „Jetzt lassen wir nichts Wertvolles mehr hier.“Aufeinander achten, mit den Nachbarn reden, das alles funktioniert schon recht gut. „Uns fehlt einfach noch das Vereinsheim. Dann könnten wir auch mal ein Fest feiern. Aber das kommt schon noch.“ Anton Roßdeutscher hat mit 65 nach 48 Jahren bei der Stadt Köln noch den Absprung ins Kleingärtnerwesen geschafft. Mit seiner Lebensgefährtin Mavis Yonakci (57) verbringt er jede freie Minute hier draußen. „Das ist schon eine besondere Atmosphäre hier bei so vielen Nationalitäten.“ Die Nachbarn stammen aus der Türkei, gleich nebenan siedeln ein paar italienische Familien, auch Kleingärtner polnischer Abstammung schätzen das Neuland. „Ihr müsst hier nur mal über den Zaun gucken“, sagt Göncü. „Die Italiener erkennt man sofort. Die haben die schönsten Häuschen. Und alle ihren Pizzaofen vor der Tür.“
„Wir wollen hier viele Kinder“
Ali Iltiger (50) nebenan könnte sich so etwas gar nicht leisten. Das Dach seines Häuschens ist mit gebrauchten Ziegeln gedeckt, auf der Parzelle nebenan steht gar nur ein Geräteschuppen. „Das sind Leute, die kommen einmal am Tag und hoffen, dass alles gut gedeiht.“
Für Hackbarth und seine Mitstreiter sind solche Dinge selbstverständlich. „Wir sind ein Gartenbauverein“, sagt er, „das steht im Mittelpunkt.“ Bei derart vielen verschiedenen Kulturen und Nationalitäten könne das sehr befruchtend sein. Etwa wenn man sich darüber austauscht, wie die Erdbeeren noch roter und süßer würden. Das sei auch ein Weg der Integration. Zumal man versuche, bei Anfragen nach Parzellen „die soziale Komponente“ zu sehen. Familien mit Kindern würden bevorzugt. „Wir wollen hier viele Kinder. Das sind die Kleingärtner von morgen.“ Wie Eksan Göncü mit seiner Familie. Ein eigenes Stück Grün mitten in der Stadt, fünf Minuten von zu Hause. Ohne deutschen Gartenzwerg.
Im Durchschnitt geben die Deutschen pro Kopf in jedem Jahr rund 100 Euro für ihre Gärten aus. Derzeit liegen Kräuter voll im Trend, auch für den Balkon. Der Kölner Kleingärtnerverband wurde im Jahr 1922 von damals bereits 49 bestehenden Gartenbauvereinen gegründet.
Seit drei Jahren besucht der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die neue Kleingartenanlage „Im Merheimer Felde“ in unregelmäßigen Abständen und berichtet über deren Entwicklung. (pb)