Love Parade-Interview mit Catherine Vogel und Mike Litt„Es ist ein schwarzer Tag und wird ein schwarzer Tag bleiben“

Thomas Bug und Catherine Vogel im ARD-Brennpunkt, der noch am selben Tag direkt im Anschluss an die Tagesschau lief.
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Köln – Die WDR-Moderatoren Catherine Vogel und Mike Litt haben sich eigentlich auf die Love Parade 2010 in Duisburg gefreut. Die 33-Jährige hat die Techno-Party im Fernsehen moderiert. Mike Litt, selber DJ, hat sogar auf dem 1LIVE-eigenen Truck, einem der „Floats“, aufgelegt. Als gegen 17 Uhr die ersten Meldungen über das tragische Unglück eintrafen, hat der Tag für die Kölnerin und den Düsseldorfer eine abrupte Wendung genommen.
- Mike Litt hatte schon vor 17 Uhr eine böse Vorahnung und wurde anschließend vom DJ zum Krisenreporter. Das hat ihm psychisch zugesetzt.
- Beide Moderatoren sprechen nach langer Zeit wieder über den Tag, der sie bis heute persönlich verändert hat, und der absurden Situation, vor einer feiernden Menge über Tote zu berichten.
- Bei der Love Parade 2010 starben 21 Menschen, mindestens 652 wurden schwer verletzt, Tausende trugen seelische Schäden davon.
Wie präsent ist eure Erinnerung an den 24.07. 2010?
Mike Litt: Es gibt bestimme Bilder, die werden wohl niemals aus meinem Kopf verschwinden. Es hat ja als sehr freundlicher Tag begonnen. Die Tragödie haben manche irgendwie geahnt, aber ich bin sehr positiv an die Sache herangegangen.
Catherine Vogel: Die Erinnerung kommt immer ganz extrem hoch, wenn ich selber als Journalistin darüber berichten muss: mit jeder Anmoderation, die man dazu schreibt und sich überlegt, wie man die richtigen Worte wählt. Ansonsten merke ich das im Alltag immer dann, wenn sehr viele Menschen da sind, zum Beispiel auf einer Kirmes. Wenn es für mein Bauchgefühl eben ein paar Menschen zu viel werden, dann kommen die Erinnerungen hoch.
Welche Erinnerungen sind besonders präsent?
Vogel: Aus einer so widersprüchlichen Situation zu berichten. Einerseits die Nachricht „Es sind Menschen gestorben oder kämpfen um ihr Leben“, andererseits feiernde Leute im Hintergrund zu haben. Das war ein seltsam trauriges Gefühl. Und vor allem die Lautstärke, die werde ich nie vergessen. Es war so laut. Nachdem diese Nachricht durchgedrungen ist, hatte ich das Gefühl, es ist alles noch lauter geworden.
„Da haben wir gemerkt, am Tunnel läuft irgendwas aus dem Ruder“
Wie ist der Tag bis zum Unglück abgelaufen?
Litt: Wir sind als WDR-Team hingefahren, wobei ich als Party-Reporter zunächst für das Fernsehen auf dem Float war, um das Fest abzubilden. Ich hab sogar zwischendurch auf dem 1LIVE-Float aufgelegt.
Vogel: Eigentlich schön, wir haben drei Stunden lang eine launige, nette Party übertragen mit fröhlichen Menschen, die gefeiert haben. Wir haben uns mit der Crew gut verstanden, Späße gemacht, es war super Wetter. Man wusste - es wird ein langer Tag, aber mit den richtigen Leuten um einen rum, wird es auch ein schöner Tag.
Ab wann sind die ersten Informationen vom Unglück eingetroffen?
Litt: Wir waren in unserem kleinen Sendestudio über verschiedene Monitore immer gut im Bilde darüber, was rundherum passierte. Bevor überhaupt von der großen Tragödie die Rede war, erinnere ich mich daran, mit Thomas Bug auf einen Monitor geblickt und gemerkt zu haben, dass am Tunnel irgendwas aus dem Ruder lief. Das hatte nichts mehr mit Spaß zu tun und war einer der prägendsten Momente für mich.
Vogel: Das war um kurz vor 17 Uhr. Ich erinnere mich noch, dass ich meine Redakteurin Sandra auf dem Ohr hatte, die sagte „Es ist was Schreckliches passiert”. Sandra ist eine Freundin von mir, ich arbeite mit ihr viel zusammen und wenn man Menschen gut kennt, hört man ja am Tonfall, dass wirklich etwas Schlimmes passiert sein muss.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, ab wann die Trauer für beide Moderatoren greifbar wurde.
Wie habt ihr nach diesen ersten Informationen weitergemacht?
Vogel: Wir waren erst mal sehr vorsichtig, mit dem was wir gesagt haben. Es war klar, es ist was passiert, und wir Moderatoren wurden sofort darüber informiert. Das Team musste im Hintergrund dann aber erst mal genauer recherchieren.
„Ich hatte richtig Wut im Bauch“
Wann habt ihr zum ersten Mal realisiert: Ich bin jetzt nicht mehr Moderator eines fröhlichen Events, sondern Krisenreporter?
Vogel: Dass man als Krisenreporter arbeitet, realisiert man nicht. Aber mit der Stimme meiner Redakteurin wurde auch innerlich ein Hebel umgelegt. Dann musst du gucken, dass du es sachlich und ohne Panik rüberbringst. Du weißt ja, dass Menschen, Eltern, Angehörige vorm Fernseher sind.
Die Informationslage war recht unübersichtlich und angesichts einer solchen Katastrophe ist es schwer den richtigen Ton zu treffen. Inwiefern war das journalistisch eine Herausforderung?
Vogel: Das war es auf jeden Fall. Das Schwierige war in dieser Party-Location den richtigen Ton zu treffen, weil das eben so skurril war: Du stehst in einem fröhlichen, launigen Bild und musst dann so tragische Nachrichten überbringen. In einem solchen Moment, ist man einfach Journalist: Wir sind sachlich geblieben, haben nur das gesagt, was wir genau wussten, und wollten keine Panik verbreiten.
Litt: Ich war nicht mehr auf dem Float, sondern bin mit einem Kamerateam über das Gelände gezogen. Die Herausforderung war die Darstellung der Leute. Ich hätte natürlich irgendwelche Katastrophenbilder liefern können, aber das hätte ich nicht redlich gefunden. Die Leute waren ja noch uninformiert, ausgelassen am Feiern und alkoholisiert. Ich habe dann von den Notausgängen aus berichtet, da konnte ich mit Feuerwehr und Polizei sprechen und so an neue Informationen kommen.
Catherine, warst Du froh, dass du an diesem Tag nicht alleine, sondern mit Thomas Bug moderiert hast?
Vogel: Es ist immer angenehm, mit einem Partner neben sich zu arbeiten, und in diesem Moment erst recht. Es war sehr schwer eine solche Tragödie zu vermitteln, deshalb war es gut, sich mit Thomas absprechen zu können. Ich war froh, dass wir ein gutes Team um uns rum hatten, das recherchiert hat, und uns ständig mit neuen Informationen versorgte.
Mike, Du musstest alleine berichten. War das besonders schwer?
Litt: Ich war ja nur vor der Kamera als Feldreporter alleine. In Summe war es Teamarbeit, wir haben uns alle gegenseitig Halt gegeben. Und ich muss auch sagen, dass Thomas Bug, den ich schon lange kenne und für seinen großen Humor schätze, uns allen ein großes Vorbild war. Er war der Allererste, der sofort erkannt hat, dass absolut keine Zeit mehr für Party-Berichterstattung ist.
Ab wann wurde die Trauer vor Ort für euch richtig greifbar?
Litt: Vor Ort gar nicht so. In den darauffolgenden Tagen war ich wirklich rund um die Uhr eingespannt und habe unzählige Interviews gegeben. Mitte der Woche konnte ich dann keinen Erkenntnisgewinn mehr dazu steuern und war wirklich erschöpft. Dann kam das so langsam.
Vogel: Schon die Reaktion des Teams macht es greifbar, alle waren geschockt, aber haben ihren Job weitergemacht. Nur um uns herum hat man zuerst gar nichts von der Trauer gesehen, die Party ging ja weiter. Erst später haben wir dann gemerkt, wie immer mehr Leute an den Handys hingen und abrupt stehen blieben. Dann ging so eine Art Schock durch die Menge und das Gelände hat sich mehr und mehr geleert.
Um Viertel nach acht warst Du, Catherine, dann vor mehr als sechs Millionen Menschen im ARD-Brennpunkt zu sehen. Vor dem Fernseher wusste man zu dem Zeitpunkt schon recht gut Bescheid, im Hintergrund lief noch laute Musik und die Leute haben gefeiert. Wie hast Du dich da gefühlt?
Vogel: Am falschen Ort für so eine Tragödie. Es blieb ein widersprüchliches Gefühl. Man dachte, man muss die Feiernden fast verteidigen und erklären, dass die noch nichts wissen. Das muss ja vor dem Fernseher genauso skurril gewirkt haben. Ich hatte zwischendurch richtig Wut im Bauch und hätte der Musik am liebsten den Stecker gezogen. Ich habe mir gewünscht, dass endlich leiser gemacht wird, damit die Menschen auch geordnet im Hellen nach Hause hätten gehen können.
Lesen Sie auf der nächsten Seite warum Mike Litt die „Notbremse“ ziehen musste und Catherine Vogel ihre privaten Fotos von dem Tag gelöscht hat.
Wie seid ihr vom Gelände gekommen?
Vogel: Wir sind mit dem Team noch lange dageblieben, haben lange geredet und uns gegenseitig getröstet. Es sind Reporter und Kameramänner wieder zum Team gekommen, die im Tunnel vor Ort waren, das war wie ein Schlag. Ich konnte an dem Abend nicht mehr Auto fahren, und bin froh, dass mich eine Kollegin in meinem Auto nach Hause gefahren hat.
„Ich konnte nicht fahren, ich war völlig fertig“
Mike, du solltest abends noch auf der 1LIVE-After-Show-Party auflegen. Fand die Party wie geplant statt?
Litt: Die Party sollte recht früh beginnen und die Türen waren auch offen, aber man hat die Feier sehr schnell ausklingen lassen. Mein DJ-Set kam so nicht mehr zu Stande, ich habe nur ein paar ganz, ganz ruhige Platten aufgelegt. Das war auch keine Party mehr und natürlich völlig surreal. Da ging es, glaube ich, nur darum, die ganze Stadt, die ja völlig überlastet und kollabiert war, ein bisschen zu entzerren. Die Erschütterung und Betroffenheit war am Ende des Tages auch bei allen Gästen präsent.
Was war das Erste was Ihr gemacht habt, als Ihr wieder zu Hause wart?
Vogel: Ich weiß noch als ich zu Hause war, hatte ich große Probleme einzuschlafen und habe einen Tee nach dem anderen getrunken. Ich habe einfach versucht das alles zu realisieren und hatte dieses Wummern der Bässe noch im Ohr, das hat mich auch am nächsten Morgen noch dran erinnert.
Habt ihr euch nach dem Tag Urlaub genommen oder wurdet ihr freigestellt?
Vogel: Ich hatte schon länger einen Urlaub geplant und bin am nächsten Tag auch mit meiner besten Freundin im Auto nach Frankreich. Ich konnte aber nicht fahren, ich war völlig fertig. Und das war auch kein schöner Urlaub. Man hing ja die ganze Zeit vor den deutschen Nachrichten. Es fühlt sich bis heute auch nicht richtig an, in den Urlaub gefahren zu sein.
„Ich habe im richtigen Moment die Notbremse gezogen“
Habt ihr euch besondere Hilfe geholt?
Litt: Unsere Wortchefin, Andrea Schafarczyk, hat allen Reportern psychologische Unterstützung angeboten, mir auch. Damals war ich aber nicht in der Lage zu erkennen, inwiefern das für Journalisten, die unter solchen Eindrücken stehen, gut ist. Ohne mir das wirklich einzugestehen, hab ich gemerkt, dass mir das Erlebte doch ziemlich an die Substanz geht. Und dann hab ich für mich im richtigen Moment die Notbremse gezogen und das Thema ruhen lassen. Das Bewusstsein für Traumata ist generell bei uns in der Gesellschaft noch nicht so richtig verbreitet, finde ich.
Vogel: Nein, meine Hilfe waren die Kollegen im Team, mit denen wir uns viel unterhalten haben. Ich hätte professionelle Hilfe annehmen können, einige Kollegen haben das auch gemacht.
Mit fünf Jahren Abstand: Wie habt ihr den Tag verarbeitet?
Vogel: Das ist etwas, woran man immer denken wird. Aber man kann meine Situation ja beim weiten nicht mit der der Hinterbliebenen oder Verletzten vergleichen. Für mich ist es wie eine kleine Nadel, die immer wieder mal im Hinterkopf piekt. Ich war privat auch seitdem bei keinem großen Konzert oder einem Festival mehr. Die Bilder, die ich auf meinem Handy von dem Tag hatte, habe ich auch irgendwann gelöscht. Ich wollte daran nicht mehr erinnert werden.
Litt: Es ist ein schwarzer Tag und wird ein schwarzer Tag bleiben. Es bleibt ein Tag, der wahrscheinlich so eine komplette Verarbeitung in meinem Bewusstsein nie erleben wird. Es gibt Bilder, die sich in den Kopf gebrannt haben. Ich kann mich noch genau erinnern, was ich an dem Tag an hatte. Es hat ein paar Jahre gebraucht, bis ich diese Jacke wieder anziehen konnte. Und ich bin auch nicht so betroffen, wie Angehörige oder Seelsorger. Der Tag ist für mich sehr stark mit der Einsicht verbunden, dass es ein großer Fehler war, die Love Parade überhaupt in das Ruhrgebiet zu holen.
Was verbindet ihr heute mit der Love Parade?
Litt: Ich hatte neulich Westbam in meiner Sendung. Der hat ein Buch geschrieben, in dem er die Geschichte der Technobewegung und die der alten Love Parade in Berlin erzählt. Da habe ich für mich die tolle Idee der Parade wieder entdeckt. Es war eine Botschaft an die Welt, mit der die Deutschen gezeigt haben, dass wir fröhlich feiern und ausgelassen sein können. Es gibt noch positive Erinnerungen an die Zeit in Berlin. Aber auf der Love Parade liegt seit Duisburg ein schwarzer Schatten. Das einzige was diese Tragödie bewirkt hat, sind die verbesserten Sicherheitskonzepte.
Vogel: Leider nur noch die Tragödie. Man wünscht sich manchmal, es wäre alles nur ein böser Traum, aber das ist es leider nicht.
Wie verbringt ihr den Jahrestag?
Vogel: Ich werde mir sicher die Berichterstattung anschauen. Ich finde auch die neue Gedenktafel, auf der in sieben Sprachen „Liebe hört niemals auf” steht, eine schöne Erinnerung. Seit dem Unglück war ich zweimal in Duisburg. Und demnächst werde ich sicher mit Kollegen noch einmal hinfahren.
Litt: Ich werde nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen. Ich nehme mir ein wenig Zeit, gehe in mich und denke dann zurück. Schön gedachte Dinge können, wenn man nicht richtig plant, so schnell aus dem Ruder laufen. Die Bestürzung darüber wird uns allen erhalten bleiben - und bei mir, weil ich so nah vor Ort war, auch nachhaltig im Kopf.