Traum vom FliegenDer Arzt der Astronauten
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Köln. Jochen Hinkelbein (44) erinnert sich noch gut, wann es war, als er zum ersten Mal von den Sternen träumte. „Ich war vier oder fünf Jahre alt und wollte mit einer Rakete oder einem Raumschiff zum Mond fliegen.“ Es waren die 1970er Jahre, im Fernsehen liefen Serien wie „Raumschiff Enterprise“, die erste europäische Trägerrakete Ariane 1 hob ab, die Weltraumsonden Voyager und Pioneer wurden ins All geschickt, die Raumstation Sky-Lab entstand. Hinkelbein war fasziniert – und blieb es.
Als er zehn Jahre alt war, baute Opa Erwin für den Jungen die Raumfähre Space Shuttle aus Holz nach. „Sie hatte Räder, Triebwerkauslässe und sogar eine Ladebucht wie das Original“, sagt der Professor, der seit 2017 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Luft und Raumfahrtmedizin ist. Das Space Shuttle aus Holz hat heute noch einen Ehrenplatz bei Hinkelbein zu Hause, der beruflich seinen Weg als Arzt machte.
Nach Studium und Promotion arbeitete der gebürtige Germersheimer (Rheinland-Pfalz) zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann als Oberarzt am Universitätsklinikum Mannheim, von 2001 bis 2009. Dann wechselte er an die Uniklinik Köln, wo er seitdem als Geschäftsführender Oberarzt und Notfallmediziner in der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin arbeitete. Als Buchautor hat er sich längst einen Namen gemacht. Bände wie „Notfallmedizin“ und „Fallbuch Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie“ gehören längst zu den Standardwerken in ihrem Bereich.
Trainer der ESA-Astronauten
Den Traum vom Fliegen hat Hinkelbein nie aufgegeben. Mit 16 – und mit Hilfe von Eltern und Großeltern – absolvierte Hinkelbein seine ersten Flüge in einer Piper PA 28, zu seinem 18. Geburtstag 1992 erwarb er die Privatpilotenlizenz. Im Studium in Heidelberg belegte er ein Wahlfach zur Flug- und Raumfahrtmedizin. Später erwarb er eine Lizenz als Berufspilot und Fluglehrer, 2008 bewarb er sich schließlich als Astronaut bei der European Space Agency (ESA) – und scheiterte unter 8.413 Bewerbern erst in der zweiten Runde. Weil hinter jedem Astronauten aber ein ganzes Team steckt, das ihn ins All begleitet, entschied sich Hinkelbein neben seinen Job an der Uniklinik auch mit der ESA zusammenzuarbeiten.
Heute trainiert er unter anderem die europäischen Astronauten bei der ESA, die zur Weltraumstation ISS fliegen. Im Rahmen des Trainings hat er auch Alexander Gerst kennengelernt, der nun zum zweiten Mal für sechs Monate auf der ISS tätig ist und dort zahlreiche Experimente durchführt. Forschung in der Schwerelosigkeit betreibt auch Hinkelbein. In Zusammenarbeit mit der European Society of Aerospace Medicine und der Universität Zürich untersucht er unter anderem Proteine in Zellen in der Schwerelosigkeit. Dafür hat er auch einige Parabelflüge absolviert, in der ebenfalls für kurze Zeit Schwerelosigkeit erreicht wird. Hinkelbein kann also nachempfinden, wie sich Gerst und seine fünf Kollegen an Bord der ISS fühlen. Die Astronauten verlieren an Muskel- und Knochenmassen während des Aufenthaltes im Orbit, 80 Prozent der Astronauten haben Probleme mit dem Gleichgewichtssinn. Es gibt Störungen im Herz-Kreislauf-System, einen erhöhten Druck auf das Gehirn und manchmal psychische Belastungen.
Lagerkoller im All also. Gestorben ist im Weltraum noch niemand, allerdings bei den Starts und Landungen. So kam es 1986 zu einer Explosion des US-amerikanischen Space Shuttles „Challenger“ kurz nach dem Start. Alle sieben Astronauten an Bord kamen ums Leben. Auch als das Space Shuttle Columbia 2003 bei der Rückkehr zur Erde verglühte, überlebte keines der sieben Besatzungsmitglieder.
Traum von der Mars-Mission
Die medizinischen Hilfsmittel sind in den vergangenen Jahrzehnten besser geworden: Als Alan Shepard 1961 zu einer Orbit-Mission aufbrach, hatte er lediglich ein paar Spritzen gegen Übelkeit und Amphetamine bei sich. Heute befinden sich auf der ISS insgesamt 31 Kilo medizinisches Gerät und 190 Medikamente, dazu ein Defibrator und eine Trage, die zu einem OP-Tisch umgebaut werden kann. Im Weltraum würde in Notfall auch Telemedizin zum Einsatz kommen: Während die Astronauten ihre Kollegen medizinisch versorgen, werden sie von Ärzten auf der Erde angeleitet.
Die Weltraummedizin müsse aber noch weitere Fortschritte machen, sagt Hinkelbein. Denn wie Gerst träumt er von einer bemannten Mission zum Mars. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich sie sofort wahrnehmen.“ Für einen Flug würden sie bis zu 900 Tage benötigen. Telemedizin würde dann – wegen der Zeitverzögerung von drei bis 20 Minuten – nicht zeitnah stattfinden können.
Hinkelbeins Sohn Tim (5) ist übrigens auch schon sehr fasziniert von der Welt der fliegenden Dinge: Mit seinem Vater hat er gerade das Technikmuseum in Speyer besucht.