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Gewalttätige Clan-ExzesseMassenschlägerei befeuert Sorge um Sicherheit

Lesezeit 4 Minuten
Innenminister_Jäger_04032016

NRW-Innenminister Ralf Jäger

Düsseldorf – Es ist kurz nach 22 Uhr am Dienstagabend, als Anwohner der Polizei eine Massenschlägerei vor einer Gaststätte in Erkrath-Hochdahl melden. Rund 150 Mitglieder einer libanesischen Großfamilie und etwa zwei Dutzend Unterstützer der Hells Angels, viele davon ebenfalls mit libanesischem Hintergrund, schlagen mit Fäusten und Besenstielen aufeinander ein.

Die Rocker verbarrikadieren sich schließlich in der Kneipe. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an. Mehr als 100 Beamte versuchen den Streit zu schlichten, ein Polizeihubschrauber beobachtete die Lage aus der Luft. Der Einsatz im südlichen Kreis Mettmann dauert bis in die frühen Morgenstunden. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen schwerer Körperverletzung und Verdacht auf Landfriedensbruch.

Probleme bereits seit längerer Zeit bekannt

Es ist nicht das erste Mal, dass es in dem Erkrather Stadtteil Konflikte zwischen den beiden Gruppierungen gab. Bereits im August prügelten die verfeindeten Clans mit Stangen und Knüppeln aufeinander ein. Auch damals waren mehr als 100 Polizisten nötig, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.

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Im August gaben die Beteiligten an, sich wegen eines Parkplatzes in die Haare bekommen zu sein. Die Polizei bezweifelt das. „Wir kennen den wahren Hintergrund nicht. Es ist jedenfalls kein Rockerkrieg. Wir gehen vielmehr davon aus, dass es sich um Streitigkeiten zwischen zwei Clans handelt, wobei einer Verbindungen ins Rockermilieu hat“, sagt Ulrich Löhe, Sprecher der Polizei Mettmann.

„No-go-Areas“ erneut in der Diskussion

Der Einsatz in Hochdahl dürfte vor allem die laufende Debatte um „No-go-Areas“ noch einmal anheizen. „Es gibt in NRW Stadtteile, in denen Familienclans die Herrschaft über die Straße übernommen haben und sich Menschen nach Sonnenuntergang nicht mehr aus dem Haus trauen“, sagt der CDU-Innenexperte Gregor Golland. Der Unionspolitiker hatte nach einer schweren Eskalation in der Dortmunder Nordstadt vor rund zwei Wochen die Diskussion über die Existenz von rechtsfreien Räumen erneut angestoßen. „Wir müssen aufpassen, dass diese Bezirke nicht vollends abrutschen.“

Angriffe auf Polizisten

In der Vergangenheit wurde immer wieder hitzig über solche Zonen diskutiert, die sich in den NRW-Metropolen über Jahre hinweg entwickelt haben sollen: Duisburg, Gelsenkirchen, Essen, Köln, Dortmund, Aachen, Bochum. Überall soll es Viertel geben, in denen Banden und Clans die Kontrolle übernommen haben. Beispiele dafür gibt es reichlich.

Im Duisburger Stadtteil Marxloh etwa wurde vergangenen Sommer eine Polizistin bei einer gewöhnlichen Unfallaufnahme zusammengeschlagen. Ihr Kollege konnte die aufgebrachte Menschenmenge – Mitglieder einer libanesischen Großfamilie – nur mit gezogener Waffe unter Kontrolle halten.

Auch in anderen Städten im Ruhrpott hat die Gewalt gegen Polizisten in den vergangenen Jahren um bis zu 50 Prozent zugenommen. In Mülheim kam es allein im September gleich zu mehreren schweren Vorfällen: In der Altstadt wurde ein Beamter während einer Unfallaufnahme von einem Fenster aus mit einer Softairpistole angeschossen und verletzt. Auch die Einsätze auf zwei Partys wenige Tage später gerieten außer Kontrolle. Die Gäste schlugen mit Schlagstöcken und Fäusten auf die Beamten ein.

Clan-Mitglieder drohen

In Gelsenkirchen suchte die Polizei nach etlichen Gewaltexzessen den Dialog mit den Daueraggressoren. Ende 2015 traf sich der Chef der Polizeiwache Süd mit den Anführern libanesischer Clans. Die Männer machten schnell klar, dass sie nicht gekommen waren, um über ein friedliches Miteinander zu verhandeln.

Die Polizei werde „einen Krieg mit den Libanesen nicht gewinnen, weil wir zu viele sind“, sollen die drei Mitglieder der „Familien-Union“ laut einem internen Polizeibericht gesagt haben. Als der Polizeichef entgegnete, mehr Beamten in den Problembezirk zu schicken, zeigten sich die Männer offenbar unbeeindruckt. „Das Land hat eh kein Geld, so viele Polizisten einzusetzen, um die Konfrontation mit den Libanesen zu suchen.“

Innenministerium wiegelt ab

Das Innenministerium will von der Existenz von No-go-Areas dagegen nichts wissen. „In Nordrhein-Westfalen gibt es keine rechtsfreien Räume. Die Streifenwagen der NRW-Polizei fahren in jede Straße jedes Stadtteils“, sagt Innenminister Ralf Jäger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wo einzelne Gruppen die Gebietsherrschaft für ganze Straßenzüge beanspruchen, setzen wir das staatliche Gewaltmonopol durch. Auch mit Einsatzhundertschaften. Wir halten diese erhöhte Präsenz so lange wie nötig aufrecht.“

15-Punkte-Programm

Innenexperte Golland hält solche Aussagen für Augenwischerei. „Leute, die die Probleme ansprechen, werden als Nestbeschmutzer beschimpft.“ Ähnlich sieht das der FDP-Innenexperte Marc Lürbke: „Der Einsatz in bestimmten Bezirken ist für die Beamten inzwischen mit einem erheblichen Risiko verbunden.“ Der zu Jahresbeginn vorgestellte 15-Punkte-Plan, mit dem der Minister die Sicherheit in NRW verbessern will, sei „eine reine Luftnummer“. Kaum etwas davon sei bislang wirklich umgesetzt worden, so Lürbke.

Tatsächlich bleibt die Personalsituation bei der Polizei in NRW angespannt. Um etwa auf die explodierenden Zahlen im Bereich der Taschendiebstähle in Köln zu reagieren, habe das Innenministerium „im ländlichen Raum ausdünnen müssen“, sagt Abteilungsleiter Wolfgang Düren aus dem Ministerium. Das Ergebnis: Auf dem Land könne jetzt nur noch „ein Mindestschutz der Bevölkerung“ gewährleistet werden.

Auch die Gewerkschaft der Polizei in NRW (GdP) betrachtet die Entwicklung mit Sorge. „Die Zustände in den Problembezirken haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlimmert“, sagt Volker Husz, Vorstandsmitglied der GdP. „Beamte werden bei der Verkehrsunfallaufnahme beleidigt und bedroht, Rettungskräfte attackiert. So etwas können wir nicht durchgehen lassen.“