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Meister der „Gesichtskirmes“Gebärdensprachdolmetscher Jan Wolf im Karnevalseinsatz

Lesezeit 5 Minuten

Rampensau und staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher: Jan Wolf.

Bad Münstereifel-Iversheim – Jan Wolf gilt als waschechte Rampensau. Wenn er auf der Bühne steht, mit Haut und Haaren in unterschiedlichste Rollen schlüpft und ein ganzes Arsenal an mimischen und gestischen Ausdrucksmitteln aufbietet, ist er voll in seinem Element. Als Schauspieler hätte der 36-Jährige mit der hippen Frisur sicherlich auch eine Karriere vor sich gehabt. Tatsächlich aber ist Jan Wolf staatlicher geprüfter Gebärdensprachdolmetscher.

„Überall da, wo gesprochen wird, kommen wir Gebärdensprachdolmetscher zum Einsatz“, erzählt er. In Betriebsversammlungen, bei Behördengängen, in Vorlesungsveranstaltungen an der Uni oder bei Gerichtsverhandlungen. Leidenschaftlich gerne übersetzt Jan Wolf Kulturveranstaltungen für Hörbehinderte: Stand-up-Comedy, Kabarett, Poetry Slams und zurzeit auch Karnevalssitzungen – für die meisten Kollegen des Iversheimers eher ein Graus, weil man sich kaum oder gar nicht auf die Termine vorbereiten kann. Jan Wolf sieht’s sportlich: „So was ist im Vergleich zum normalen Arbeitsalltag zwar sehr anstrengend, macht aber auch riesig Spaß!“

Kürzer und treffender als die Lautsprache

Mittlerweile wird er nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Hessen und Rheinland-Pfalz für Kultur-Events aller Art angefragt. In Euskirchen ist der Gebärdensprachdolmetscher seit vielen Jahren bei der Kulturnacht im Einsatz, wo er mit Claudia Dubbelfeld das Geschehen auf den Bühnen simultan übersetzt – gerne auch Lieder. Für Zuschauer ist das oft eine kleine Show neben der Show. „Was es aber nicht sein soll, denn als Dolmetscher ist man nur das Sprachrohr, der Vermittler. Alles, was an mein Ohr dringt, kommt in Gebärden wieder aus mir heraus.“ Für jemanden, der die Deutsche Gebärdensprache (DGS) nicht beherrsche, sehe das schnell aus wie „Gesichtskirmes“, so der 36-Jährige. Aber zu einer gekonnten Übersetzung gehören eben neben den entsprechenden Gesten auch eine ausgeprägte Mimik und Körpersprache.

„Die Gebärdensprache ist oft viel kürzer und treffender als die Lautsprache, vor allem in emotionalen Dingen“, schwärmt Wolf. Er selber habe seine Faszination für die visuelle Sprache während seines Zivildienstes im ehemaligen Euskirchener Gehörlosenheim entdeckt. „Eine gehörlose Kollegin hat mir viel beigebracht. Zum Ende hin konnte ich etwa 500 Vokabeln und dachte, ich könne die Sprache.“ Eine Illusion, die jäh zerplatzte, als er die Kollegin einmal im ebenfalls gehörlosen Freundeskreis erlebte und kein Wort mehr verstand. „Das hat mich zum Weiterlernen motiviert“, erzählt er.

Als sich dann das erste Kind ankündigte, wurde Jan Wolf bewusst, dass er mit seinem mehr oder weniger ernsthaft betriebenen Studium der Ägyptologie, der Ur- und Frühgeschichte und der klassischen Archäologie keine Familie würde ernähren können. So absolvierte er die anspruchsvolle Dolmetscherausbildung, bei der die Messlatte mit einer Durchfallquote von 50 bis 80 Prozent sehr hoch liegt.

Seit 2008 ist Jan Wolf nun offiziell als staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher im Dienst. Zum ersten Kind gesellten sich seither drei weitere, die den 36-Jährigen auch außerhalb der Arbeitszeit auf Trab halten. Lieblingseinsätze sind für ihn Theaterveranstaltungen, vor allem die im Jungen Theater Bonn, wo jedes Kinder- und Jugendstück im Programm an zwei Veranstaltungsterminen in Gebärdensprache übersetzt wird.

Das größte Publikum, vor dem Jan Wolf je stand? „Das war beim Sommerfest des Bundespräsidenten Christian Wulff mit 35 000 Gästen.“ Jan Wolf war gebucht, um die politischen Talkrunden zu dolmetschen. Doch dann lockte die musikalische Performance einer jungen Frau am Piano. „Naja, ich dachte, Lieder übersetzen, das kann ich ja so schön, und habe spontan am Bühnenrand losgelegt, womit ich viel Aufmerksamkeit auf mich zog. Leider setzten dann Bass und Drums ein, und ich habe den Text nicht mehr verstanden“, lacht Wolf, der dieses Erlebnis unter „peinlichste Momente“ verbucht. Nicht minder unangenehm sei ein Auftrag gewesen, bei dem er kölsche Liebeslieder simultan übersetzen sollte. „Leider habe ich nur jedes dritte Wort verstanden“, so Wolf. Eine Kollegin, gestandene Rheinländerin und in der Mundart sicher, konnte aushelfen.

Schön, dass Jan Wolf so herzlich über sich selber lachen kann. Bei einer Wahlkampfveranstaltung für Jürgen Trittin mit dreifachem Überschlag von der Bühne zu fallen oder bei einer Mathevorlesung an der Uni inhaltlich nur noch Bahnhof zu verstehen – Dolmetscherpech. Die Arbeit an sich ist eine, die hohe Konzentration erfordert. „Man hat keine Zeit zum Denken, man reagiert vielmehr“, erklärt Wolf. Das Gehörte muss kurz abgespeichert werden, was „ein wunderbares Gedächtnistraining“ sei, gleichzeitig das Hirn aber auch schnell ermüde. „Deshalb ist man bestenfalls zu zweit, um sich alle zehn oder 15 Minuten abwechseln zu können.“

Manchmal aber gibt es Gelegenheiten, wo einfach keine Zeit bleibt, einen zweiten Dolmetscher zu suchen: „Ich bekam einmal abends einen Anruf aus dem Krankenhaus. Man bräuchte dringend Hilfe: Eine gehörlose Frau liege in den Wehen, und niemand könne mit ihr kommunizieren.“ Also machte er sich auf in den Kreißsaal, um zwischen der werdenden Mutter und der Hebamme zu dolmetschen. „Um 4 Uhr morgens kam das Baby schließlich zur Welt.“ Die Einsätze an Karneval, bei denen der 36-Jährige das Übersetzungspensum ebenfalls oft allein stemmen muss, machen sich dagegen doch wie ein Klacks aus.

Viel zu wenig Gebärdensprachdolmetscher

Laut dem Deutschen Gehörlosenbund gibt es deutschlandweit etwa 80 000 gehörlose Menschen. Ihre Sprache ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS), eine vollwertige, seit 2002 gesetzlich anerkannte Sprache mit eigenständiger Grammatik.

Die Gebärdensprache besteht aus einer Kombination von Gestik, Mimik, lautlos gesprochenen Wörtern und Körperhaltung. Wie bei einer normalen Lautsprache auch gibt es viele verschiedene, länderspezifische Arten dieser visuellen Kommunikation. Und es gibt sogar Dialekte.

Gehörlose Menschen sind aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen, weil es keine gemeinsame Sprache von Hörenden und Gehörlosen gibt. Ein Arztbesuch, der Besuch des Einwohnermeldeamtes, ein Elternabend in der Schule, Teilnahme an Fortbildungen oder Kulturveranstaltungen oder ein Termin in einer Beratungsstelle – ohne die Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers sind Gehörlose und Hörende, die miteinander kommunizieren wollen, oftmals aufgeschmissen.

Noch gibt es viel zu wenig Gebärdensprachdolmetscher in Deutschland. Das führt dazu, dass Gehörlose ihren Bedarf an Übersetzungshilfe oft schon Wochen im Voraus ankündigen müssen, was natürlich im Alltag nicht immer funktioniert. Immerhin bieten mittlerweile etliche Fachhochschulen und Universitäten einen Studiengang „Gebärdensprachdolmetscher“ an, der die Aufnahme in den Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscher/-innen Deutschlands ermöglicht.