Wanderung für das HandwerkGoldschmiedin auf der Walz in Bad Münstereifel
Bad Münstereifel – Dort, wo es früher die Stadtmauer zu überwinden galt, ist es heute der Sprung über das Ortsschild. Genauso symbolträchtig und auch nicht zwangsläufig einfacher ist dieser Schritt für die Handwerksgesellen, die ihn machen.
Linda Müller aus Schleswig bei Flensburg hat ihn gewagt. Die 33-Jährige ist Goldschmiedin auf der Walz. Momentan arbeitet sie zwei Tage in der Woche in der Werkstatt von Goldschmiedemeisterin Ursula Palm-Zumbé gegenüber vom roten Rathaus in Bad Münstereifel.
Nachnamen auf der Walz abgelegt
„Eigentlich heiße ich gerade nur Linda. Den Nachnamen legt man während dieser Zeit ab“, erklärt die Gesellin . Wenn man sie bezeichnen möchte, könne man sagen „Linda, die Fremde Freie Goldschmiedin“. Mit dem Erklimmen des knallgelben Schildes begann für die junge Frau vor mehr als zwei Jahren eine aufregende Zeit.
Auf der ortszugewandten Seite halfen ihr Familie und Freunde beim Hinaufsteigen , erinnert sie sich. Auf der anderen Seite warteten andere Gesellen aus verschiedenen Gewerken, um sie aufzufangen. „Man muss sich fallen lassen. Das ist der erste Vertrauensbeweis“, erklärt die gebürtige Neuruppinerin.
Und Vertrauen brauche man, überlegt sie. Angst, dass etwas nicht klappen könne auf der Reise ins Unbekannte, habe sie aber nie gehabt. Noch lange, bevor sie diese antreten konnte, wartete auf die Gesellin jedoch noch eine ganz entscheidende Hürde.
Mentor für die Wanderung gesucht
Denn wer auf die Walz gehen will, für drei Jahre und einen Tag – so schreiben es die althergebrachten Regeln vor –, der muss zunächst einen Alt-Gesellen finden, der sich bereiterklärt den künftigen Wanderburschen mitzunehmen. Drei Monate lang sei man während einer Art Probezeit auf diese Weise zusammen unterwegs, weiß Linda zu berichten. Tag und Nacht, 24 Stunden. „Das ist schon fast so, als wäre man mit einem Ehepartner unterwegs. Da muss die Chemie stimmen“, sagt die Gesellin und lacht.
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Aber die Goldschmiedin hatte Glück. Auf einem Bautreffen fand sie Timo, ihren Alt-Gesellen. So steht es auch in ihrem Wanderbuch. Das blaue, ledergebundene Buch mit dem Handwerkszeichen der Gold- und Silberschmiede auf dem Deckel sei ihr Heiligtum, erläutert die 33-Jährige.
Darin finden sich Fotos, Notizen und Erinnerungen. Neben unzähligen Stempeln von ihren Stationen – von Dänemark über mehrere Orte in der gesamten Bundesrepublik bis in die Schweiz – findet sich auch der Abdruck aus Bad Münstereifel darin.
Rituale und Handwerksgrüße
Den bekam die junge Frau, als sie Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian den „Schnack“ überbrachte. Dabei handele es sich um Handwerksgrüße, die unter den Gesellen nur mündlich weitergegeben werden, da man mit dem Spruch auch etwa in Restaurants vorsprechen könne, um etwas zu essen zu bekommen. Linda: „Wenn man Glück hat, bekommt man manchmal etwas Wegegeld.“
500 bis 800 Wandergesellen unterwegs
Eine genaue Zahl der Wanderburschen in Deutschland kann man nicht nennen, man kann sie allenfalls schätzen, da nicht alle Gesellen einem sogenannten Schacht angeschlossen seien, sagt Linda Müller. Wie sie seien viele als Fremde Freie auf Wanderschaft.
10 bis 15 Prozent der Gesellen auf der Walz seien Frauen. „Tendenz steigend“, meint die Goldschmiedin. Mit der sparsamen Ausstattung aus Kluft, Stenz (Wanderstab) sowie dem Charlottenburger (Bündel mit Ersatzkleidung und ähnlichem) käme sie gut zurecht.
Neben dem Gebot, exakt drei Jahre und einen Tag unterwegs sein zu müssen, gebe es noch weitere Regeln zu beachten: So darf man auf der Walz nicht in den eigenen Heimatort zurückkehren. Um ihn herum wird ein Bannkreis von 50 Kilometern gezogen.
Ebenfalls verboten sind Handys. Eine Fotokamera darf aber mitgeführt werden.
Die einzelnen Wegstrecken sollen die Wandergesellen idealerweise ohne Bezahlung bewältigen, also entweder zu Fuß oder per Anhalter. (hab)
Mit diesem kleinen Obolus könne man dann ein Brötchen und einen Kaffee besorgen und habe somit wieder eine Mahlzeit gesichert. Überhaupt habe sie unzählige positive Erfahrungen auf ihrer Walz gemacht, freut sich die 33-Jährige: „Man lernt so viele liebe Menschen kennen, die man ins Herz schließt, Familien, die einen aufnehmen und mit denen man Freundschaft schließt.“ Aber natürlich gebe es auch Dinge, die sie auf der Wanderschaft vermisse, erzählt sie. Zum Beispiel: Immer eine Dusche in der Nähe zu haben. Oder die eigenen vier Wände, in die man sich auch mal allein zurückziehen kann.
Dennoch hätten ihr die Monate auf der Walz ein Gefühl der Freiheit gegeben. Frei zu sein etwa von der Abhängigkeit vom Handy. Stattdessen trägt sie, wie alle Wanderburschen, eine Taschenuhr bei sich. „Ganz old school“, meint Linda schmunzelnd.
Eine ganz wichtige Erkenntnis habe sie bereits jetzt schon gewonnen, resümiert sie: „Zuhause ist kein Ort. Zuhause ist da, wo Menschen sind, bei denen man sich geborgen fühlt.“