EM-FinaleWie „Horrorfilm“ – Anspannung bei Engländern und Italienern in Euskirchen
Kreis Euskirchen – Am Sonntag könnte England zum ersten Mal die Europameisterschaft gewinnen. Und auch für Finalgegner Italien ist der bislang letzte EM-Titel aus dem Jahr 1968 schon eine halbe Ewigkeit her. Wir haben vor dem Finale mit den Fans beider Lager gesprochen, die im Kreis Euskirchen leben oder arbeiten.
Wie wird geguckt?
Klar, dass das Finale am Sonntagabend um 21 Uhr niemand verpassen will. Mark Britton, halb Deutscher, halb Engländer, kam mit 30 Jahren als Comedian nach Deutschland. Er wird das Finale mit seinem Sohn in Kroatien schauen. „Nachdem wir Kroatien im ersten Spiel besiegt haben, erwarten wir dort keinen großen Empfang“, erzählt Britton, der als Englischlehrer in Zülpich arbeitet. Da er „nie im Leben“ damit gerechnet hätte, dass England ins Finale einzieht, fällt der Urlaub nun sehr zu Ungunsten seines 17-jährigen Sohnes auf das EM-Endspiel. Auch Britton hätte das Finale gerne – wie alle anderen Spiele – mit Freunden im Irish Pub in Köln geschaut, wo die Familie lebt. „Wir haben da feste Rituale. Wir sind abergläubig. Jeder musste immer zur selben Zeit kommen, auf demselben Platz sitzen und zur selben Zeit auf Toilette gehen“, erzählt er. Zu essen gab es immer „Chicken Pie“. „In Kroatien bekommen wir wahrscheinlich zwei Limos und Chips“, hofft er.
Giulio Manganiello aus Dahlem wird das Spiel mit der Familie seiner Freundin schauen. Ganz bewusst nicht mit seiner italienischen Familie, denn: „Das halte ich emotional nicht aus. Wir Italiener sind ja wesentlich cholerischer als andere Fans. Beim Finale will ich, dass mir keiner dazwischenquatscht“, gesteht der 27-Jährige. „Bei uns ist das so: Der Fernseher steht auf 20 und man hört dennoch nichts“, fügt sein Bruder Raffaele hinzu.
Was wird getippt?
Eine schwierige Frage, bei der sich nicht alle Fans festlegen wollen. Klar, dass die eigene Mannschaft gewinnt. Aber wie? Britton und Landsfrau Jane Dean aus Gemünd gehen von einer Verlängerung aus. „Ich hoffe aber nicht, dass es zum Elfmeterschießen kommt“, erzählt die 78-Jährige. Seitdem ihr Vater als Amateur bei Arsenal London gespielt hat, ist sie großer Fußballfan. Aber Elfmeterschießen? Das sei sowohl für die Spieler als auch für die Zuschauer zu anstrengend.
Dean kam vor 16 Jahren aus Mittelengland nach Deutschland, um den Ruhestand mit ihrem Mann Arthur im Lieblingsurlaubsort Gemünd zu verbringen. „Das war eine sehr gute Herausforderung im Ruhestand“, so Dean. Das Finale werde sie zu Hause wie einen Horrorfilm anschauen – mit einem offenen und einem geschlossenen Auge.
Giulio Manganiello, sein Bruder Raffaele und ihr Kumpel Ramon La Mendola aus Nettersheim legen sich da mehr fest. Sie tippen auf 2:1, 2:0 und 3:1 – natürlich für Italien.
Wie wird gefeiert?
„Wenn wir gewinnen, wird vor dem Schlafengehen noch gefeiert und getrunken – aber ohne Autokorso“, erklärt Giulio Manganiello: „Wenn wir verlieren, wird direkt gepennt.“ Für ihn darf es auch ein Kölsch sein, für seinen Bruder und seinen Kumpel kommt nur italienisches Bier und Wein ins Glas. Dies ist zumindest bei Raffaele Manganiello kein Wunder: Der Nachwuchssommelier des Jahres 2019 aus Mechernich arbeitet in Zülpich als Weinhändler. Dort hat er mit einem Kollegen auch um Italien als Sieger gewettet. Wetteinsatz: Ein Wein für zehn Euro.
Das Ehepaar Dean will bei einem Sieg mit einem Cognac anstoßen. „Und wir werden aus dem Fenster jubeln, das müssen unsere Nachbarn aushalten“, fügt Dean hinzu. Britton glaubt, dass am Tag danach auf jeden Fall einige Finger wehtun werden – die, mit denen er nach dem Sieg fleißig mit Freunden und Familie chatten will.
Was macht die Teams aus?
Giulio Manganiello ist sicher, dass die Italiener bislang die bessere fußballerische Leistung im Turnier gezeigt haben und die Engländer trotz deren Potenzials und des Heimvorteils in Wembley besiegen werden. „Aber in der Abwehr sind die Engländer sehr gut, das wird eine Herausforderung“, sagt er.
Ramon La Mendola glaubt, dass die Italiener beim Finale noch ein bisschen motivierter antreten, da auch ihr verletzter Teamkollege Leonardo Spinazzola fürs Finale nach England kommen soll. Dieser hatte sich beim Spiel gegen Belgien die Achillessehne gerissen.
Keine Fähnchen
Die Euskirchenerin Stella Blohm (28) studiert in Nord-Italien – genauer gesagt in Padua. „Die Stimmung ist ganz gut hier“, erzählt sie. Das Finale werde sie sich trotz der Masterarbeit, an der sie sitzt, auf jeden Fall anschauen – und im Falle eines italienischen Erfolges auch mit den Tifosi feiern.
„Ich bin gespannt, wer das Rennen macht. Ich habe die Sorge, dass das aus italienischer Sicht nichts wird“, sagt die Juristin. Gefühlt sei es ein kleines Sommermärchen in Padua und auch im Rest des Landes. Grün-weiß-rote Fähnchen an den Autos suche man jedoch vergebens. (tom)
Fußball bedeute für die Engländer vor allem Zusammenhalt, so Britton. „Fußball ist wie unser Klebstoff, der das gespaltene Land zusammenhält. In einer Zeit, wo wir uns für unser Land schämen, zeigt der Fußball die schönste Seite von uns“, findet der 62-Jährige. Obwohl er sich sonst mit allem in Deutschland identifizieren könne, schlage sein Herz eindeutig für den englischen Fußball.
Zum ersten Mal bestehe die Mannschaft nicht aus einer Ansammlung von Stars, sondern aus einem echten Team, das nach einem System spiele. „Nach dem Sieg gegen Dänemark wusste ich gar nicht, wie ich mich fühlen sollte. Für uns ist dieses Finale nach vielen Enttäuschungen etwas ganz Besonderes. Das können viele Deutsche gar nicht nachvollziehen.“