Altes ProtokollHexenprozesse in Flamersheim – auf den Spuren einer dunklen Zeit
Flamersheim – Das Gebäude hat eine bewegte Geschichte hinter sich – im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn das ehemalige Flamersheimer Dinghaus stand nicht immer gut versteckt hinter einem moderneren Einfamilienhaus an der Horchheimer Straße.
„Bei der Umgestaltung des Marktplatzes ist das Fachwerkhaus aus dem späten 17. Jahrhundert transloziert worden“, erläutert Dr. Claudia Kauertz vom LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum einer Studentengruppe der Universität Duisburg-Essen.
In dem Dinghaus, in dem seit einigen Jahrzehnten Ernst Ueckert lebt, wurden einst Hexenprozesse geführt.
Während sich im oberen Bereich des Gebäudes ein großer Gerichtssaal befand, gab es ebenerdig mindestens ein Gefängnis für die Frauen, die unter dem Verdacht standen, mit dem Teufel ein Bündnis eingegangen zu sein.
Vor einigen Jahren tauchten die Protokolle zu den Hexenprozessen in den USA wieder auf .
Das Protokoll gilt als einzige Quelle zu den Prozessen in der historischen Herrschaft Tomburg der Jahre 1629/30, in deren Verlauf fünf Frauen wegen Hexerei in Flamersheim vor Gericht standen. „Vier von ihnen wurden schließlich als Hexen hingerichtet“, weiß Gabriele Rünger, Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs.
Die Protokolle fanden seit ihrer Entdeckung auch überregional Beachtung. Die Geschichtsstudenten befassen sich im laufenden Semester in einem Seminar von Dr. Erika Münster-Schröer und Prof. Ralf-Peter Fuchs mit den Geschehnissen im 17. Jahrhundert. Im Rahmen der Exkursion erleben die Studierenden die drei Hauptorte der Flamersheimer Hexengeschichte hautnah: die Burg, den Urteilsstein auf dem Marktplatz und das historische Dinghaus.
Wie Kauertz den Studenten berichtet, hat es im 16. Jahrhundert im Rheinland eine Rechtsreform gegeben. Es habe in der Folgezeit keine öffentlichen Verhandlungen mehr gegeben, sondern nur noch solche, die in Versammlungsräumen stattfanden – also im Dinghaus. Erst nachdem das Urteil gefällt worden war, sei man nach draußen gegangen, um es am Urteilsstein zu verkünden. „Sonst wäre es nicht rechtskräftig gewesen“, erklärt die Geschichtsexpertin auf dem Marktplatz. Anschließend geht es für die Exkursionsteilnehmer nur wenige Meter weiter in die Horchheimer Straße. Hier steht noch heute das alte Dinghaus. „Es ist eins der ältesten erhaltenen seiner Art im gesamten Rheinland“, so Kauertz. Das Fachwerkhaus sei mehrere hundert Jahre alt.
Seit etwa 50 Jahren lebt der Flamersheimer Rentner Ernst Ueckert in dem historischen Gebäude. „Ich habe trotz der wilden Geschichte noch keine Alpträume gehabt“, versichert er den Besuchern. Er habe von Beginn an gewusst, in was für ein Gebäude er einziehe. „Ich habe es gehegt und gepflegt“, sagt er. Und modifiziert. Ueckert: „Es war ein großer Saal. Ich habe eine Küche eingebaut und Trennwände eingezogen“, berichtet der 83-Jährige den Studenten.
Die sind von dem Haus mit seinem gelb-roten Fachwerk begeistert. „So schön habe ich mir das alles nicht vorgestellt“, sagt Studentin Verena Kaul. Sie könne sich gut vorstellen, wie viel Arbeit und Pflege das historische Gebäude brauche.
Sein Eigentümer Ernst Ueckert will das Anwesen nun allerdings verkaufen. Die beiden Häuser samt Innenhof und Scheune sollen 120 000 Euro kosten. „Die Geschichte ist inklusive“, sagt der Rentner.
Und ein unheimlicher Zufall auch: 666 Quadratmeter sei das Grundstück insgesamt groß. Die 666 wird auch als die Zahl des Antichristen bezeichnet. Irgendwie passend, wenn es sich um ein Haus handelt, in dem Hexenprozesse geführt wurden.
Flamersheimer Hexenprotokoll an der Cornell University
Von Verhör und Folter zeugt das Flamersheimer Hexenprotokoll aus dem Jahr 1629, das sich heute in der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York befindet. Als die Universität 1865 gegründet wurde, war in Deutschland gerade erst ein Aufsatz über dieses Protokoll erschienen. Seitdem galt es aber hierzulande als verschollen. In den Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein veröffentlichte Gottfried Eckertz 1861 seine Transkription, und sämtliche Hexen-Forscher hatten keine andere Quelle als diesen gedruckten Text. Eckertz hatte das Original damals von seinem Vetter, dem Kirchheimer Pfarrer Everhard Decker erhalten. Der hatte den Text bei einem seiner Religionsschüler sichergestellt.
Der hatte ein Buch, das in ein seltsam beschriebenes Papier eingeschlagen war. „Das stammt von einem Buch auf unserem Dachboden. Dort reißen wir immer eine Seite raus, wenn wir Papier brauchen“, erfuhr der Geistliche von dem Jungen.
Das erklärt, warum am Anfang zwölf Seiten fehlen und auch im Mittelteil sowie am Ende Lücken klaffen.
Eckertz’ Erben verkauften den gesamten Bestand an Literatur an Kölner Archivare. So gelangte der Hexenforscher George Lincoln Burr (1857-1938) in den Besitz des Buches, ohne es jedoch weiter zu erforschen und zu publizieren. (tom)