Projekt mit Baker BarakatEuskirchener bietet Boxtraining für geflüchtete Kinder an
Euskirchen – Etwa 30 Kinder rennen im Kreis durch die Boxhalle, die mit schwarz-roten Schaumstoffplatten ausgelegt ist. Während einige der Acht- bis Zwölfjährigen bereits schwer atmen, haben andere noch Kraft, um sich gegenseitig anzuspringen. „Ihr sollt laufen!“, mahnt Baker Barakat, Boxtrainer und Inhaber des Studios „Energy Gym“. Wer nicht spurt, bekommt einen kleinen Klaps mit dem Sparring-Handschuh. Die Kinder lachen.
Barakat floh 1989 selbst nach Deutschland
Seit 2001 gibt es das Boxstudio, anfangs haben die Mitglieder eine alte Videothek zum Trainieren genutzt. „Seit 18, 19 Jahren bin ich jetzt hier in diesem Gebäude“, erinnert sich Barakat. 1989 sei er nach Deutschland gekommen, heute trainiert er selbst geflüchtete Kinder. Etwa ein Jahr, nachdem seine Familie sich in Deutschland niedergelassen habe, habe sein Vater ihn und seine Brüder beim Boxen angemeldet: „Weil unser Schulweg so lang war, wollte er, dass wir uns selbst verteidigen können.“
Die Liebe zum Sport ist Barakat bis heute geblieben. Schon bald habe er erste Trainingsstunden abgehalten, das erste Studio habe er mit seinem Bruder am Ebertplatz in Köln geleitet. „Das war eine Jugendherberge.
Einmal die Woche haben wir trainiert. Dafür mussten wir die ganzen Tischtennisplatten und zwei oder drei Kicker vor dem Training abbauen. Und nach dem Training haben wir dann wieder alles aufgebaut“, erzählt er. Die Betreiber der Jugendherberge habe das gefreut: „Einen Tag weniger, an dem die Geld für die Putzkraft ausgeben mussten.“
„Kindern ein gesundes Verhältnis zum Sport mitgeben“
Kinder zu trainieren sei ihm wichtig: „Ich möchte den Kindern ein gesundes Verhältnis zum Sport mitgeben.“ Schon zuvor hätten viele Kinder mit Migrationsgeschichte bei ihm trainiert, durch den Krieg sind einige Schüler aus der Ukraine dazugestoßen. So auch der zwölfjährige David und sein neunjähriger Bruder Yegor. Bis auf ein paar Sätze sprechen die beiden noch kein Deutsch. Das sei aber kein Problem, wenn es um den Sport geht, sagt Barakat: „Anfangs waren sie sehr zurückhaltend uns gegenüber. Aber mittlerweile fühlen sie sich hier wohl.“
Lisa, die 17-jährige Schwester der beiden ukrainischen Jungs, übersetzt für ihre Brüder und es wird klar: Sie haben trotz fehlender Deutschkenntnisse Spaß. „Sie sagen immer wieder, dass sie das Training lieben“, dolmetscht Lisa. Den Verein haben sie im Internet gefunden. „David hat in der Ukraine Judo gemacht“, erzählt die Schwester. In Deutschland habe er weiter Kampfsport betreiben wollen.
Hohe Konzentration beim Training
Beim Training ist der Zwölfjährige konzentriert, nur mit seinen Verwandten spricht er ab und zu. Doch er und die anderen Kinder wissen auch so, worum es bei den Übungen geht. Einen großen Teil des Kindertrainings machen Fitness-Übungen aus. Nach Sit-ups, Hampelmännern und einer kurzen Getränkepause werden die Boxhandschuhe angelegt.
Viele der Eltern warten vor dem Trainingsbereich bereits auf ihre Kinder und bandagieren die Hände, bevor sie ihnen die Handschuhe überstülpen. Dann geht es endlich ans Sparring. Die Kinder suchen sich Partner. Barakat zieht einen Jungen aus der Gruppe, führt mit ihm die nächste Übung vor.
Kursangebote
Neben dem Kinderboxen für Teilnehmer und Teilnehmerinnen zwischen vier und zehn Jahren bietet das „Energy Gym“ auch diverse weitere Kurse an, etwa Kickboxen für Jugendliche zwischen elf und 18 Jahren und auch für Erwachsene. Auch einen Boxkurs nur für Frauen gibt es, daneben weitere Angebote im Bereich Mixed Martial Arts, Brasilian Jiujitsu oder auch Pilates. (enp)
Ab und an artet das Sparring mal in einem Konflikt aus, an diesem Tag etwa bei den Geschwistern Zeynep und Hamza. „Er haut immer so feste“, beschwert sich Zeynep bei Barakat. Eine kurze Mahnung an ihren Bruder, dann flüstert Barakat Zeynep zu: „Wehr dich! Fester!“
Zum Abschluss wird gerangelt und gerungen
Am Ende folgt für viele Kinder der Höhepunkt des Trainings: das Rangeln oder Ringen. In der Schule dürfe man das meistens nicht, erklärt der achtjährige Silas. Aber hier könne man sich ohne Ärger mit Freunden rangeln. „Am besten ist: Alle auf den Trainer!“, zeigt sich Silas begeistert. Das bedeute, wie der Name schon sagt: Alle Kinder stürzen sich auf Barakat und versuchen, ihn zu Boden zu ringen.
„Kinder brauchen sowas, die Bewegung, das Training“, ist der 41-Jährige überzeugt: „Einfach diesen Ausgleich. In der Schule müssen die oft lange still sitzen.“ In die Lage der Kinder mit Fluchtgeschichte könne er sich gut hineinversetzen: „Als ich damals nach Deutschland gekommen bin, sind wir auch vor dem Krieg in Syrien geflohen. Mir hat der Sport sehr geholfen. In erster Linie wollte ich mich zu der Zeit beweisen, vor mir selbst.“
„Im Grunde war ich Analphabet“
Der Grund dafür? Alles andere war neu und kompliziert für ihn: „Die Sprache war zum Beispiel komplett anders, die Schrift ist auch komplett anders als im Arabischen. Im Grunde war ich Analphabet.“ Der Sport sei ein Ventil für ihn gewesen: „Die ganze Wut, die man hat und den ganzen Frust im Alltag, wenn du siehst, dass dein Vater überfordert ist oder deine Mutter nicht weiß, welches Fleisch sie kaufen kann, weil wir Muslime sind. All das konnte ich beim Sport verarbeiten und rauslassen.“
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Auch helfe es den Kindern und Jugendlichen, durch den Sport Struktur und Disziplin zu entwickeln. „Manche Eltern kommen auf mich zu und sagen: Ich weiß nicht, wohin mit dem Jungen, der macht nur Unsinn“, so Barakat.
Durch das regelmäßige Training könnten solche Kinder sich auf eine sinnvolle Tätigkeit konzentrieren. „Kinder kann man noch formen, zum Positiven oder zum Negativen. Und ich möchte alles dafür tun, sie zum Positiven zu beeinflussen“, so Barakat.